Schauspieler Bruno Ganz: "Tot ist tot, nackt und grausam"

In seinem neuen Film "Das Ende ist mein Anfang" spielt Bruno Ganz den sterbenden Journalisten Tiziano Terzani. Ein Gespräch über die Angst vorm Sterben, Väter und Gurus.

Hilft Meditation in 6000 Meter Höhe gegen die Angst vor dem Tod? Bild: dpa

taz: Herr Ganz, sowohl in Jo Baiers "Das Ende ist mein Anfang", der am Donnerstag in die Kinos kommt, als auch in Sophie Heldmans Spielfilmdebüt "Satte Farben vor Schwarz", der im Januar startet, spielen Sie Männer an der Schwelle zum Tod. Fürchten Sie den Tod?

Bruno Ganz: Ja, klar. Allerdings ist es mir wichtig, dass es in beiden Filmen auf ganz unterschiedliche Weise um den Tod geht. "Satte Farben vor Schwarz" erzählt eine private, kleine Geschichte, und in "Das Ende ist mein Anfang" nimmt mit Tiziano Terzani, dem langjährigen Asienkorrespondenten des Spiegels, ein Jahrhundertzeuge Abschied.

Aber tot ist tot, oder?

Bruno Ganz

Jugend: Der Schweizer wollte schon in der Schule Schauspieler werden und hatte mit neunzehn Jahren in einem Film namens "Der Herr mit der schwarzen Melone" seine erste Hauptrolle. Nachdem er in der Schweizer Armee als Sanitäter gedient hatte, kam Ganz nach Deutschland.

Theater: Ab den 70ern spielte Bruno Ganz dann auch auf deutschen Bühnen, er arbeitete seither mit Regisseuren wie Claus Peymann, Peter Zadek und Peter Stein.

Film: Ganz spielte in Filmen wie "Der amerikanische Freund" und der "Himmel über Berlin" mit. Das meiste Aufsehen erregte der Schauspieler in Deutschland wohl mit seiner Darstellung von Adolf Hitler in "Der Untergang."

Jaja, schon. Tot ist tot, nackt und grausam, ganz genau, aber die Zurüstungen und das Verhältnis dazu und das Umschmeicheln und Umspielen und die jeweiligen Versuche, der Sache habhaft zu werden, sind sehr unterschiedlich in den beiden Filmen. Aber tot ist tot stimmt schon, man ist dann nicht mehr.

Tiziano Terzani tritt dem Tod sehr gelassen gegenüber, verstörend gelassen. "Mein Tod - pah! Zum Lachen", sagt er. Ihnen selbst scheint das eher fremd zu sein.

Ich habe ein bisschen Mühe mit dem schnellen Zusammenschieben von mir und Terzani. Wenn er das sagt, ist er in Italien, in der Geborgenheit dieses Dörfchens im Tal von Orsigna, wo er schon als Kind die Ferien verbracht hat und später auch als Weltstarjournalist und nun eben als Todgeweihter. Und Sie dürfen auch nicht vergessen, was dieser Haltung vorausgegangen ist. Er hat sich in New York zum dritten Mal von Ärzten aufschneiden lassen, die dann nur gesagt haben: Wir machen da nichts mehr. Und dann ist er nach Indien gereist, auf die Höhe von 6.000 Metern, und hat dann da mit einem Guru zusammen gelernt zu sterben, eine Gelassenheit dem Unausweichlichen gegenüber zu entwickeln. Bei mir ist das anders: Ich war noch nie mit einem Guru auf 6.000 Metern Höhe und hab mich mit meinem Tod beschäftigen müssen, denn mir hat noch keiner gesagt: Du hast Krebs, es ist bald zu Ende. Das sind zwei völlig verschiedene Situationen.

Ein gewisser Hang zu jenseitigen Rollen scheint bei Ihnen zu bestehen. In "Der Himmel über Berlin" spielten Sie einen Engel, in "Der Untergang" Hitler in seinen letzten Stunden und nun eben diese beiden Männer am Lebensende. Woher kommt diese Anziehungskraft? Oder konstruiere ich die gerade?

Die konstruieren Sie gerade. Dass ich kein Bruder Lustigfuß bin oder wie das heißt, das ist klar. Aber dennoch können Sie mir glauben, dass ich bei aller Ernsthaftigkeit nicht versessen darauf bin, spielend meinen eigenen Tod vorzubereiten oder irgendwas dergleichen. Der Aspekt des bevorstehenden Todes war mir bei Hitler völlig egal. Ich war froh, dass man sah, wie seine Leiche angezündet wurde, aus historischen Gründen. Lieber als sein Ende hätte ich sowieso Hitlers Aufstieg gespielt. Aber so einen Stoff fasst ja keiner an.

Also ist der Tod kein Thema, das Sie besonders beschäftigt?

Je älter man wird, desto häufiger taucht das vor einem auf. Mit fast 70 ist es nicht mehr so leicht zu sagen: irgendwann, vielleicht. Man geht schon bewusster um mit der Zeit, die einem noch bleibt, als mit 40. Aber man merkt auch immer wieder, wenn der Tod im Blickfeld auftaucht, dass man dazu nichts zu sagen hat, also ich jedenfalls nicht. Ich kann nicht sagen: Ich empfange den mit offenen Armen oder ich bin geläutert oder was auch immer. Ich habe keine Ahnung, was da passiert.

In "Das Ende ist mein Anfang" erzählt Terzani seinem Sohn Folco aus seinem Leben. Der Sohn wiederum hat aus den Aufzeichnungen ein Buch gemacht, auf dem nun wiederum Jo Baiers Film basiert. Kennen Sie diesen Drang?

Nein, in dieser Form nicht. Aber ich denke, ich tue das unentwegt durch die Rollen, die ich spiele, durch meine Filme. Ich war nicht hautnah im Vietnamkrieg dabei wie Terzani, aber das erzählt mir schon viel. Das ist auch ein wichtiger Teil meiner Geschichte.

Der Unterschied ist aber, dass Sie nicht mit Ihrer Person an die Öffentlichkeit treten. Mit Memoiren von Bruno Ganz ist also nicht zu rechnen?

Oh nein, um Himmels willen, das interessiert mich nicht. Aber wenn Terzani erzählt, was er empfunden hat, als die Amerikaner vietnamesische Holzhütten bombardierten, löst das in mir eine sehr starke Resonanz aus. Und ich weiß, dass das nicht nur mir so geht. Dieses Gefühl der Unverhältnismäßigkeit, der Ungerechtigkeit, hat dazu beigetragen, meine Generation zu politisieren.

Aber es gibt doch an der Figur Tiziano Terzani bestimmt auch Facetten, die Ihnen fremd sind und auch bleiben. Wie geht man als Schauspieler damit um?

Gott sei Dank muss man nicht alles persönlich abdecken. Die Räume, wo man sagt: Das ist jetzt er, gehören auch unbedingt dazu. Es ist eine Frage des Respekts der Figur gegenüber, sie als Ganzes ernst zu nehmen, alle Facetten zu bedienen und nicht nur die, die einem gefallen.

Das Esoterische von Tiziano Terzani, könnte ich mir vorstellen, ist Ihnen eher fremd.

Die Erzählung von dem auf einen Gipfel zufliegenden Marienkäferchen beispielsweise, in dem Terzani sich wiedererkennt, hat mich sofort unglaublich tief berührt. Ganz großartig. Ob das nun Esoterik ist oder nicht, ist mir relativ egal. Ich weiß nur, was für ein großartiges Bild das ist: Die Grenzen des eigenen Ichs fallen und man beginnt, ein Teil zu werden von allem, was einen umgibt. Das finde ich einen erstrebenswerten Zustand.

Folco Terzani entdeckt seinen Vater im Laufe der Gespräche neu. Was wissen Sie über das Leben Ihres Vaters?

Ich weiß einiges, auch wenn ich lange Zeit nicht so viel wissen wollte, weil ich ihn nicht so mochte wie meine Mutter. Ich habe mir lange eingebildet, das reine Kind meiner Mutter zu sein, schon weil sie Italienerin war, fand ich das viel besser. Auch durch den Film befördert, sehe ich meinen Vater aber mittlerweile in einem anderen Licht und merke, was ich doch eher ihm zu verdanken habe als meiner Mutter. Und ich würde gern, wenn ich könnte, ein Gespräch mit ihm führen …

ein Gespräch, das Sie nie geführt haben?

Ja. Ich wüsste aber auch erst jetzt, was ich ihn fragen würde.

Und zwar?

Ob es ihm aufgefallen ist, dass ich mich so vor ihm versteckt und von ihm abgewendet habe. Ob er sich gefragt hat, warum das so ist. Und ich würde ihn fragen, warum er so unheimlich enttäuscht war, dass ich nicht nach seinem Vorbild einen technischen Beruf ergriffen habe und ob das bis zum Ende seines Lebens so geblieben ist. Und dann natürlich, ob er die ersten Erfolge in meinem Beruf, dem er sehr skeptisch gegenüberstand, ohne mir je Knüppel zwischen die Beine zu werfen, wahrgenommen hat und, wenn ja, ob das zu einer Revision seiner Haltung mir gegenüber geführt hat.

Ist das für Sie die Botschaft des Films: diesen Dialog zu suchen, bevor es zu spät ist, auch wenns schwerfällt?

Ich will nicht mit Botschaften hantieren. Mir gefällt, wenn ich da zugucke, wie unmerklich und ohne dass es in Dialogen vorgeführt würde, sich das Verhältnis dieser beiden Männer zueinander verschiebt und entwickelt, der zunächst so phlegmatisch wirkende Junge immer mehr die Führungsrolle übernimmt und sich so auf seine ganz eigene Art gegenüber dem Superjournalistenvater behauptet.

Vor diesem Interview haben Sie ein paar Minuten lang mit Terzanis Witwe Angela gesprochen. Das muss doch wirklich ein außergewöhnlicher Dreh gewesen sein, am Originalschauplatz und mit Familienanschluss.

Das stimmt. Am Anfang war der Ort erschreckend und die Anwesenheit von Angela und Folco Terzani geradezu einschüchternd. Das waren absolute Instanzen. Die hätten mir dauernd sagen können: So oder so war das oder war das eben nicht. Hinzu kommt, dass er an diesem Ort tatsächlich gestorben war. Die zeigen einem das Bett, und man ist beklommen. Während des Drehens hat sich das verwandelt: Auf einmal fand ich es toll, dass der Ort authentisch war. Und dann hat sich die Familie, vor allem Folco, der häufiger da war als seine Mutter, als großer Helfer entpuppt, der mir geholfen hat, Löcher in meinem Bild von Terzani zu stopfen. Als ich wissen wollte, wie dünn die Stimme seines Vaters vor seinem Tod war, wie er seine letzten Sätze gesprochen hat, hat Folco mir das Band vorgespielt, auf dem die letzten zehn Minuten des Lebens dieses Menschen aufgezeichnet waren. Es war unglaublich bewegend, das zu hören, und es hat mir als Schauspieler handwerklich wahnsinnig geholfen.

Wie nahe wollten Sie Tiziano Terzani kommen?

So halb. Deswegen war es mir auch wichtig, mich irgendwann von der Familie und ihrer Verehrung für den Vater zu lösen, der ja, was man nicht vergessen darf, auch die Quelle ihres Wohlstands ist. Dementsprechend eisern wachen sie über sein Erbe. Als ich in einer Einstellung auch die Schmerzen dieses Mannes spielen wollte, war Folco damit überhaupt nicht einverstanden. Sein Vater musste stark sein. Anders als etwa bei Hitler war es also nicht mein Anspruch, Terzani möglichst originalgetreu zu spielen. Ein Porträt im engeren Sinne sollte es nicht werden.

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