Kino-Film "Free Rainer": Weltrettung mit Reclamheft

"Free Rainer", das semi-satirische Feelgood-Movie von Hans Weingartner ("Die fetten Jahre sind vorbei"), kämpft gegen Untiefen des Trash-TVs - und nutzt dessen Mittel.

Innerlich mit Koks verklebte Bösmenschen: Moritz Bleibtreu und Gregor Bloeb im Film "Free Rainer" Bild: dpa

Eigentlich eine gute Idee: Man sollte dringend etwas gegen das Fernsehen tun! Was sind schon Hassprediger, was weltanschaulich irregeleitete Büchner-Preisträger gegen den verheerenden Einfluss von "Sturm der Liebe", Beckmann und den Erdferkel-Pornos im Nachmittagsprogramm? Wann hat es die letzte ideologiekritische Auseinandersetzung mit Stefan Raabs Plautze, wann die letzte machtanalytische Intervention gegen "Titel, Thesen, Temperamente" gegeben, wann ist das letzte faule Ei gegen den Populismus geflogen? Lange her. Und dass im ideologischen Zentrum der fatalen Fernsehlage der Fetisch der Quote steht, als besonders blöder Eiterpickel auf dem hässlichen Gesicht eines von Werbung und deren Lebenslüge Marktforschung lebenden Gegenwartsfernsehen, hat Hans Weingartner richtig erkannt. Leider geht es in seinem semi-satirischen Feelgood-Movie "Free Rainer - Dein Fernseher lügt" aber nicht nur mit den falschen Mitteln gegen dieses Fernsehen. Das, was er sich an deren Stelle wünscht, wäre fast schlimmer als der Status Quo.

Zwei Hauptprobleme gibt es also mit der Geschichte vom maßlosen Zyniker Rainer, einem bis in die letzte Pore innerlich mit Koks verklebten Bösmenschen, den eine aufrechte, schöne junge Frau in einen altruistischen, kulturpolitischen Guerillero auf dem Boden des Godesberger Programms umprogrammiert. Das erste wäre der künstlerische Selbstwiderspruch. Eine lustige Versehrtentruppe aus Hartz-IV-Empfängern, dem geläuterten Privatfernsehverbrecher und weiteren schönen Seelen will in einer ausgeklügelten Aktion dem Quotenterror den Garaus machen. Am Ende haben sie einen schönen Erfolg. Die Leute lesen wieder. Und nicht irgendeinen Scheiß: Sie sitzen im Park und blättern in Reclam-Heftchen.

Der Widerspruch? Dieses erbauliche Märchen wird mit exakt den Stilmitteln erzählt, die einzusetzen sich mittlerweile selbst der abgebrühteste Quotensklave nicht mehr trauen würde: etwa mit launigen Slice-of-life-Nummern, die den Fortschritt der verschiedenen Aktionen der liebenswerten Guerilla-Truppe vorführen sollen. Ein Potpourri von Kürzestszenen mit menschelnden Pointen, zusammengehalten von einem Song - genau so dreht man "Like Ice in the Sunshine" für Langnese oder "Volle Pulle Leben" für Spreequell. Nur dass selbst Werbespots inzwischen nicht mehr so breit durch die Gegend schmunzeln. Die Figuren, die aus je einer Eigenschaft pro Personen bestehen, würde sich selbst das hier massiv angegriffene Privatfernsehen nicht mehr trauen.

Am fürchterlichsten sind dabei die Hauptrollen: der von Moritz Bleibtreu gegebene zynische, menschenverachtende Trash-Show-Produzent, der nach reichlich blechverschleißenden Unfällen - die nichts zur Geschichte beitragen, aber vermutlich irgendeinen, von der hier gültigen Jugendmovie-Konvention festgelegten Actionanteil entsprechen müssen - und nach noch mehr Nasenbluten sein Leben ändert und die hehre, hohe Frau, die durch dessen Machenschaften ihren geliebten Großvater verloren hat und nun schön und unbestechlich gegen das Boulevard-Fernsehen kämpft. Sie sind bis zur kompletten Unkenntlichkeit von jeder Wirklichkeit wegabstrahiert.

Das zweite Problem ist aber die Analyse der Probleme des heutigen Fernsehens und die dem entgegensetzte spießige Utopie einer besseren Medienwelt, für die der Film plädiert. Sein Feind ist nicht die Normalität des Fernsehens und dessen Ideologie, sondern die schrillen, untersten Untiefen des Unterschichten-Privatfernsehens. Aber nicht, was solche Produktionen an Ideen, Werten und Selbstverständlichkeiten als normal ausgeben und so Druck auf 14jährige ausüben, deren Peer Groups sich von solchen Sendungen beeindrucken lassen mögen, gilt hier als Problem, sondern der menschenverachtende Umgang mit dem sich erniedrigenden Personal. Und die schlechte Recherche der Nachrichtenredaktionen.

Als dann die geschickte Außerkraftsetzung der Quotenerhebung greift und nicht mehr die Produktionen hohe Quoten bekommen, die tatsächlich von der stumpfen Masse gesehen werden, sondern die, die die Guerilla für nicht verdummend hält und entsprechend hochmanipuliert, ändern sich auch die tatsächlichen Sehgewohnheiten der Prolls. Die Welt ist gerettet, als die Leute mit guten Büchern aus dem Curriculum der gymnasialen Mittelstufe im Park sitzen und nun "Monitor" und die "Wissensshow" die nicht mehr manipulierten, befreiten Quotencharts anführen.

Nichts gegen die Verdienste von "Monitor"! Aber diese Medienkritik hat offensichtlich vergessen, dass wir unter sozial- und christdemokratischen Erbauungsfernsehen ebenso lang gelitten haben wie jetzt unter menschenverachtendem Unterschichtstrash. Die "Drehscheibe" oder "Mosaik" haben damals womöglich weniger Unheil angerichtet als Heidi Klum und Detlef D! Soost heute, aber sub specie aeternitatis gehören sie zur anderen Seite derselben populistischen Rezipientenverachtung, deren Logik natürlich auch mit der Architektur des Mediums zu tun hat. Wer mit dem Fernsehen noch einen Mainstream konstruieren will, sei es nach dem Modell des idealen Werbekunden oder nach dem des Staatsbürgers, partizipiert an ihr. Die Beschreibung des historischen Subjekts, das hier zu Wort kommen soll, nämlich "die Unangepassten, die, die noch wirkliche Gefühle haben", spricht das Selbstverständnis desjenigen jugendlichen Kleinbürgertum aus, das sich genau den faden Indierock reintut, der in diesem Film dauernd läuft, und sich viel darauf einbildet, eh schon lange nicht mehr fernzusehen.

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