Chaos Computer Club über Chinas Zensur: "Die Mauer bröckelt extrem"

Lars Fischer vom Chaos Computer Club kennt viele offene Türen in der chinesischen Internet-Mauer. Wie sie zu finden sind, erklärt er im Interview.

Eine Mauer in Peking mit einem Bild des chinesischen Basketball-Stars Yao Ming. Bild: Reuters

taz: Herr Fischer, alle jammern über Chinas Zensoren. Zurecht?

Lars Fischer: Natürlich. Zensur ist ungerecht. Gerade auf diese platte Art, wie es die chinesische Regierung versucht.

Was bedeutet "platt"?

Die "Chinesische Mauer" - wie wir die Internet-Blockade der Chinesen nennen - ist nicht so undurchlässig wie viele denken. Im Gegenteil: Sie bröckelt extrem.

Wie kann man diese Mauer zum Einsturz bringen?

Man muss sie gar nicht zum Einsturz bringen, sondern nur ein Schlupfloch hindurch auftreiben. Das genügt.

Was bedeutet das konkret?

Es gibt Kniffe, mit denen es jeder schafft, eine Tür in der Mauer zu finden.

Beherrscht auch der Laie die Kniffe?

Ja. Da sind nur wenige Einstellungen am eigenen Browser nötig.

Wie funktioniert das?

Die chinesischen Behörden setzen schlichte Adressfilter ein. Wird die angegebene Internet-Adresse von denen blockiert, sieht man im Browser nichts. Deswegen darf man nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen, sondern muss einen Umweg nehmen.

Wie sieht dieser Umweg aus?

Man sendet seine Anfrage nicht direkt an die anvisierte Internet-Adresse, sondern an die Adresse eines Servers im Ausland. Der leitet die Anfrage dann weiter. Der Rückweg der Daten zum Internetnutzer, läuft dann auch über diesen Umweg.

Was muss dafür getan werden, damit der Computer den Umweg durch das Loch in der Mauer nimmt und nicht gegen sie rennt?

Man kann in seinem Browser leicht einstellen, dass jede Anfrage über einen solchen so genannten freien Server läuft. Einfach die Verbindungs-Einstellungen aufrufen und dort die Adresse eines freien Servers unter HTTP-Proxy und den dazugehörigen Port eintragen. Spezielle Software ist dafür nicht nötig.

Aber können die Behörden nicht einfach die Adressen dieser Auslandsserver sperren, so wie sie auch andere Adressen sperren?

Das können sie, aber es gibt zu viele solcher Server. Von den Türen, die aus China hinaus führen, ist immer irgendeine offen.

Wie findet man die vielen Türen?

Im Internet gibt es unzählige Listen mit den Adressen von freien Servern, die man als Türen verwenden kann. Es ist ein Wettlauf, ein Katz-und-Maus-Spiel: Die Chinesen sperren die Adresse eines Servers, dann versucht man halt eine andere. Funktioniert die auch nicht, nimmt man die nächste, und so weiter.

Und wo finde ich einen Weg, wenn alle mir bekannten gesperrt sind?

Bei uns, dem Chaos Computer Club. Die Adressen von funktionierenden freien Servern, die ja lediglich aus zwölf Ziffern bestehen, können leicht codiert per Mail, Fax, Post oder Telefon übermittelt werden. Das beste Beispiel dafür ist der gute alte Brief von Ganoven, in dem sie ihre Informationen nicht im Text, sondern in der Abfolge der Satzzeichen wiedergeben.

Seit wann ist dieser Weg über die ausländischen Server bekannt?

Vor vier Jahren habe ich für einen Freund, der in China lebt, den Umweg über einen freien Server eingerichtet. Der nutzt diese Türen bis heute. Damals erreichte er einige Nachrichten-Seiten nicht. Das Problem hat er seitdem nicht mehr.

Wissen die chinesischen Bürger davon?

Ich hoffe es. Wer sich ein bisschen auskennt, findet einen Weg. Wer wie die chinesische Regierung versucht, Informationen in legal und illegal zu trennen, muss damit scheitern.

Das klingt ein wenig überheblich.

Das stimmt. Wir machen uns über die plumpe Art der Zensur lustig und wollen allen helfen, diese zu umgehen. So wollen wir demonstrieren, wie lächerlich diese Art der Informationskontrolle ist.

Sie verbreiten Ihr Wissen also gezielt an Journalisten und andere Leute, die vor Ort bei den Spielen sind?

Wir richten eine Internetseite ein, auf der sich jeder über die Wege informieren kann, auf denen die chinesische Internetzensur umgangen werden kann.

Spezielle Hilfe inklusive?

Wer Probleme hat, die Sperren der chinesischen Behörden zu umgehen, kann sich an uns wenden. Wir helfen dann und finden eine Lösung. Der Weg über die Server, die im Ausland stehen, ist nicht der einzige uns bekannte.

Welche existieren noch?

Das ist nicht ganz so einfach zu erklären. Nur soviel: Es gibt spezielle Software, mit der wir - besser gesagt, die Internetnutzer - Tunnel graben können, wenn alle Türen in der Mauer verschlossen sein sollten. Aber daran glaube ich nicht.

Trotz der vermeintlich 30.000 chinesischen Internet-Polizisten?

Ich weiß nicht, ob die Zahl wirklich stimmt. Aber egal, wie viele es sind, es ist ein Unding, dass eine chinesische Behörde das Internet nach unliebsamen Inhalten durchsucht und Adressen sperrt. Doch es gibt mehr Wege an Informationen zu gelangen, als die blockieren können. Das ist jetzt so, und es wird so bleiben. Angst muss man vor deren Blockaden keine haben.

INTERVIEW: JÜRN KRUSE

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