Internet-Flatrate adé: Die Rückkehr der Stechuhr
Große US-Provider wollen Abschied von den populären Pauschaltarifen nehmen, um Datenstaus zu umgehen. Die Nutzer sind genervt. Auch in Deutschland gibt es Vorzeichen.
Wer in den vergangenen Jahren die Freiheit der Kommunikation begutachten wollte, blickte in die USA: Dort gab es bereits lange Zeit, bevor man es in Europa kannte, Pauschaltarife für Ortsgespräche und Internet-Zugänge. Nutzer mussten für ihre "All you can eat"-Versorgung also nur eine einzelne Monatsgebühr entrichten - um Minuten- oder gar Bandbreitenverbrauch brauchten sie sich nicht zu scheren, denn es war ja schließlich alles inklusive. Die Idee war revolutionär und setzte bald zum Siegeszug um die ganze Welt an.
Doch was man auch hier zu Lande unter dem Stichwort "Flatrate" kennt, befindet sich seit einigen Monaten auf dem Rückzug. Gleich mehrere große US-Internet-Provider, darunter Branchenriesen wie Time Warner Cable, Comcast und AT&T, kündigten Versuche an, die Online-Nutzung ihrer Kunden einzuschränken. Die geplante Rückkehr zum Stechuhr-Internet bezieht sich dabei auf die vom Nutzer versurften Gigabytes, die seit einigen Jahren rasant zunehmen - der Grund sind die immer populärer werdenden Videoangebote im Netz sowie der ungebrochene Trend zur Nutzung von Tauschbörsen. Statt nun ihre Leitungen massiv auszubauen, um die unvermeidlichen Datenstaus zu verhindern, versuchen die Internet-Anbieter, das Angebot zu verteuern: Wer über ein bestimmtes Bandbreitenkontingent geht, heißt es in den Konzeptpapieren, soll bald auch mehr zahlen müssen - beispielsweise, wie bei Time Warner Cable geplant, einen Dollar pro Gigabyte. Das kann, wenn man seinen Zugang stark nutzt, schnell ins Geld gehen.
In Deutschland halten sich die großen Internet-Provider von Telekom bis 1&1 derzeit mit solchen Bandbreiten-Verknappungsplänen noch zurück - man habe ein ausreichend dimensioniertes Leitungsnetz, heißt es vornehm. Doch auch bei uns munkeln Insider über mögliche Veränderungen der Geschäftsmodelle: Schließlich ist das DSL-Business mit Flatrates für 20 Euro ein enorm hart umkämpftes, eine Marktkonsolidierung auf größere Anbieter längst im Gange.
Das große Vorbild der deutschen Anti-Pauschaltarif-Fraktion dürfte der Mobilfunksektor sein. Hier waren Flatrates für schnelle Internet-Zugänge über UMTS noch nie wirklich "flat": Nahezu jeder Anbieter behält sich vor, Nutzern bei Überschreitung eines so genannten "Fair Use"-Kontingents die Leitung zu kappen. Einige Anbieter nennen hier noch nicht einmal den genauen Grenzwert, was inzwischen zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit den Verbraucherzentralen geführt hat. Wer sich beispielsweise ein iPhone mit einem der so genannten "Complete"-Tarife von T-Mobile besorgt hat, erhält für seine 50 bis 90 Euro im Monat keineswegs einen echten Pauschaltarif: Der Mobilfunker behält sich vor, die verfügbare Datenrate des Nutzers deutlich zu reduzieren, wenn ein bestimmtes Kontingent überschreitet. Auch der neue Trend, sich für einen Tag mobiles Internet zu kaufen - T-Mobile und Vodafone bieten dies jeweils für knapp 5 Euro an -, hat mit Pauschaltarif wenig zu tun: Bei 1 Gigabyte ist Schluss; wer im Ausland surft, hat gar nur 50 Megabyte zur Verfügung, was ungefähr einem einzelnen, kurzen YouTube-Video entspricht.
In den USA treffen die Pläne der großen Provider, Flatrates zu verknappen, auf Widerstand seitens der Netzelite. Vint Cerf, der als Miterfinder des Internet-Protokolls zu den Vätern des Netzes zählt und heute bei Google arbeitet, sagte gegenüber der New York Times, der Trend sei eine Gefährdung der Innovationskraft. "Sobald man eine Unsicherheit erzeugt, was die Kosten anbetrifft, verlieren die Nutzer das Gefühl der Freiheit." Neue, auch bandbreitenintensive Anwendungen, die derzeit jederzeit über das Internet gestartet werden können, würden so ausgebremst.
Die Provider begründen ihre Pläne mit der Notwendigkeit, Geld für den Ausbau der Infrastruktur zu benötigen. Auch dürften Nutzer, die mehr Bandbreite verbrauchten, dies nicht auf Kosten "ganz normaler" User tun. Das Problem: Längst gehören nicht mehr nur Dateitauschfreunde zu den großen Dauersaugern. Wer völlig legale Videodownload-Angebote verwendet, die sich dank schneller Breitbandzugänge inzwischen problemlos in guter Qualität nutzen lassen, dürfte sein Kontingent schnell überschreiten. Ein einziger Spielfilm "wiegt" in ansehnlicher Auflösung oft ein Gigabyte oder mehr.
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