Entdeckung der Internet-Community: Die Ureinwohner wehren sich

Medien und Parteien entdecken einen für sie fremdartigen Stamm namens Internet-Community. Dabei gibt es keine Trennung zwischen Webnutzern und dem Rest der Menschheit.

Lieblingsfeind Schäuble: Demo gegen Vorratsdatenspeicherung. Bild: dpa

Die CDU hat ihn entdeckt, die SPD auch, die Berliner Morgenpost schreibt darüber, die FAZ und ja, ab und an auch die taz - über den fremdartigen Stamm namens Internet-Community, von Hobbyetymologen schon zur Netzgemeinde eingedeutscht.

Gemeinde erinnert ein bisschen an evangelikale Bibelschüler. Allerdings klingt das meist so, als würde da eine Horde junger, verspielter, freiheitsliebender, aber auch ein wenig beschränkter Tarzans durchs Geäst des digitalen Dschungels hüpfen. Vor allem aber macht es klar: Hier stehen wir, und dort sind die Fremden - hinter dem Computerbildschirm beginnt ein possierliches Barbaricum.

Das natürlich zivilisiert werden muss. Jüngstes Beispiel: Die Stoppschilder im Web, welche angeblich gegen Kinderpornografie helfen sollen. Wie ein Mantra wiederholten die fürs Internet zuständigen Parteipolitiker in der Debatte um dieses Vorhaben, das Netz dürfe kein rechtsfreier Raum sein.

Doch dann wehrten sich die Ureinwohner!

Sie brachten die erfolgreichste Petition der deutschen Geschichte zustande und eine in Teilen recht witzige Kampagne gegen das fragwürdige Vorhaben der Internetsperren. Sie sahen wie Freiheitskämpfer aus, und das konnten die Zivilisatoren nicht hinnehmen. Aus dem edlen Wilden musste ein blutrünstiger werden.

Wie das gemacht wird, exerzierte der Berliner Professor Herfried Münkler vor. Er schrieb in der Frankfurter Rundschau: "Es ist eine eigentümliche Schar, die sich unter dem Banner der Netzfreiheit versammelt hat. Einerseits kriminelle Geschäftemacher, die das Internet benutzen, um verbotene Produkte an den Mann zu bringen, und andererseits ein Ensemble von Freiheitskämpfern, die ihre anarchistischen (kein Staat!) oder kommunistischen Ideen (kein Eigentum) in der virtuellen Welt des Internets realisieren wollen."

Kinderpornoverkäufer und ihre naiven Helfershelfer - da war sie, die Rechtfertigung für den Einmarsch.

Das es dem Sperrwiderstand nie um das Legalisieren von Kinderschändung ging, hätte jeder sehen können, den es interessiert hätte. Aber wen interessierte das schon?

Denn dann hätte man vielleicht erkennen müssen, dass die Geschichte von der Zivilisierung eine Fata Morgana ist. Dass es keine Trennung zwischen der Internetgemeinschaft und der zivilisierten Menschheit gibt. Fast 70 Prozent der Deutschen nutzen das Netz, selbst bei den über 50-Jährigen sind es fast schon die Hälfte - in den unteren Altersklassen sind es nahezu alle.

Selbst wenn es nur um die digitale Bürgerrechtsbewegung ginge, stimmte das Bild vom Outlaw nicht. Deren Wortführer sind nämlich meist um die 30 Jahre alt, haben oft Kinder und gehen ordentlichen Berufen nach, als Hochschulprofessor, Lehrer oder Programmierer.

Beim Chaos Computer Club ging vor einigen Tagen eine Mail ein - eine von vielen zum Thema Kriminalisierung der Sperrgegner: "Ich habe keine berufliche Erfahrung mit diesem Thema, bin aber - als Vater zweier Töchter - emotional involviert." Und: "Auch die Mitarbeiter der Rechenzentren sind oftmals Familienväter und können Begriffe wie Moral und Anstand buchstabieren. Deswegen lehnen wir diese Sichtblenden entschieden ab."

Das sind sie - die modernen Barbaren. DANIEL SCHULZ

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