25 Jahre "Neuromancer": Eintauchen in den Netz(t)raum

Science Fiction-Autor William Gibson, der den Begriff Cyberspace prägte, hat einiges zu feiern: Sein Schlüsselroman "Neuromancer" wird 25 Jahre alt. Viele seiner Prophezeiungen sind eingetreten.

Viele Szenarien aus "Neuromancer" sind inzwischen Realität. Bild: screenshot: http://www.williamgibsonbooks.com/index.asp

Am 1. Juli 1984 kam in den USA ein Science-Fiction-Buch auf den Markt, das als Schlüsselroman für die zu jener Zeit nur in äußerst rudimentären Anfängen vorhandene Infrastruktur namens Internet gelten kann: "Neuromancer" von William Gibson. In den folgenden 25 Jahren gab es fast kaum einen Hacker oder Web-Geek, der das Buch nicht mit schweißigen Händen durchwälzt hätte.

"Neuromancer" definierte den Begriff des Cyberpunk - Outlaws an der Tastatur in einer dystopischen Welt. Es führte ein weltweites Publikum in eine geheime Sphäre ein, die sich im Computer abspielte - den Cyberspace. Gibsons Held Case macht durch, was nach ihm viele Internet-Nerds durchmachten; weniger grell, utopisch und abgefuckt natürlich, aber immerhin.

Viele der in "Neuromancer" enthaltenen Vorhersagen bewegen sich heute im Bereich der Realität. Da wäre zum Beispiel das Grundkonzept eines globalen Netzes. Anfang der Achtziger begannen Universitäten und Militäreinrichtungen, sich weltweit miteinander zu vernetzen und Firmen konnten für viel Geld Daten über den Atlantik verschicken.

Normale Nutzer waren hingegen auf ihr kleines Umfeld beschränkt, kommunizierten, wenn sie Geld hatten, vielleicht landesweit per Modem, ein Rechner mit dem anderen oder mit wenn es hoch kam einem Dutzend. Gibsons Netz ist zwar nicht textbasiert, sondern eine dreidimensionale Welt, in der es eine enorm starke Symbolik gibt, doch immerhin - das Datenreisen ist in "Neuromancer" kaum anders als bei uns.

Die virtuelle Realität, die Gibson abbildet, hat sich dagegen noch nicht durchgesetzt. Sie wird aber in Form der so genannten "Augmented Reality" immer greifbarer: Handy-Anwendungen nutzen dabei die Kamera des Geräts, um ein Abbild der Umgebung zu schaffen, integrieren aber Künstliches. Allumfassende Datenbrillen nutzt dagegen niemand. In "Neuromancer" gibt es dafür direkte Gehirnschnittstellen.

Der Hype um die Technik, der in "Neuromancer" gemacht wird, findet sich heute in Produkten wie denen der Firma Apple wieder - die User brauchen und wollen immer das neueste Gadget und die beste Software, das sah auch Gibson schon so. Nicht ganz soweit sind wir dagegen mit dem medizinischen Fortschritt. Gibson hatte sich in "Neuromancer" einiges erträumt: Kuren, bei denen man nicht mehr funktionierende Organe einfach austauscht werden und verbrauchte Körperflüssigkeiten gleich mit, kann sich noch niemand so recht leisten.

Für die Internet-Generation, die jetzt um die 30 Jahre alt ist, hat "Neuromancer" nach wie vor eine enorme Bedeutung. Sie erlebten, wie aus einfachen, statischen Heimcomputern und Spielerechnern erst eine kleinteilige Vernetzung per Modem und dann eine weltweite Bewegung namens World Wide Web entstand: Plötzlich konnte jeder jeden zu minimalen Kosten erreichen, erste Ansätze einer globalen Öffentlichkeit erblühten.

Wer "Neuromancer" als Jugendlicher verschlang und sich nun die heutigen Möglichkeiten des Internet betrachtet, kommt nicht umher, etwas Magisches darin zu sehen. Umso verschnupfter reagiert diese Generation, wenn der Staat oder wirtschaftliche Interessengruppen von Hollywood bis zu den Zeitungsverlagen nun versuchen, eine Art Rollback der Netzfreiheiten vorzunehmen, siehe "Zensursula"-Debatte um Internet-Sperren und "Three Strikes"-Gesetzgebung in Frankreich, mit der Dateitauschern der Netzzugang genommen werden soll.

Autor William Gibson ist heute im Netz aktiver denn je. War es vor einigen Jahren noch kaum möglich, ein Interview mit dem seit Jahrzehnten glücklich im kanadischen Vancouver lebenden Amerikaner zu bekommen (die Angst vor einer Einziehung zum Vietnamkrieg ließ ihn 1968 auswandern), unterhält er nun ein eigenes Blog und eine Website mit Forum, in das er regelmäßig hineinschaut. Seit kurzem ist er auch mit einem eigenen Twitter-Feed online, in dem er interessante Links aus seinen vielfältigen Interessengebieten mitteilt - manch Schräges, viel Zukunftsträchtiges.

Auch gibt Gibson gerne zu, dass das Internet sein Schreiben verändert hat. So lässt er sich mitunter von Google inspirieren und wundert sich dann, dass seine Leser versuchen, seien Romane Satz für Satz nachzuvollziehen. Sein nächstes Werk, das den Namen "Zero History" tragen soll, besitzt ebenfalls eine Netzkomponente: Einige Passagen veröffentlichte Gibson vorab in seinem Blog.

Zwar hatte er angekündigt, während des Schreibens jede Internet-Publizität zu vermeiden, um sich voll auf das Manuskript zu konzentrieren. Doch Gibson, der Übervater des Netzes, ist offenbar selbst netzsüchtig.

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