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Killerspiele schuld an Amoklauf?Unser aller Geballer

Nach dem Amoklauf geraten wieder einmal "Killerspiele" ins Visier von alarmierten Pädagogen wie ratlosen Politikern. Für und Wider die Jugendkultur des Ballerns.

<typohead type="3"> PRO VON ARNO FRANK<br/>

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Um diesem Spiel gerecht zu werden, muss man bei aller Hektik in eine milde Form der Trance fallen. Anders geht es nicht. Auch braucht es blitzschnelle Reaktionen. Was beabsichtigt der Gegner, wie komme ich ihm bei? Ohne eine gewisse Kaltblütigkeit, ohne einen gewissen Killerinstinkt gerät man hier schnell ins Hintertreffen - und schon ist es verloren, so ein Tischtennisspiel.

Tim K., der Amokläufer von Winnenden, war ein passionierter und pokalprämierter Tischtennisspieler. Ein anderes, ähnlich anspruchsvolles Spiel hat die Polizei bereits auf seinem Computer entdeckt, den "First Person Shooter" (FPS) "Counter Strike". Dort will sie auch Pornobilder gefunden haben, sehr verdächtig. Im Ordner "Videos" werden sich, jede Wette, auch blutige Action- oder Horrorfilme finden, und unter iTunes vielleicht das eine oder andere "gewaltverherrlichende" Album von Slipknot oder Eminem. Tim K. wäre ein ziemlich "auffälliger" junger Mann gewesen, hätte er sich für all diese Dinge nicht interessiert.

Was alle diese bunten Faktoren also zur Tat von Tim K. beigetragen haben? Schwer zu sagen. Wahrscheinlich so viel oder wenig wie die täglichen Schreckensbilder aus der "Tagesschau", die Berichterstattung über das paramilitärische Biathlon, das allsonntägliche Morden im "Tatort", die allgemeine Weltlage, Hänseleien auf dem Schulhof, Depressionen oder irgendeine Susi, die mit Tim K. Schluss gemacht hat oder von vornherein nichts mit ihm zu tun haben wollte.

Dass "First Person Shooter" ("Ego Shooter" ist eine unbeholfene neudeutsche Erfindung, "Killerspiele" sagt nur Günther Beckstein) die Hemmschwelle senken oder zur Einübung irgendwie killerhafter Verhaltensmuster dienen könnten, ist in der Forschung umstritten. So konnte beispielsweise vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg ein Nachweis dafür "bislang auch noch nicht erbracht werden", dass das virtuelle Geballer tatsächlich emotionale Folgeschäden nach sich ziehe. Andere Studien dürften, wie es nun mal Studien so an sich haben, das exakte Gegenteil ergeben. Bewiesen oder widerlegt wäre damit rein gar nichts.

Tatsächlich ist es ein großer Unterschied, ob ich per Mausklick auf dem Bildschirm digitale Gegner ausschalte - oder mit einer schweren Waffe in der Faust tatsächlich Menschen töte. Beim Schach hält auch niemand den gegnerischen König für einen König, und wer etwa Billard nur vom Computer kennt, der dürfte an einem echten Tisch keine einzige Kugel versenken. Dass die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit gerade von labilen Personen bisweilen übertreten wird, heißt nicht, dass es diese Grenze nicht gibt.

Wenn diese Grenze aktiv verwischt wird, also das virtuelle Geschehen sich mit realen Erfahrungen deckt, dann doch eher im Schützenverein, wo man den Pulverrauch riecht und den Rückstoß ebenso spürt wie die ganz reale Macht, eine Waffe zu bedienen - oder beim berüchtigten Gotcha- beziehungsweise Paintball-Spielen, wo mit täuschend echten Knarren Farbbälle verschossen werden und die Hemmschwelle, anderen Mitspielern Schmerzen zuzufügen, tatsächlich schwindet.

Natürlich können auch fiktive Auseinandersetzungen am Computer so gewaltverherrlichend sein, dass ein Verbot angemessen ist - bei "Manhunt" ist das passiert. Sinnvoll ist natürlich auch eine Altersbegrenzung - wie im Fall des beliebten Kriegsspiels "Call Of Duty". Da wird der Spieler zwar ermuntert, auf am Boden liegende Verletzte oder Fliehenden "in den Rücken" zu schießen. Er kann es allerdings auch sein lassen. Rennspiele wie "Burnout", ebenfalls von fast filmischer Realitätsnähe, belohnen das möglichst rüde Autofahren. Und dennoch hat noch niemand solche Spiele für tödliche Unfälle junger Raser verantwortlich gemacht, da gibts ja noch den Teufel Alkohol.

Genau das ist das Problem: Wer dem Schrecken beikommen will, macht sich auf die Suche nach seinen Gründen. Je sinnloser das Verbrechen erscheint, desto mehr müssen diese Gründe an den Haaren herbeigezogen werden. Es ist nicht notwendigerweise gefährlich, was Lehrer, Eltern oder selbsternannte Experten alles nicht verstehen. Und umgekehrt sollte die Medienkompetenz der Jugendlichen nicht unterschätzt werden. Denn sie wissen, was sie tun. Und sie können, so sie keinen veritablen Dachschaden haben, sehr gut zwischen digitalisiertem und echtem Blut unterscheiden.

Würden, was unmöglich ist, die aggressiven "First Person Shooter" von heute auf morgen aus der Welt verschwinden - dann würde trotzdem übermorgen wieder ein anderer frustrierter Junge die Pistole seines Vaters klauen und Menschen töten.

<typohead type="3">CONTRA VON CHRISTIAN FÜLLER</typohead>

Der erste Twitter "Die Games sind unschuldig" lief, da waren die Toten von Winnenden noch nicht gezählt. Tim K. lebte noch. Niemand wusste, ob er früher ein Egoshooter war oder nicht. Egal, es zwitscherte also jemand, dass es an den Killerspielen auf keinen Fall liegen könne. Autor des Tweets war ein Wissenschaftler, der sich professionell mit dem Web befasst. Leider konnte man Tim selbst nicht fragen. Denn der absolvierte gerade den dritten Teil des tödlichen Parcours, den er sich vorgenommen hatte. Tim lief auf Modus: Kill. Für ihn war die Zeit des Fragens und Redens vorbei. Teil 1 hieß in seinen Worten: "An meine frühere Schule gehen und mal so richtig gepflegt grillen." Teil 2: "Vielleicht komme ich ja auch davon." Nun Teil 3: Neues Versteck.

Tim stürmt ein Autohaus. Wie er es sich immer und immer wieder beim Spielen eingehämmert hat, betritt er den Laden. Ohne viel Federlesens erschießt er den Händler. Auch einen zufällig anwesenden Kunden exekutiert er. Im Spiel gäbe es dafür nicht besonders viele Punkte. Die beiden sind nämlich unbewaffnet. Ja, sie wissen nicht einmal, dass Tim, der Gamer, seine letale Präzision aus der virtuellen Welt gerade ganz in echt anwendet.

Oh, Pardon! Was für ein Fauxpas. Das darf man ja nicht: virtuelle Games wie "Counter Strike", "Grand Theft Auto IV", "Doom", oder wie sie immer heißen mögen, mit realen, tödlichen Amokläufen in Verbindung bringen. Schon gar nicht mit denen an Schulen. "Jeder Amokläufer atmet Luft, jeder trinkt Wasser und isst - willst du das etwa alles verbieten?" So oder so ähnlich intelligent lautet das wichtigste Argument der Gamerfans.

Es ist eine uralte rhetorische Figur. Man werfe dem anderen ein Argument vor, das er gar nicht benutzt. Soll er sich daran doch die Zähne ausbeißen. Interessant ist, dass diese Figur gerne von denen benutzt wird, die ein spezielles Interesse vertreten (Lobbyisten etwa), oder solchen, die ein schlechtes Gewissen haben. Und sehr häufig von Gamerfans. Also zur Klarstellung: Niemand (außer ein paar Verrückten) behauptet, das exzessive Spielen von Games mache deren Spieler zwangsläufig zu Mördern. Und keiner (außer Etatisten) will Games verbieten. Und es würde auch keiner (außer unkontrollierten Gegengamern vielleicht) eine Lan-Party stürmen. Dennoch lassen wir uns diesen ein-eindeutigen Zusammenhang eben auch nicht ausreden: kein Amokläufer, der "Counter Strike" nicht gespielt hätte. Das Gamen von tödlichen Spielen ist sozusagen ein unverzichtbarer Bestandteil schulischer Amokläufer. (Der Umkehrschluss ist nicht zulässig.) Juristisch gesprochen: Gamen ist ein notwendiges Ingrediens des Giftcocktails, der Schulschützen zu Mördern macht - allerdings kein hinreichendes.

Vereinfacht kann man den Giftcocktail "Schulschießerei" so erklären: Ein ichschwacher, in der Schule häufig gedemütigter junger Mann (Tim: "Alle lachen mich aus, niemand erkennt mein Potenzial") flüchtet sich in die Scheinwelt von Computerspielen. Dort erlebt er etwas, was er in der realen Welt selten erlebt - Selbstwirksamkeit. Er ist ein Handelnder, ein Akteur, er ist plötzlich erfolgreich, er kann das sogar an seinen Punktzahlen ablesen. Nun entsteht eine komplexe psychische Spirale. Und es kommen unter Umständen eine Waffe hinzu und ein Anlass.

Logo, das ist eine Vereinfachung. Aber es gibt inzwischen eine Reihe von Studien, die sehr präzise diese Muster beschreiben. Neurologen und Ärzte berichten ziemlich erschütternde Dinge. Es gibt Erfahrungen aus Selbsthilfegruppen, über die jede Schule Bescheid wissen und Angebote für die Betroffenen machen müsste. Das ist übrigens nicht Terrorabwehr, sondern Prävention. Aber darüber kann man nicht diskutieren, weil die Gamerbranche samt ein paar nützlichen Idioten ein Tabu verhängt hat.

Es geht nicht um platte Verbote. Es gibt keine einfachen Lösungen. Wir brauchen intelligente Strategien, die man nur im Dialog mit denen finden kann, die die Games und ihre Faszination verstehen. Man muss berücksichtigen, dass die Freiheit der Kunst gewahrt werden will und dass viele Games eben online gespielt werden, also überall angeboten werden können. Aber das kann alles kein Argument dafür sein, den Tatsachen nicht ins Auge zu sehen. Dazu gehört, dass viele unserer Jungs viel und wichtige Zeit mit einem höchst merkwürdigen Spiel verdaddeln. Und dass diese Spiele in bestimmten, seltenen Fällen mit dafür verantwortlich sind, auf welche Weise traurige junge Männer ihrer Machtlosigkeit ein Ende setzen.

Lasst uns über alle Aspekte des neueren Amokphänomens sprechen - über Schule, Waffen, Anerkennung, Jungs. Und über Games. Es wird Zeit.

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