Raucher-Ikonen Helmut und Loki Schmidt: Bis zum letzten Atemzug

Eine Nichtraucherinitiative hat Strafanzeige gegen Ex-Kanzler Helmut Schmidt samt Loki gestellt - wegen Rauchens im Theater. Die Anzeige wird abgeschmettert. Gut so, findet JAN FEDDERSEN

Hannelore und Helmut Schmidt mit rauchenden Köpfen Bild: dpa

Wir sollten uns in solche Gemüter einfühlen: In Menschen, die sehr präzise Vorstellungen von dem haben, wie nicht nur sie zu leben haben, sondern alle anderen auch. Es sind Männer und Frauen, die auf ihre Art zu einer Identität gefunden haben, was mit einem freundlichen Gruß kommentiert werden könnte: Herzlichen Glückwunsch auch!

Konkret: Es sind beispielsweise aktuell Menschen, die sich ohnehin schon schwer gestreichelt fühlen müssen, weil die von ihnen ersehnten Nichtrauchergesetze auch in Deutschland fast überall gelten. Sie haben es geschafft, dass der Staat, der nur noch selten etwas zu melden hat, wie eine oberste Ordnungs- und Meldebehörde funktioniert und das Qualmen verbietet. Und die Nichtraucherfanatiker können wahrlich zufrieden sein: Sie haben das Rauchen auch all jenen bei Strafe untersagt, die es gar nicht wollen. Kneipenwirte, Barbesucher, Discobesucher. Mit Gesundheitsargumenten! Mit Hinweisen auf das, was gut sei.

Grässlich, dieser wohl-, besser unwohlmeinende Furor, der allen Rauchern aufzwingen will, was sie für gut und richtig halten. Sie hatten die Vision, mit ihrer Gesundheitsideologie hausieren zu gehen - und sie haben es geschafft.

Was uns zu dem Phänomen der Visionen bringt. Und zu Helmut Schmidt. Der ehemaligen Kanzler, Held des Deutschen Herbstes den einen, Schreckenspolitiker des Jahres 1977 den anderen, ist im Grunde ein Liberaler von Karl-Popper-haftem Schrot und Korn, ein Mann, der viel von Selbstbestimmung hält und wenig von Gängelei und reformhäuslerischer Weltverbesserei.

Der, wir erinnern uns mit Vergnügen, entgegnete einst einer Diskussion zum Thema Achtundsechziger und ob er denn keine Visionen habe, wer welche habe, solle zum Arzt gehen. Schon diese kleine Volte zeichnete den Kanzler aus. Eine Figur, die nicht gleich in die Knie geht, wenn es um Fragen zum Ganzen geht. Ein Mann, der vor allem von fundamentalistischen Protestanten gehasst wird, weil er ihren betschwesterhaften Ratschlägen nicht traut. Weil er arrogant wirkt und doch nur darauf beharrt, sich seine Lebensentscheidungen selbst zu überlegen - und im übrigen sich durch die Nahebringung von Schuldgefühlen nicht irre machen lassen möchte. So von wegen: Oh, ich sollte eine Vision haben? Na, dann hab' ich mal welche.

Und eben jetzt in Sachen Nichtraucherei: Ohne Worte, buchstäblich ohne Worte, ließ sich der 89jährige zusammen mit seiner Frau Hannelore, 88 Jahre, anlässlich des Neujahrsempfangs einer Hamburger Boulevardbühne einen Aschenbecher reichen. Man sollte wissen: Beide rauchen schon sehr lange, sehr gerne und sehr viel. Und sie tun es unbeeindruckt von turnbeutelhafteliger Fingerzeigerei, das Rauchen schade ihnen doch. Als ob sie das nicht wüssten. Die Schmidts jedenfalls wurden bei diesem Neujahrsempfang fotografiert, diese Fotos wiederum in der Bild-Zeitung abgedruckt, woraufhin ein Mensch aus dem Hessischen Strafanzeige in Hamburg stellte. Vergebens. "Wir werden die Bearbeitung der Anzeige in kurzer Zeit abschließen und die Sache einstellen", sagte Behördensprecher Rüdiger Bagger. Die Grenze von der Belästigung zur Körperverletzung sei durch den Zigarettenrauch der Schmidts nicht überschritten.

Im Thalia-Theater von Hamburg, eine Bühne, die manchmal Boulevard hat, aber vor allem das Haus hanseatischer Bildungsbürger und (oder) Bildungsbürger ist, ist Schmidt in Bälde geladen. Auf die Bühne. Er soll dort sprechen. Gut so. Man hört ihm gern zu, auch, weil er so frei wirkt von angekränkelter Pseudosensibilität in allen Fragen des Lebens. Auf Nachfrage der taz-hamburg hieß es von dort, möglichweise könne Schmidt ebenfalls ein Aschenbecher gereicht werden ... um bei einer neuerlichen Anfrage mitzuteilen, dass ja die Vorstellung mit dem Exkanzler auf der Bühne gegeben werde. Und auf der Bühne, nach wie vor, ist das Rauchen erlaubt - wenn es dem künstlerischen Zweck diene.

Immerhin!

Nichtraucherinitiativen sind empört, sie können sich gar nicht mehr einkriegen ob der Hochnäsigkeit und Ignoranz und Dickbräsigkeit diesese Mannes und seiner Frau. Und ist das nicht fein? Dass diese Sanitäter des fundamentalistisch verstandenen Gesamtwohls jetzt mal eine nicht gedungene, schuldbewusste Reaktion verpasst bekommen. Wie sagte Horst Keiser, 64, Vorsitzender der Nichtraucher Initiative Wiesbaden, die mit überaus beeindruckenden 588 Mitgliedern zweitgrößte Nichtraucherinitiative in Deutschland? Er meinte, gar nicht erst mit Kleingeld argumentierend: "Wie sollen Kinder und Jugendliche in Deutschland dazu gebracht werden, Gesetze einzuhalten, wenn ein ehemaliger Bundeskanzler in der Öffentlichkeit raucht?" Hieß den Exkanzler und seine Frau "zwei alte störrische Menschen" und nannte ihr Vorgehen gegenüber der taz "eine Schande".

Bitte? Hat da einer jetzt von der Einhaltung der Gesetze geredet? Kräuseln sich da erste Wutwölkchen ob dieses Plädoyers wider bagatellhafter Bestimmungen? Na dann! Will nur sagen: Man kann Schmidts Verhalten als Allüren alter Menschen nehmen - und sie wären als aufrecht zu verstehen. Aber man kann sie auch als zivilen Ungehorsam wider die Zumutung des Zwangs und des ausgebliebenen Angebots zur Freiwilligkeit lesen.

Das Bild von den Schmidts aus dem Winterhuder Fährhaus Hamburg ist ein Dokument demokratischen Störrsinns. Und es sagt: Zwischen diese beiden Menschen paßt höchstens ein Aschenbecher. Ermutigend!

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