Schussverletzung des Rappers Massiv: Credibility zum Major-Vertrag

Der Rapper Massiv wird in Berlin mitten auf der Straße angeschossen - kurz vor seinem ersten Major-Release. Der Zufall verleiht ihm Glaubwürdigkeit

Massiv beim Brotkantenweitwurf. Bild: david cuenca/sony bmg

Der Rapper Massiv hat sich vertan. Er ist nicht kugelsicher, wie er in seiner 2007er-Single "Wenn der Mond in mein Ghetto kracht" noch übermenschengleich herauskrawallte. Es ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, das der Palästinenser aus Pirmasens Montagnacht auf offener Straße im Berliner Problemkiez Neukölln von einem maskierten Unbekannten angeschossen wurde. Denn in seinen Songs, die von Straßengewalt und kulturellen Differenzen, von Drogendealerei und der Gier nach Ruhm erzählen, ersinnt Massiv solche gangsterromantischen Fantasien herbei.

Diesmal hat es ihn selbst getroffen. "Ein glatter Schulterdurchschuss, bei dem er viel Blut verloren hat", heißt es aus der Zentrale der für ihn zuständigen Plattenfirma Sony BMG. Knochen oder Organe wurden nicht verletzt. taz-Recherchen im Kreuzberger Urbankrankenhaus haben ergeben, dass es sich bei der Verletzung nur um einen Hautdurchschuss, also eine Streifwunde, und keinesfalls um einen glatten Schulterdurchschuss handelt. Massiv wurde dort ambulant behandelt, hat sich, dem Klischee des harten Gangster-Rappers entsprechend, selbst entlassen, um sich im Kreise seiner Familie in einem Wohnsilo in Wedding zu erholen.

Die Geschichte von Wasiem Taha, so Massivs bürgerlicher Name, ist der fleischgewordene American Rapper Dream: Er wächst in ziemlich ärmlichen Verhältnissen auf, gerät auf die schiefe Bahn, bekommt zunächst Jugendarrest. Später sitzt er wegen diverser Delikte in Untersuchungshaft. Er beschließt, aus seinen Erfahrungen Kapital zu schlagen - und Rapper zu werden. Er reist immer wieder nach Berlin, findet Unterschlupf im Aggro-Berlin-Dunstkreis und erarbeitet sich mit seinen ungeschönt-brutalen Texten einen für einen Nichtberliner achtbaren Status in der eingeschworenen Kennerszene. Freimütig, hirnlos und mit breiter Brust rappt er über seine Vergangenheit: "Jeder weiß es - ich verticke Weißes". Klar, diese Großmäuligkeit ist jedem rappenden Nachwuchsgangster eigen, jedoch ist es bei dem 120-Kilo-Koloss aktenkundige Realität, während Reißbrett- und Starschnitt-Rapper à la Bushido und Fler sich in ihren Texten in diese Unterwelt hineinträumen.

Allerdings ist natürlich auch Massiv ein Schwätzer, ein Großkotz, der in seiner neuen Single "Weißt du, wie es ist?" plattitüdenschwangere Fragen in den Rapperhimmel hustet. "Weißt du, wie es ist nachm Bürgerkrieg mit ner Augenklappe zu leben, wie es ist, wenn dich fast jeder verprügelt und du nach Hause gehst und dich dann noch dein Vater verprügelt?" Nein, das wissen die meisten Fans wohl kaum. Aber Massiv selbst genauso wenig - jedenfalls gab es in den 25 Jahren seines Lebens keinen Bürgerkrieg in Pirmasens.

Es war ein gerechter Schuss, der Massiv am Montag traf. Nicht, weil er es verdient hätte, verletzt zu werden. Sondern weil es ihm die Glaubwürdigkeit verleiht, nach der jeder kommende Popstar lechzt. Und doch bleiben Zweifel an dem Szenario. Denn die Polizei berichtet von mehreren Schüssen aus kurzer Distanz. Welches Motiv sollte dahinterstecken, mehrere Kugeln in die Rabatten zu jagen und den Rapper mit nur einer einzigen eher leicht zu verletzen? Es gibt keine Zeugen. Und zudem wurde Massivs Verletzung online schon wenige Minuten nach der Tat bekannt. Im gleichen Atemzug schnellten die Zugriffszahlen auf seiner MySpace-Seite in schwindelerregende Höhen.

Die PR-Maschine kurbelt sich quasi wie von selbst an. So ist es für Massiv sicherlich leicht zu verschmerzen, dass sein Management alle Promotermine bis zum Albumstart von "Ein Mann, ein Wort" am ersten Februar gestrichen hat. Es riecht stark nach einem zu zufälligen zynischen Zufall, kommt doch ausgerechnet in dieser Woche Massivs erste auf einem Major-Label produzierte Single auf den Markt. Sony BMG verwahrt sich natürlich gegen derartige Verschwörungstheorien. Aber Fakt ist: Der klotzige Rapper kann sich jetzt vom heimischen Krankenbett anschauen, wie seine Single am Wochenende in den deutschen Charts einschlagen wird.

Bessere Promo hätte sich Wasiem Taha also für sein zweites Leben als Rapstar Massiv nicht wünschen können - so widersinnig das ob der Schussverletzung auch klingen mag. Die Realness, die "Streetcredibility" ist die Währung der Straße - und dort ist er nun ein sehr reicher Mann.

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