Trauer um Regisseur Christoph Schlingensief: "Dieser verdammte Krebs"
Einen Tag nach dem Tod Christoph Schlingensiefs herrscht Bestürzung und Trauer bei Prominenten aus Kultur und Politik. Der Regisseur starb am Samstag mit 49 Jahren an Lungenkrebs.
BERLIN dpa | Der Regisseur Christoph Schlingensief ist am Samstag mit 49 Jahren im Kreis seiner Familie in Berlin an Krebs gestorben. Schlingensief war Anfang 2008 an Lungenkrebs erkrankt und operiert worden. Darüber erstattete er ausführlich in dem bewegenden "Tagebuch einer Krebserkrankung" Bericht.
Der Künstler gehörte zu den bedeutendsten Regisseuren der Gegenwart und hat wie nur wenige die deutschsprachige Film- und Theaterwelt gleichermaßen irritiert wie beflügelt. Vom Underground- Kino kommend, wurde das Enfant terrible der deutschen Kulturszene zum Aushängeschild für provokante Theater- und Operninszenierungen.
"Einer der größten Künstler, der je gelebt hat" - das ist Christoph Schlingensief für die österreichische Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek. So einen wie ihn könne es nicht mehr geben, teilte die zurückgezogen lebende Autorin schriftlich mit. "Ich dachte immer, so jemand kann nicht sterben. Das ist, als ob das Leben selbst gestorben wäre."
Opernregisseurin Katharina Wagner würdigte Schlingensief als einen großen Künstler. "Ich bin tief erschüttert, schockiert und traurig", sagte die Bayreuther Festspielleiterin. "Es tut mir wahnsinnig leid, vor allem weil er so gekämpft hat", ergänzte die 32-Jährige am Rande der Live-Übertragung der Wagner-Oper "Die Walküre" auf dem Bayreuther Volksfestplatz am Samstag.
Der Theatermacher und ehemalige Intendant unter anderem der Münchner Kammerspiele, Frank Baumbauer, bezeichnete Schlingensief als "großartigen Wachrüttler". "Mit seinen neuen Theaterformen und veränderten Wertigkeiten hat er uns durch seine Verhaftungen in der Wirklichkeit wieder und wieder aus unseren netten Nestern herausgeworfen. Er hat wirklich Großartiges gemacht und etwas bedeutet - ob in Hamburg, in Berlin, in Bayreuth, in Wien oder in Afrika", sagte Baumbauer.
Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) sagte: "Mit Schlingensief verliert die Kulturszene einen ihrer vielseitigsten und innovativsten Künstler, der die deutschsprachige Film- und Theaterwelt stark beeinflusste." Berlinale-Direktor Dieter Kosslick nannte Schlingensief einen großen Filmemacher und politischen Künstler. Schlingensief habe im wahrsten Sinne gemacht, was er wollte.
Der Krebstod des Regisseurs habe sie bis ins Mark erschüttert, sagte die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth: "Dieser verdammte Krebs! Mit Christoph Schlingensief verliert die Bundesrepublik einen der kreativsten, vielseitigsten und radikalsten Künstler."
Leser*innenkommentare
sinDY
Gast
"So schön wie hier kann es im Himmel gar nicht sein"
Wie Recht Sie hatten, Herr Schliengensief. Machen Sie das beste draus.
sue
Gast
elfriede jellinek hat's geschrieben: als sei das leben selbst gestorben.
ich habe seinerzeit nicht verstanden, warum christoph schlingensief das angebot die bayreuther festspiele zu inszenieren angenommen hat. er selbst sah seinen "krebs nach bayreuth" damals voraus! von selbsthass sprach er rückblickend in diesem zusammenhang (spiegel-interview http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-62603923.html).
was fangen wir nun an ohne ihn, seine kunst, sein engagement, seine fragen? mir graust ...
W. Lorenzen-Pranger
Gast
Wo die durch mangelndes Hirn fehlgeleitete Sparpolitik sogenannter "bürgerlicher" Politiker nicht greift, schafft manchmal das Schicksal eine entscheidende Lücke. Die intellektuelle Verarmung der Republkik schreitet, manchmal denkt man zynisch grinsend, eilig voran.
cioran2909
Gast
Danke, Christoph Schlingensief!
Für alle Deine Werke, die seit Jahrzehnten für Aufrührung, Gedanken und Emotionen sorgten. Vor allem für "Kirche der Angst", "Mea Culpa" und nicht zu vergessen Deinem Afrika-Projekt.
Mitgefühl an alle, die Dir nahe standen; Deiner Familie, Freunden, Bekannten und Verwandten!
Du warst - und bleibst eine Bereicherung für mich!!
Adieu!
sab
Gast
Selten berührt (mich) der Tod eines Menschen, den man nicht persönlich gekannt hat, hier schon. Ich kann es nicht einmal erklären. Es ist dieses Gefühl, dass da einer der wenigen Wahrhaftigen gegangen ist, die wir (im öffentlichen) Leben immer seltener haben.
Micha
Gast
Ich hab geheult.