Schauspieler Hubsi Kramar über Inzest: "Die Medien sind die Pornografen"

Um das Thema Inzest wird eine Mauer des Schweigens errichtet, sagt der Theaterchef und Schauspieler Hubsi Kramar. Sein Stück über den Fall Fritzl sei eine Chance, diese endlich niederzureißen.

Autor Hubert "Hubsi" Kramar gilt in "Österreich" als "Nestbeschmutzer". Bild: dpa

Hubert Kramar, 60, ist Schauspieler, Regisseur und Theaterchef des 3raum-Anatomietheaters in Wien. Dort startet am 23. Februar das Stück "Pension F.". Kramar spielte unter anderem in Steven Spielbergs "Schindlers Liste" mit.

Das Stück: Eigentlich sollte am 23. Februar das Stück "Pension Fritzl" von Hermann Fritzl und Hubsi Kramar anlaufen. "Pension F." ist die aktualisierte, ultimative Mediensatire, alle spielen mit, jeder spielt sich selbst.

Die Stimmen: FPÖ-Kultursprecher Gerald Ebinger sieht in dem Stück eine "abgrundtiefe Perversion, die zum Himmel stinkt", und eine "enorme Schande" für Wien.

Der Prozess: Am 16. März 2009 wird Joseph Fritzl im österreichischem St. Pölten von Gericht stehen - wahrscheinlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der 73-Jährige hat gestanden, seine Tochter 24 Jahre lang in einem Kellerverlies gefangen gehalten und vergewaltigt zu haben. In der Zeit zeugte er mit ihr sieben Kinder. Drei der Kinder mussten mit ihrer Mutter in Gefangenschaft leben, eins starb nach der Geburt, die anderen lebten bei Fritzl und seiner Frau. Nach einem Stern-Bericht versuchte der 73-Jährige aus dem niederösterreichischen Amstetten, die Vernehmungs- und Ermittlungsprotokolle für 4 Millionen Euro an britische Boulevardzeitungen zu verkaufen. Die Anklage wirft Fritzl Mord, Vergewaltigung, jahrelange Freiheitsberaubung und Sklavenhaltung vor. Er muss mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung rechnen.

Im April 2008 wurden die Taten von Joseph Fritzl bekannt. Amstetten wurde in der Folge von Reportern belagert. "Die Verantwortung der Medien liegt darin, wenigstens jetzt die Würde der Opfer zu wahren", schrieb Bernd Pickert am 29. April 2008 im taz-Kommentar zu dem Fall.

Kramar zur Änderung des Titels: "Am 05. 02. ist am Eingang unseres 3raum-anatomietheaters ein Vandalenakt verübt worden. Es wurden alle Plakate heruntergerissen, die Werbeflyer entfernt und das Theater-Eingangsschloss mit einem Superkleber verklebt, sodaß man das Schloß nicht mehr aufsperren kann. Es kann durch die Verhetzung, die vor allem von der FPÖ in Wien, von Kronen Zeitung und der Gratis-U-Bahnzeitung Heute betrieben worden ist, ein gefährlicher Flächenbrand entstehen. Besonders die Verwendung des Wortes Fritzl (obwohl ein Mitautor ja Fritzl heißt) beim Ursprungstitel "Pension Fritzl" war einer der Auslöser der Hassartikel gegen mich, und diese Arbeit wurde mir vom Chefredakteur des Heute mitgeteilt. Weiters ist vom Opferanwalt den Medien untersagt worden, das Wort Fritzl auszuschreiben. Also hätte es auch keinen Sinn mehr, darauf zu beharren. Nun wir werden sehen, was weiter geschieht.

Ich hoffe, daß ich meine Arbeit machen kann und herzeigen kann, was wir machen. Es ist jedenfalls inzwischen nicht ungefährlich, in Österreich über die Machenschaften bestimmter Medien, die die Macht im Staate übernommen haben, etwas zu machen - und sei es nur im Rahmen eines Kunstprojektes."

taz: Herr Kramar, Sie bringen in Ihrem Theater ein Stück mit dem Titel "Pension F.". Was wollen Sie damit erreichen?

Hubert Kramar: Meine erste Idee war, eine große, gesellschaftsimmanente Wunde zu zeigen. Machtmissbrauch, Gewalt in der Familie und solche Dinge. Darum geht es mir in diesem Stück. Und die Rolle der Boulevardpresse. Und ich glaube, dass der Rummel, der jetzt gemacht wird, unter anderem mit dieser schwärenden Wunde zu tun hat. Das Stück ist die Chance, kurz durch die Mauer des Schweigens zu brechen. Es sollte doch darum gehen, die Opfer wirklich zu schützen.

Und wie möchten Sie das tun?

Die Boulevardpresse hat sich in meinem Fall die Maske der Heuchelei selbst abgenommen. Großartig. Die Medien machen mein Stück nun selbst. Diese Journalisten stellen mich so hin, als ob ich die Opfer verhöhnen würde. Sie aber zerren jedes Opfer in ihre Sudelblätter. Sie sind die wirklichen Pornografen. Ich beleuchte das kritisch. Meine erste Premiere war meine Pressekonferenz, nun wird das Material aus der Presse gesammelt, ich bin nur Teil eines schon laufenden Stücks. Für die Premiere am 23. Februar bin ich der Berichterstatter auf der Bühne. Es wird ein "Opfer" geben, das aber nicht verhöhnt wird. Aus dem Ursprungsstück gibt es noch eine Showlinie, das nämlich orientiert sich an Becketts "Warten auf Godot". Und der "Fritzl" in uns wird den Medien live präsentiert. Aber die Medien, auch Sie, schreiben das Stück selber, mit ihren Artikeln. Theater kann nicht mehr im geschlossenen Theaterraum stattfinden, sondern es gehört an die "frische" Luft. Wie die "Pension F.". Es ist eben eine Mediensatire, die von den Journalisten selbst geschrieben wird. Am liebsten hätten es bestimmte Medien, wenn ich mich wie bei der griechischen Tragödie bei der Premiere selbst erschieße.

Wie lange wird das Stück laufen?

Das Stück dauert schon seit dem 12. Januar und wird vorbei sein, wenn die Gewaltstrukturen sich verändert haben. Aber solange die patriarchale Gesellschaft so ist, wie sie ist, bleibt alles beim Alten.

Wenn Ihre Intention so gut ist, was ist dann schiefgelaufen? Was ist passiert?

Das, was mir eigentlich immer passiert: nämlich Österreich. Bisher habe ich mich viel mit Hitler beschäftigt, versuche, den Hitler in mir zu verstehen. Ähnlich mache ich es jetzt mit Fritzl. In jedem Mensch steckt etwas drin, was zu fürchterlichen Dingen führt. Auch in mir. Ziel meiner Arbeit ist es, Licht in dieses Dunkel zu bringen, in Naziverbrechen, aber auch Machtmissbrauch in der Familie. Um das Thema Inzest wird eine Mauer des Schweigens errichtet. Es gibt aber eine Mauer der Bürokratie, wenn die Opfer Hilfe brauchen. Und dann ist da noch der Umgang der Boulevardpresse mit diesen Themen.

Was stört Sie denn am Umgang der Presse mit dem Fall Fritzl?

Die Berichterstattung zeugt von Heuchelei, Opfer werden vorgeführt und pornografisiert. Die Leser können die Hilflosigkeit dann durch das Bild der vom Leben geplagten Menschen auf die eigene Familie projizieren. Ist das Verbrechen der Inzest, oder was die Presse daraus macht? Jetzt wird ein - weil ich in der Presseaussendung "Fritzlsöhne" und "Fritzltöchter" schreibe - ein bestimmtes Bild konstruiert.

Aber Ihre Ankündigung konnte man doch auch falsch verstehen.

Ich würde nie die Familie verhöhnen. Mein Mitarbeiter heißt nun mal Fritzl Hermann Fritzl. Ich arbeite häufig mit Opfern. Für mich ist das Fritzlsche Monster, das uns in der geistigen Gefangenschaft hält, die Kronen Zeitung. Nachdem die Ankündigungen raus waren, fuhr ich weg. Als ich zurückkam, fand ich in der Kronen Zeitung und vor allem im Gratisblatt Heute verhetzende Artikel über mich. In dem Moment ist mir klar geworden, diese geplante Mediensatire schreibe nicht ich, sondern die schreiben die Medien selbst. Die durch die Art der perfidesten Berichterstattung über mich darauf aus sind, meine Existenz zu ruinieren.

Die Premiere am 23. Februar soll unter Polizeischutz stattfinden.

Das Satirikerduo Stermann und Grissemann wird in Österreich unter Polizeischutz gestellt. Nun ich. Der Künstler, der sich nicht an die Regeln hält, der gehört nach Ansicht der Gesellschaft vernichtet. Wenn Mausi Lugner nackig durch das Dschungelcamp läuft, gilt das als großartig. Damit wird man dann verglichen. Das andere große Problem in Österreich geht von der FPÖ aus. Die machen mit Subventionen jetzt Wahlkampf …

und bezichtigen Sie jetzt sogar der Volksverhetzung. Warum?

Weil ich, wie mir unterstellt wird, wie auch der Elfriede Jelinek, dem Nitsch und anderen, Österreich im Ausland schlechtmache. Jelinek hat den Literaturnobelpreis bekommen, während so ein ehemaliger Jörg Haider, der voll besoffen als "Landesvater" mit 170 Sachen durch die Ortschaften seiner Landeskinder rast und dabei explodiert, wieder heiliggesprochen und als Vorbild hingestellt wird. Die FPÖ in Wien hat bereits zwei Hetzartikel über mich versendet. Am 12. Januar habe ich bei einer Pressekonferenz alles klargestellt, dass die "Pension Fritzl" keine Komödie ist, dass es um den Fritzl in uns selbst geht, dass ich für die Opfer der Tragödie in Amstetten größtes Mitleid empfinde. Obwohl diese Redakteure bei der Pressekonferenz waren, wurde am nächsten Tag wieder geschrieben, dass der Skandalregisseur, also ich, weiter auf seiner Komödie beharrt.

Wie gehen die Politiker der anderen Parteien mit dem Fall um?

Ja, die sagen: "Was willst du denn, das ist doch ganz normal!" Das ist der eigentliche Skandal, dass die österreichischen Verantwortungsträger, die demokratisch gewählten, die nicht der FPÖ angehören, sich nicht öffentlich äußern. Stattdessen sagen sie, das ist normal. So weit sind wir schon wieder?!

Weshalb tun Sie sich das an?

Wegen meiner Freiheit und der Freiheit der Menschen, die diese für mich möglich gemacht haben. Nur durch sie kann ich als Künstler Dinge tun, die Kraft haben, öffnen. Die Boulevardpresse gefährdet diese Freiheit, denn sie ist einengend. Es geht darum, dass sich Menschen mit unserer Arbeit identifizieren können. Wie ein Bäcker gutes Brot backt, so sollte unser "Brot", das wir "backen", gesellschaftsrelevante Kunst sein, die etwas öffnet, uns weiterbringt. Durch diese Art des Vermittelns bekommt für mich das Theater seinen Sinn.

Aber was ist gerade interessant am Thema Missbrauch?

Ich bin doch genauso Opfer meiner künstlerischen Triebtätigkeit. Außerdem gibt es für mich nichts "Privates". Privare heißt berauben. Es ist eine Art des Wegsperrens bestimmter menschlicher Seinsformen. Dadurch raubt man der Gesellschaft die Möglichkeit, etwas aufzuklären. Das hat mit patriarchalen Machtverhältnissen zu tun. Unserer monotheistische Zwangsgesellschaft sagt zum Beispiel, die Menschen müssen jemand anderem ein Leben lang treu bleiben; das ist eine Lüge, die den Triebtäter Mann bedient, der immer wieder Opfer braucht, um seine aufgestauten Triebe zu befriedigen.

Und Ihre Hoffnung?

Die mache ich mir, wenn es darum geht, verborgene Dinge zu beleuchten. Aus dem Getto des üblichen Theaters hinauszugehen. Es ist eben gut, sich nicht nur in geschlossenen Kunsträumen über den Machtmissbrauch in den verschiedensten Formen immer wieder mit Gleichgesinnten Gedanken zu machen. Es ist wichtig, auch mit anderen darüber zu reden, das finde ich notwendig. Dann ist den Opfern geholfen, und dann ist der Gesellschaft geholfen.

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