Internationale Medienkunstkonferenz: Ein Ufo landet in Singapur

Mit High-Tech-Labs versucht Singapur sich in der Kreativindustrie zu positionieren. Eigenen Künstlern gegenüber verhalten sie sich aber restriktiv. In Singapur tagte die Medienkunstkonferenz ISEA.

Auch ein Thema auf der ISEA: Kunstprojekte in der Online-Welt Second Life. Bild: reuters

Die ISEA ist wie ein Ufo. Alle zwei Jahre landet die internationale Medienkunst-Konferenz irgendwo auf dem Erdball und zieht für kurze Zeit buntes, fahrendes Medienkunst-Volk aus aller Welt an. Dem werden dann eine knappe Woche lang nonstop Kunst, Performances, Vorträge und Panels präsentiert, die man jeden Abend auf einer anderen Ausstellungseröffnung beim Vernissagen-Wein Revue passieren lassen kann. Gut informiert über die neuesten Entwicklung in Sachen Kunstprojekte mit Mobiltelefonen, computergestützte Choreografie und Online-Performances verstreut man sich danach wieder in alle Himmelsrichtungen.

Die Konferenz wird seit 1990 von der in Holland beheimaten Inter-Society for the Electronic Arts (ISEA) ausgerichtet, zuletzt in San Diego und 2004 auf einem Kreuzfahrtschiff, das von Helsinki nach Tallinn schipperte. Für die Ausrichtung der ISEA bewerben sich Städte aus der ganzen Welt, und um den Zuschlag zu bekommen, muss man - wie die Kreuzfahrt in der Ostsee zeigt - schon etwas bieten. Denn die ISEA ist nicht einfach irgendeine Medienkunst-Veranstaltung. Wenn Medienkunstfestivals wie die ars electronica in Linz oder die Transmediale in Berlin die CeBits der Szene sind, so ist die ISEA ein Treffen des Managements. Es kommen Festivalleiter, Kuratoren, Professoren, Künstler und andere Würdenträger zu der Konferenz, die sich bewusst nicht an ein breiteres Publikum wendet, sondern vor allem an die Entscheidungsträger.

Und die finden dort ein dicht gedrängtes Konferenzprogramm vor. In bis zu sieben gleichzeitig stattfindenden Panels werden im Halbstundentakt akademische Vorträge und Künstlerpräsentationen abgespult. Der Besucher hat alle dreißig Minuten die Qual der Wahl: Soll er nun den Vortrag über kulturelle Archetypen in der koreanischen Medienkunst anhören? Oder den über Kunstprojekte in der Online-Welt Second Life? Vielleicht lieber die Präsentation eines taiwanesischen Online-Orakels? Und was mag sich wohl hinter dem Titel "Vertov in the age of YouTube" verbergen?

Alle dreißig Minuten kommt dann dasselbe Ritual zur Aufführung. Ein Vortragender tritt vor das Publikum, steckt den Stecker des Beamers in seinen Laptop, startet Powerpoint, umreißt erst sein Thema, dann den theoretischen Rahmen seiner Überlegungen, indem er einige klangvolle Theoretikernamen fallenlässt. Dann stellt er seine Thesen oder sein Kunstwerk vor, wenn dann noch Zeit sein sollte, kann das Publikum Fragen stellen. Der Nächste bitte.

Die Hauptaufgabe der Moderatoren besteht darin, die Redner an die Einhaltung der vorgegebenen Redezeit zu erinnern. Denn alle halbe Stunde hastet das Publikum wie bei der "Reise nach Jerusalem" von einem Vortragssaal zum anderen, um den nächsten Beitrag nicht zu verpassen, den sie sich am Morgen beim Hotelfrühstück im Konferenzprogramm angestrichen haben. Unpünktlichkeit und überzogene Zeiten bringen das ganze System aus dem Takt.

Wer hier einen Vortrag hält, denkt sich besser einen schmissigen Titel aus, der Publikum zieht. Denn eine Präsentation bei der ISEA kann darüber entscheiden, was in den nächsten Monaten bei den Medienkunst-Festivals und -Ausstellungen in der ganzen Welt gezeigt wird oder wer welche Professur an welcher Kunstakademie bekommt.

Dieses Jahr fand die ISEA in Singapur statt und damit zum ersten Mal in einem Land Südostasiens. Der von chinesischen Auswanderern dominierte Stadtstadt hat seit Anfang der 70er-Jahre einen beispiellosen wirtschaftlichen Boom erlebt und als einziges Land in der Region den Aufstieg zum Erste-Welt-Land geschafft. Die ehemalige britische Kronkolonie gilt heute als das Land mit der geschäftsfreundlichsten Infrastruktur auf der ganzen Welt. Aus der verruchten, orientalischen Hafenstadt voller Rikschakulis, Opiumhöhlen und Seemanns-Bordellen ist eine wuchernde SimCity geworden, in der im Jahresrhythmus gigantische Hotels, Shopping-Malls und Bürohäuser durch noch gigantischere Hotels, Shopping Malls und Bürohäuser ersetzt werden.

Der Wohlstand Singapurs stammt aus Handel, Industrie und Finanzdienstleistungen. Die Hafenstadt, die keine Einfuhrsteuern erhebt, verarbeitet die Rohstoffe aus umliegenden Ländern wie Malaysia und Indonesien und verdient an den Waren, die durch ihren Hafen gehen. Doch das ist der Stadtregierung inzwischen nicht mehr genug. Sie hat ihren Blick auf Medien, Software und Multimedia gerichtet und investiert gezielt in die Entwicklung dieser Industrie. Darum sind Veranstaltungen wie die ISEA in der Stadt höchst willkommen. Sie signalisieren nicht nur, dass Singapur sich als Medienstadt begreift, sondern sollen dem lokalen "knowledge worker" auch eine Gelegenheit bieten, sich über internationale Trends zu informieren.

Denn trotz aller staatlichen Anstrengungen will es in Singapur nicht so richtig funktionieren mit der Etablierung einer Kreativindustrie. Die Stadt scheint die Fantasie von Gamedesignern, Filmemachern und anderen Künstlern nicht gerade zu beflügeln. Für den Landesvater Lee Kuan Yew, der von 1959 bis 1990 als Premierminister das Land nach Gutsherrenart führte und bis heute als "Minister Mentor" hinter den Kulissen die Fäden zieht, hätten bürgerliche Freiheiten bei der rasanten ökonomischen Entwicklung der Stadt nur gestört. Für ihn war die Bevölkerung Singapurs nach dem Abzug der britischen Kolonialherren für die Demokratie nicht bereit, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch unter dem gegenwärtigen Premier Lee Hsien Loong, übrigens Lees ältester Sohn, ist die Freiheit der Presse ebenso eingeschränkt wie Rede- und Demonstrationsrechte. Lästige Oppositionspolitiker und Bürgerrechtler werden mit Prozessen überzogen und mit kleinkarierten Schikanen in ihrem Tatendrang gebremst.

So ist Singapur heute weltweit nicht als Medienmetropole bekannt, sondern als die Stadt, in der man Taschendiebe mit Stockschlägen bestraft und Auf-die-Straße-Spucken mit hohen Geldbußen ahndet. Der amerikanische Science-Fiction-Autor William Gibson hat Singapur in einem Artikel für die Zeitschrift Wired 1993 als "Disneyland mit der Todesstrafe" bezeichnet. Fünfzehn Jahre später ist Gibsons Text immer noch verblüffend aktuell.

Immerhin hat die Stadt mit der Singapore Management University und der Nanyang University exzellent ausgerüstete und topmoderne Institutionen, wie die ISEA-Gäste an den Orten der Konferenz feststellen konnten. Staunend läuft der Besucher durch Universitätsgebäude voller Hightech-Labs mit farbenfrohen Mensen, Fitness-Studios und Zahnarztpraxen. Hier unterrichten freilich häufig westliche Expats, die ihre Tage damit verbringen, über die unmotivierten Studenten zu klagen, die keine eigenen Ideen hätten und gute Noten durch Auswendiglernen und Nachbeten erzwingen wollen.

Wenn Singapur dann aber tatsächlich einmal eigene Künstler hervorbringt, tut die Politik das Ihre, um ihnen das Leben so sauer wie möglich zu machen. Die beiden Independent-Filmemacher Eric Khoo und Royston Tan, die ihre Werke regelmäßig bei Festivals in der ganzen Welt zeigen, haben beide schon unangenehme Begegnungen mit der lokalen Zensurbehörde gehabt und konnten ihre Filme nicht im eigenen Land zeigen. Und auch bei der Singapur-Biennale - einem anderen Versuch der Stadt, sich durch eine regelmäßige Kunstausstellung ein schöpferischeres Image zu verpassen - mussten Arbeiten in letzter Minute abgebaut werden, weil sie Offiziellen missfielen.

Wenigstens mit Zensur hatte die ISEA keine Probleme. Die Arbeiten, die bei der ISEA-Ausstellung im gerade frisch renovierten und ausgebauten Nationalmuseum gezeigt wurden, folgten allerdings gleichfalls dem Singapurer Modell des Kreativitätsimports: Aus der ganzen Welt waren 16 Künstler eingeladen worden, um als "artist in residence" an den Labs und Forschungseinrichtungen der National University of Singapore Medienkunstarbeiten zu entwickeln. So kooperierten beispielsweise die Serben Kristian Lukic, Vladan Jolet und Zvoko Gorecan mit dem Graphics, Geometry & Games Lab der Uni, um ihre eigene Version des Computerspiels Civilization zu entwickeln. Statt prähistorischer Stämme oder der alten Griechen und Römer kämpfen hier die Imperien der Gegenwart miteinander: Google, Microsoft, Yahoo und MySpace.

Die Inderinnen Shilpa Phadke, Shilpa Ranade und Sameera nahmen für ihr Video "Gendered Strategies for Loitering" (Geschlechtsspezifische Strategien beim Herumlungern) in Zusammenarbeit mit dem Cyberarts Studio der Uni Zeitrafferaufnahmen von öffentlichen Orten auf, die sie anschließend mit dem Computer analysierten und aufbereiteten. Das Resultat war aussagekräftig: Das Herumgammeln auf Straßen und Plätzen ist in Singapur weitgehend das Privileg von Männern; Frauen, die im öffentlichen Raum müßiggehen, wirken hingegen schnell verdächtig.

Der Filipino Tad Ermitano produzierte in Zusammenarbeit mit einem Uni-Institut ein interaktives Gamelan-Orchester, das der Betrachter durch Gestikulieren dirigieren konnte - die traditionellen Gongs und Xylofone kamen vom Orchester der Universität. In den Philippinen hätte der Künstler nie die dafür erforderlichen Ressourcen auftun können. Diese Art von Kooperationen können darum als einer der echten Erfolge der diesjährigen ISEA betrachtet werden.

Gleichzeitig machen sie aber auch umso augenfälliger, wie wenige Teilnehmer aus der Region bei der ISEA waren. Ein Grund dafür mag sein, dass die ISEA-Organisatoren unreflektiert das Modell US-amerikanischer Konferenzen übernommen haben: Vortragende mussten für Anreise und Unterkunft selbst aufkommen und hohe Teilnahmegebühren bezahlen. Menschen aus südostasiatischen Entwicklungsländern wie Thailand, Indonesien oder den Philippinen waren damit von der Teilnahme an der Konferenz praktisch ausgeschlossen. So dominierten wie jedes Mal internationale westliche Reisekader die ISEA, die dadurch diesmal noch ein wenig UFO-hafter wirkte als sonst. Für Singapur wäre es allerdings wohl produktiver gewesen, in unmittelbaren Nachbarländern nach Kreativität Ausschau zu halten, als einmal mehr die in ganz Asien berühmt-berüchtigten "westlichen Experten" einzufliegen.

Die nächste ISEA soll voraussichtlich einem anderen Teil der Welt Glanz verleihen, der schon seit geraumer Zeit versucht, seine industrielle Vergangenheit durch Förderung der Medienwirtschaft hinter sich zu lassen: dem Ruhrgebiet, das 2010 europäische Kulturhauptstadt wird. Den endgültigen Zuschlag hat der designierte Chef, der ehemalige Transmediale-Leiter Andreas Broekmann, zwar noch nicht bekommen. Doch die Chance, so hört man, stehen nicht schlecht, in zwei Jahren ISEA-Gastgeber zu werden.

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