"Minna von Barnhelm" in Hamburg: Fehlt da was?

Karikaturen des Männlichen, die nicht komisch sind: Karin Henkel inszeniert "Minna von Barnhelm" am Schauspielhaus. Mit Major Tellheim als Hosenrolle.

Sein ganzes Mannsein ist ihm abhanden gekommen - Jana Schulz als Tellheim. Bild: dpa

Nach dem Krieg ist vor dem Krieg: Zwar liegt auch nach dem Krieg etwas in der Luft, das nach Veränderung riecht. Aber an den großen Gefühlen wie Liebe und Ehre leidet man wie zuvor. Die Nachkriegsmänner sind ziemlich abgerissen, die Frauen längst geblendet von der Illusion des Neuanfangs. Eine schäbige Kneipe namens "Krieg und Frieden" ist da natürlich auch kein hilfreicher Treffpunkt, damit die heiratswillige Minna den kriegsgeschädigten Tellheim für sich gewinnt.

Leicht macht es Karin Henkel ihren Paaren wie so oft auch in dieser "Minna von Barnhelm" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg nicht. Die 1970 geborene Regisseurin inszeniert mit Vorliebe Klassiker der Dramenliteratur. Fürs reine Nachspielen oder konkrete soziale Verortung interessiert sie sich jedoch weniger. Lieber nutzt sie die Stoffe und vor allem die Liebesbeziehungen darin als Spiegel, der ein Bild zurückwerfen soll: das der Gegenwart von sich selbst. Das Ergebnis sind formal sehr unterschiedliche Abende, in denen man im gelungenen Fall Überdrussgesellschaften bei ihren zugespitzten Gesellschaftsspielen beobachten kann. Das gelang Henkel zum Beispiel in ihrer Stuttgarter Inszenierung von Tschechows "Platonow". Dort ist ein aus Langeweile geborener Verführer zu beobachten, der in flatterhafter Spiellaune die Frauen erobert.

So ein unwiderstehlicher Womanizer wie Platonow kann Major Tellheim aber gar nicht sein. In Lessings 240 Jahre altem Lustspiel über den Sieg der Vernunft in Vaterlands- wie Nächstenliebe hat der Krieg dem Major zwar Minnas Zuneigung eingebracht, aber auch eine Reihe von Verletzungen. Sein angeschossener Arm ist steif, und seine Ehre zutiefst gekränkt. Zudem ist er finanziell völlig abgebrannt. Das wiederum ist ein Zustand, in dem er unmöglich dem Fräulein Barnhelm begegnen will, geschweige denn, sein Eheversprechen einhalten kann.

In Karin Henkels Inszenierung treibt ihn nicht nur die Urangst vor dem sexuellen Versagen um, sein ganzes Mannsein ist ihm abhanden gekommen. Konsequent von der ersten Szene an spielt die Schauspielerin Jana Schulz die Männerrolle. Sie trägt das abgerissene Tank-Top eines Soldaten und misstraut mit Blicken in ihre Unterhose immer wieder ihrem Geschlecht. Die Verunsicherung des Körpers färbt schnell auf den Kopf ab. Mal zieht es Tellheim auf die Damen- dann wieder auf die Herrentoilette. Von dort kommt er kostümiert im Ritter- oder im Cowboykostüm - lauter Zitate, wie ein ganzer Kerl so auszusehen hat.

Der Abend ist gespickt mit Karikaturen des Männlichen, aber komisch ist er nicht. Das im Grunde dürftige Männerbild lastet schwer auf ihm. Eine Frau in Männerrolle ist kein Garant für eine genauere Darstellung männlicher Identitätsprobleme. Die Zweideutigkeit gelingt den Frauen viel besser, vor allem der strengen Zofe Franziska (Julia Nachtmann), die im Oberfeldwebelton ihre Jungfräulichkeit verteidigt und insgeheim die Botschaft aussendet, sie endlich verlieren zu wollen.

Eigentlich haben sich ja in Kriegszeiten die Paare gefunden, die friedlich miteinander könnten: Minna und ihre Zofe Franziska, Tellheim und sein Kriegskamerad Paul Werner, die schon mal demonstrativ im Zungenkuss versinken. Aber jetzt ist Frieden. Minna hat sich in den Gasthof eingemietet, um Tellheim zu finden und - ganz weibliches Rollenklischee - endlich unter die Haube zu kommen. Und zwar mit aller Gewalt, ein erotische Prickeln löst dieser mit sich hadernde Tellheim sowieso nicht aus. Zu Lessings Zeiten glaubte man fest daran, dass die Vernunft die Liebes- und Gefühlsdinge schon ordnen kann. Der Fortschritt der Menschheitsgeschichte ist in diesem Abend aber so eine Sache. Die Regisseurin treibt das Stück zielsicher in den geschlechtlichen Vernichtungskampf und verpasst ihm gleich zwei tödliche Endungen. Erst erschießt sich Tellheim, dann erwürgt er Minna wie in einem halluzinogenen Trip, und ein Happy End gibt es dann nur in einem blutbefleckten Hochzeitskleid. Das sind Szenen, die eine beängstigend realistische Brutalität entwickeln.

Gespielt wird in einer heruntergekommenen Kneipe. Hinter einem Varietévorhang öffnet sich ein weiterer Bühnenraum, in dem das Morden stattfindet. Henkel hat vor einem halben Jahr in Hamburg in Schnitzlers "Komödie der Verführung" eine abendliche Partygesellschaft beklemmend in den Untergang laufen lassen. Ihre neue Inszenierung schafft den Sezierblick nicht. Die eingeschobenen Behauptungen, dass alles nur Spiel sei, wirken hermetisch und stutzen den Abends unangenehm zurecht. Und man bräuchte sie auch gar nicht. Die Liebe, die Gutes will und Schlechtes schafft, wird in der Inszenierung treffend zum fatalistischen Symbol: Die Mühen eines Einzelnen führen zu nichts. Selbst wenn man Minna heißt. SIMONE KAEMPF

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