Spielzeiteröffnung: Im Verteilungskampf

Ulrich Khuons erste Saison am Deutschen Theater Berlin beginnt mit Stücken nach Joseph Conrad und Lukas Bärfuss.

Nina Hoss als Eva Kahmer und felix Goeser als Herbert Kahmer. Bild: Arno Declair

Dio Wohnung ist angeschmuddelt, das Zimmerfenster milchig, auf dem Fußboden kriecht die Hausherrin langsam unter einer Decke hervor. Ihr Rock sitzt noch, aber alles außerhalb ihrer vier Wände ist für sie inexistent, ein "Scheißland. Mit Scheißmenschen. Einer Scheißkultur". Aber auch mit Scheißöl, das ihr Mann sucht. Deswegen ist sie hier, und inmitten der unwirtlichen Umgebung wird der Radius ihres eigenen Selbstverständnisses immer enger.

Diese Eva Kahmer, die in grauen Haussocken in der Inszenierung von Lukas Bärfuss neuem Stück "Öl" auftaucht, ähnelt wohl wenig jenen Ehefrauen internationaler Angestellter, die Bärfuss auf Recherchereisen nach Ruanda und Kasachstan zu dem Stück inspirierten. Ihr Mann ist der Letzte, der noch nach Öl bohrt, alle anderen sind weitergezogen. Dass diese Form von modernem Kolonialismus die Existenz in kaum lösbare Widersprüche verstrickt, legt Regisseur Stephan Kimmig am Deutschen Theater Berlin treffsicher offen.

Über weite Strecken wird die Stimmung eines Eheschlachtendramas beschworen, in dem Nina Hoss als Eva Kahmer für ihren Überdruss vor allem ein Opfer hat: Die einheimische Hausangestellte Gomua muss Deutsch lernen, um Rilke-Gedichte zu rezitieren, und wird für jeden Fehler niedergemacht. Gomua kocht Huhn, und die Westeuropäerin fühlt sich gequält vom Geschmack. Dieses Machtgefüge wird noch provoziert durch Gomuas (Margit Bendokat) stoisches Schweigen. Und auch Nina Hoss fällt nie aus der Rolle der Europäerin, die sich rhetorisch immer wieder selbst zum Opfer umbiegt und ihre Gnadenlosigkeit mit ihrer Zivilisiertheit maskiert. Alles bleibt hier im Privaten, die Inszenierung giert in keiner Weise nach der Bedeutsamkeit ihres Stoffes oder der Dimension von Rohstoffausbeutung und Schuldverstrickung des Westens. Aber wenn Eva verbal das Terrain absteckt, dann geht es um den Verteilungskampf zwischen Erster und Dritter Welt, und aus dem - das ist die klare Botschaft - kommt man nicht unbeschädigt raus.

Die Geschichte der Rohstoffausbeutung ist so alt wie die Menschheit, und immer noch führt sie in Regionen, in denen unbekannte Gefahren lauern. Auf solchen Reisen ist man bald tot, Millionär oder um Erfahrungen reicher. Jedenfalls nicht mehr derselbe, suggerieren die beiden Eröffnungsstücke am Deutschen Theater Berlin. Nicht der junge Kapitän Marlow, der in Joseph Conrads 100 Jahre alter Erzählung "Herz der Finsternis" auf einer Schiffsreise in den Dschungel dringt und damit metaphorisch ins Innere der machthungrigen Menschenseele. Auch Eva Kahmer ist in "Öl" bald nicht mehr die alte. Ihre westeuropäische Entfremdung ist mitgereist, ihr Fehler in der Existenz, dem sie so ausgesetzt ist, dass es kein Entrinnen gibt.

Es ist alles andere als Zufall, dass der neue Intendant Ulrich Khuon seine erste Spielzeit am Deutschen Theater Berlin mit Stoffen eröffnet, in denen nicht etwa der lange Weg von afrikanischen Flüchtlingen nach Europa im Mittelpunkt steht, sondern, umgekehrt, der gebildete, reflektierte Mitteleuropäer in die Ferne zieht. Am Hamburger Thalia Theater spielte die Vereinzelung des modernen Individuums, der bröckelnde emotionale und gesellschaftliche Halt in den Inszenierungen immer wieder eine Rolle. In seiner ersten Berliner Arbeit unter Khuon setzt Kimmig das überzeugend als Psychogramm einer Existenzzerrüttung fort, in der eine Sicherheit gebende Umgebung verloren geht. Wenn Herbert Kahmer (Felix Goeser) vom Ölfeld zurückkehrt, wird der Ton auf der Bühne aggressiver. Das Öl hat das Paar in die Ferne getrieben, wo es sich sichtlich fremd wird. An dem Punkt bleibt Kimmigs Realismus dann allerdings stehen und ringt um ein glaubwürdiges Bild für das Mädchen (Susanne Wolff), das auftaucht. Halb mephistophelischer Geist, halb toughe Geschäftsfrau trägt sie chinesische Kriegsstrategien vor und verhilft Eva unsinnig brachial-therapeutisch zur Emanzipation, bis diese ihren Mann und seinen Ingenieur erschießt. Nina Hoss spielt das allerdings fesselnd bis zum Schluss, mit einer subtilen Not, die sich in sie frisst.

Die Fremde bleibt bei Kimmig immerhin fremd, während Andreas Kriegenburgs assoziativer Bilderreigen "Herz der Finsternis" permanent zitiert, was man sich so darunter vorstellt. Joseph Conrads Erzählung erzählt retrospektiv die Erlebnisse des jungen Kapitäns Marlow auf seiner Reise in den Dschungel. Natali Seelig spielt ihn von Anfang an gezeichnet mit hängenden Schultern und gefrorenem Schrecken in den Augen. Was sie sahen, reproduziert Kriegenburg auf der schachtelartigen Bühne mit optischen und akustischen Effekten. Wenn von den Halseisen der Sklaven die Rede ist, setzen sich die Schauspieler schwarze Masken auf und rasseln mit Ketten. Wird das Gefecht mit Wilden geschildert, schießen sie mit Staubkanonen, und nicht zuletzt bei Marlows Stichwort, dass die geschundenen Schwarzen "nichts Irdisches mehr waren", werden sechs Riesenpuppen, verhungert ausgezehrte Schwarze, auf die Bühne gesenkt. Ihr Anblick verwandelt sich weder in flirrende Irrealis, noch verweist er auf reale Zustände. Der Kunstwille schweift weit bei Kriegenburg, aber es ist Kimmigs konzentrierte Inszenierung, die das Fremde eindrucksvoll aus sich selbst wachsen lässt.

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