Doku-Fotografie in Leipzig: Krieg ohne Pathos

Individuell, exemplarisch, dokumentarisch: Die amerikanische Fotografin Judith Joy Ross zeigt in Leipzig Werkreihen über das Leben mit dem Krieg.

Judith Joy Ross vor Plakaten zu ihrer Ausstellung in Leipzig. Bild: dpa

Nur einen Tag nachdem Judith Joy Ross ihre Porträts von Anti-irakkriegsdemonstranten an die New York Times geschickt hatte, landeten die Fotografien wieder bei ihr. Abgelehnt. "Zu subjektiv", befand die Zeitung. Die amerikanische Dokumentarfotografin hatte sich von der Emphase der Proteste und ihrer eigenen Kriegsgegnerschaft aus einer Schaffenskrise ziehen lassen und war 2006 mit einem neuen Sujet zu einem ihrer alten Themen zurückgekehrt: die Spuren des Krieges in den Gesichtern von Menschen festzuhalten, ohne den Krieg selbst abzubilden.

Die Galerie der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst zeigt nun drei Werkgruppen der Fotografin zu diesem Thema. Die Ausstellung "Living with war" war zuvor im Bottroper Josef-Albers-Museum zu sehen und ist die erste Einzelschau der Fotografin in Europa überhaupt. Während Ross in den USA zu den zentralen Figuren der dokumentarischen Fotografie zählt und in namhaften Museen ausstellt, ist sie hierzulande relativ unbekannt.

An den Wänden des hohen, kubischen Leipziger Ausstellungsraumes hängen die beiden Reihen "Protesting the U. S. War in Iraq", entstanden 2006/2007, und "U. S. Army Reserve On Red Alert/Gulf War Rallies", fotografiert 1990, am Vorabend des Eintritts der USA in den Zweiten Golfkrieg. In einem länglichen, geduckten Raum oberhalb des Hauptraums werden in fast andachtsvoller Atmosphäre Porträts von Besuchern des Vietnam Veterans Memorial in Washington gezeigt. Die insgesamt rund 80 Fotografien sind von einer anrührenden Nähe und Intensität, die ihren dokumentarischen Gestus nie aufgeben. Ross interessiert sich gleichermaßen für den Einzelnen wie für Prototypen, Gruppen, Stellvertreter fürs Ganze. Mit Empathie bringt sie Individualpsychologie und Exemplarisches in eine wundersame, sprechende Balance.

In der Reservisten-Serie blicken Uniformierte, die vielleicht schon morgen ihren Marschbefehl bekommen, suchend, teilweise ängstlich in die Kamera. Statuarisches, selbstvergewisserndes Posieren. Die Bildhintergründe sind unscharf, kaum zu erahnen der Raum, in dem das Abschiedsessen für die serviert wird, die demnächst in den Irak ziehen: "Terence Lee Kline at Formal Farewell Dinner for the troop, looking for his entitled sister", steht auf dem schlichten Zettel, der Name, Ort und Anlass des Fotos preisgibt - unabdingbarer Teil der Narration.

Mehr Dynamik hingegen auf den Porträts der Protestierenden: Die Energie der Demonstranten und die Parteilichkeit von Ross übertragen sich mehr oder weniger direkt auf die Bilder. Manche der Demonstranten schauen frontal in die Kamera, andere hat Ross wie aus dem Protestzug heraus aufgenommen: Gesichter von der Seite, angeschnittene Antikriegsbanner. Das Exemplarische findet sie auch hier wieder in den ganz individuellen Regungen: das im metaphorischen, mentalen Sinne leicht Verschwitzte, vor Mühe Euphorisierte, die stolzen Blicke, die Wut - kurz, der Gesichtsausdruck von Menschen, die sich mit der Kraft innerer Überzeugung gegen die Verhältnisse stellen. Jugendliche, Mütter, Aktivisten, Geistliche - jeder hat neben seinem persönlichen auch einen gruppentypischen Blick. Am Rande erzählt Ross den sozialen Habitus der Porträtierten mit. So sehr die Fotografin auf markierende Attribute verzichtet: Die Kriegsgegner sehen anders aus als die Reservisten, die Fahrzeuge oder Löschgerät warten.

In den Jahren 1983/1984 hat Ross Besucher des Vietnam Veterans Memorial in Washington fotografiert - unmittelbar nach dessen Eröffnung. Zu sehen sind Angehörige, Trauernde, die dem Objektiv teilweise ausweichen, obwohl sie wie alle anderen Porträtierten in Verabredung mit Ross vor deren unhandlicher Plattenkamera verharren. In ihren Blicken liegen Leere, Spuren von Schmerz und Verlust, verfestigte Trauer. Ein Jugendlicher mit hochgezogener Kapuze fixiert einen Punkt außerhalb des Bildes, sein Mund ist mit dem Ausdruck aufgewühlter Fassungslosigkeit geöffnet, die Stirn oberhalb der Nasenwurzel zusammengezogen. Ein anderer Besucher ist im Nadelstreifenanzug am Denkmal erschienen, neben dem Revers ein halbes Dutzend Orden, ein Gesicht von brüchiger Entschlossenheit. Es sind dies die berührendsten Bilder der Ausstellung.

Hier wie in den Reservistenporträts keine Spur von Pathos. Diskret hat es sich hingegen in die Porträts der Kriegsgegner eingeschrieben, in Gestalt der Überzeugung, auf der richtigen Seite zu stehen. "Its propaganda", hat Ross über diese Bilder gesagt.

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