Lehman Brothers Sammlung : "Kunst schwimmt oben"

Der Kunstschatz der Pleitebank Lehman Brothers kommt unter den Hammer. Ein fiktives Gespräch mit einem Experten über Kunst, Markt und Werte.

Wird auch versteigert: John Currins „Shakespeare Actress“ (1991). Bild: ap

Worum gehts?

Es geht um Kunst.

Ich dachte, es ginge um Geld.

Das auch. Aber eigentlich geht es um Kunst. Kunst kommt übrigens von Können, weil …

weil man sich Kunst leisten können muss?

Hm. Da ist was dran.

Also geht es doch um Geld.

Nun wollen wir mal nicht kleinlich sein. Lehman Brothers beispielsweise hat Millionen nicht nur in Kunst investiert, sondern auch in Museen. Im Prinzip stand das komplette Ausstellungswesen in den USA auf privaten Füßen.

Und jetzt steht ihnen das Wasser bis zum Hals?

Könnte man so sehen, ja. Deshalb werden nun auch alle Kunstwerke versteigert, die Lehman Brothers in Jahrzehnten gehortet hat. In den USA kommt der Krempel bei Sothebys, in London am 29. September bei Christies unter den Hammer. Aufgerufen werden 147 Exponate, darunter wirklich feine Sachen!

Der Termin: Das Londoner Auktionshaus Christies versteigert am 29. September Kunst und Firmenschilder der europäischen Büros von Lehman Brothers. Geschätzter Erlös: 3,2 Millionen Dollar. Bereits an diesem Samstag versteigert Sothebys in New York Kunstwerke der Pleitebank. Geschätzter Erlös: 10 Millionen Dollar.

Das Problem: Ergibt zusammen nur knapp 13 Millionen. Die US-Investment-Bank Lehman Brothers hat aber bei ihrer Pleite, die gleich die ganze Weltwirtschaft mit in den Abgrund riss, ein Minus von 613 Milliarden Dollar angehäuft.

Also Manet, Seurat, Gaugin? So was?

Aber nein, das ist doch altmodischer Kleinkram. Ich meine, französische Impressionisten hat die Frau von Lehman-Chef Richard Fuld so nebenbei zum Privatvergnügen gesammelt wie kleine Mädchen Gänseblümchen. Nein, das ist schon längst alles verhökert. Jetzt, pünktlich zum zweiten Jahrestag des Untergangs dieser Bank, geht es um ihren offiziellen Kunstschatz.

Hm. Der kannte sich wohl aus, dieser Fuld. Und hatte er Geschmack?

Geschmack? Man nannte ihn den "Gorilla".

Das will nichts heißen.

Stimmt. Aber er fand den Spitznamen so cool, dass er sich einen echten ausgestopften Gorilla ins Büro hocken ließ. So feinsinnig war er, dieser Fuld.

Oh. Und jetzt, nach dem Untergang, taucht alles wieder auf?

Ja, wie aus dem Bauch eines untergegangenen Schiffes noch stundenlang der ganze Krempel wieder an die Oberfläche kommt. Der Gorilla wird wohl in den USA verkauft werden. Und alles, was in irgendwelchen Filialen in England oder weltweit Kunden wie Mitarbeiter gleichermaßen beeindrucken sollte, wird jetzt von den Insolvenzverwaltern von PricewaterhouseCoopers wieder zu Geld gemacht. Sogar das Türschild der Zentrale an der Themse! Fehlt nur noch, dass auch die Kopierer und Telefone versteigert werden.

Und Impressionisten sind da zu kindisch?

Ja, das ist alberner Quatsch, vor allem für Hedgefonds. Zu wenig exklusiv, zu populär. Herrgott, heute hat doch jede dritte Studentin in ihrer Butze das "Frühstück im Grünen" oder den "Sonntagsausflug" mit Reißbrettstiften als Poster an der Wand hängen! Diese Kunst ist nett, hat aber kein Geheimnis mehr. Das gilt leider auch für Renaissanceklassiker wie Holbein oder Dürer. Dergleichen hat noch der alte Fugger in Augsburg eingekauft, der hat überhaupt erst angefangen damit.

Womit?

Mit der schönen Tradition aller großen Banker, nicht nur die Herrschenden zu kaufen, sondern auch gleich noch deren Kunst. Nebenbei kann man dann, wie die Deutsche Bank es heute noch tut, unbekannte Künstler fördern, die eben deswegen rasch erfolgreich werden und damit im Wert steigen, weil die Bank sie gefördert hat. Man zahlt ja auch lieber in einen jungen Fonds ein, von dem noch eine gewisse Performance zu erwarten ist.

Aha. Es geht den Banken also doch nur um Geld, um Kunst als Spekulationsobjekt!

Das wäre unfair. Das wäre, als würde sich ein Spielsüchtiger auf dem Heimweg vom Kasino noch schnell am Kiosk ein paar Rubbellose kaufen und sagen: "Da schau her, mein Neo Rauch ist ja heute das doppelte wert." Die Commerzbank beispielsweise hatte jahrelang den "Schreitenden Mann" von Giacometti bei sich zu Hause in irgendeiner Lobby rumstehen. In der Krise wurde er dann bei Sothebys versteigert … und ging für 75 Millionen Euro weg, für das Fünffache der angenommenen Summe, als teuerstes Kunstwerk aller Zeiten. Und doch wars nur ein Tröpfchen in der heißen Steinwüste.

Und was erwartet man von der Lehman-Auktion in New York?

Zehn Millionen Dollar.

Nur?

Allein eine frühe Installation von Damien Hirst wird da für 1.000.000 Dollar angeboten.

Immerhin. Aber warum kaufen Banken denn überhaupt Kunst, wenn das alles Kinkerlitzchen sind?

Weil das, womit sie eigentlich handeln, so ungreifbar wie simpel ist. Da macht es sich gut, irgendwas Verrätseltes, aber doch Materielles im Foyer hängen zu haben. Etwas, was sagt: Ich bin geheimnisvoll und werthaltig, meine Qualitäten erschließen sich nicht Hinz und Kunz, aber der Experte schnalzt mit der Zunge, wenn er mich sieht. Schon mal von Fang Lijun gehört?

Äh …

Yoshitomo Nara?

Yoshi …

Liu Ye?

Ja nun …

Gerhard Richter?

Ah! Also, Gerhard Richter …

Eben. Chinesische Avantgarde, japanische Pop-Art, Leipziger Schule, so was alles. Indem ich mich als Bank mit dem Ästhetischen schmücke, signalisiere ich zugleich, dass ich die nackten Notwendigkeiten des Ökonomischen hinter mir gelassen habe. Das ist nicht mehr sakrale Kunst, aber doch noch parasakrale. Die profanen Halsabschneider profitieren von ihrer Aura.

Die Kunst fließt also mit dem Geld.

So ist es.

Und wenn nun jemand versehentlich den Stöpsel zieht und das ganze Geld abfließt, dann ist auch die Kunst futsch?

Eben nicht! Dann sucht sich die Kunst eben neues Geld. Ist ja auch eine Anlage. Problematisch wird es jetzt nur für den Kunstmarkt. Der ist ja auch eine Blase.

Muss ich mir jetzt Sorgen machen um die Kunst?

Aber nein. Kunst schwimmt oben.

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