5. Berlin Biennale: Lieber artig als großartig

Die Kunst gehört den Tüchtigen. Gestern wurde die 5. Berlin Biennale eröffnet - mit allzu vielen beflissenen, streberhaften Arbeiten. Schon ihre Funktion ist mehr oder minder die einer Illustration.

Die Lust am Spiel, am Aggressiven, an der Großspurigkeit geht den meisten Exponaten der 5. Biennale ab. Bild: dpa

"Wenn die Dinge keine Schatten werfen", trägt sich die 5. Berlin Biennale mit ihrem Titel hochpoetisch dem Publikum an. Was immer das meint, am Ende des Ausstellungsparcours macht man sich seinen eigenen Reim darauf, der lautet, dann waren Streber am Werk. Die Streber, die immer alles richtig machen und dem Lehrer oder Prof gefallen wollen, die fleißig mitschreiben, was angesagt ist an Themen, Methoden, Materialien und Theorie in der zeitgenössischen Kunst. Unausweichlich führt diese Beflissenheit zu unoriginellen Dingen, die schon deshalb keine Schatten werfen können, weil sie selbst im Schatten des schon Bewährten stehen, an dem sie sich orientieren.

An was wird man sich erinnern, falls man in ein paar Monaten über die Berlin Biennale spricht? Bestimmt an die Fahnen der 58 in Berlin ansässigen studentischen Burschenschaften, die Daniel Knorr, bunten Wimpeln gleich, unter das Dachgesims der Neuen Nationalgalerie gehängt hat. Sie können hier leicht als modernistische Farbfeldabstraktionen missverstanden werden. Kunst, die Flagge zeigt. Allerdings ist das bunte und seltsamerweise viereckige Kunstkarussell dann doch zu komisch, zu kess, um diese Interpretation zu stützen. Sie stützt allerdings auch die des Künstlers nicht so recht. Denn Knorr sieht im Reigen der Farbcodes - bekanntlich leitet sich von einem die Fahne des republikanischen Deutschland her - eine Kampfansage an Mies van der Rohes International Style und dessen vordergründiger Verweigerung jeder ideologischen Bestimmung. Nun sind zwar in den Verbindungen rechte, liberale oder reaktionäre Gesinnungen vertreten, doch wer nicht weiß, welcher Couleur sie jeweils sind, sieht nur bunte Stoffbahnen im Wind.

Sicher wird über Piotr Uklanskis sozialistische Arbeiterfaust gesprochen, die ihren monumentalen Stahlrohrbogen als neues Eingangstor des Kunsttempels hochreckt und eher als Kampfansage an die sich ideologiefrei gebende Neue Nationalgalerie erscheint. Überhaupt sind die überzeugendsten Beiträge des Ausstellungsprogramms, das den Biennale-Tag prägt - der Biennale-Nacht gehört das Performance-, Tanz-, Film- und Vortragsprogramm -, in Mies van der Rohes transparenter Kiste zu finden. Susanne M. Winterling dokumentiert einen Konstruktionsfehler des Hauses, Kondenswasser, das sich bei bestimmten Wetterlagen an den Glaswänden bildet und damit die Transparenz des Baus nachhaltig negiert. Die Berliner Künstlerin hat die zwei Garderoben ausgeräumt und zu den Lungen des Gebäudes erklärt. In ihnen läuft und atmet somit jeweils der identische Kondenswasserfilm.

Kompliziert wird die Sache dadurch, dass Mies van der Rohe eigentlich Stellvertreter von Le Corbusier ist. Denn wie ein Foto und kleine Artefakte in der Installation zeigen, interessiert Susanne Winterling vor allem Eileen Grey und deren Streit mit Le Corbusier um ihr "Haus am Meer". Das Haus E.1027, das die irische Designerin und Architektin entworfen hatte, war Le Corbusiers Obsession. Zeitlebens versuchte er, es sich unter den Nagel zu reißen. E.1027 lag in seinem Rücken, als er 1965 aufs Meer hinaus schwamm und nicht mehr zurückkehrte. Eileen Greys Idee, das Haus als menschlichen Körper zu behandeln, ist der eigentliche Grund der Lungentransplantation durch Winterling. Mit ihr ergreift sie Partei für Eileen Grey und stellt sich gegen Le Corbusier und dessen Auffassung von Architektur als einem technisch-modularen System. Obwohl die Verbindung von Mies, Le Corbusier und Grey eher überambitioniert als schlüssig wirkt, überzeugt die Installation. Dazu trägt auch die Installation des mexikanischen Künstlers Gabriel Kuri bei, die Winterlings Lungen umgibt und ihr Pathos dämpft. Kuri stellt nämlich die Garderobe wieder her. Selbstredend widersetzt sich auch seine Garderobe dem modernistischen Credo vom funktionalen Entwurf. Stattdessen dreht und windet sie sich knallgelb als mehrteilige abstrakte Skulptur im Raum. Es braucht schon Chuzpe, um sie zur Ablage zu degradieren, aber liegen die Klamotten erst mal auf dem Objekt, hat der Angriff des mexikanischen Künstlers den Vorzug der entschieden unkomplizierten Pointe.

Erfreulicherweise sind Künstlerinnen auf dieser Biennale nicht standardgemäß unterrepräsentiert. Trotzdem erschreckt man sich bei dem Gedanken, es seien vielleicht zu viele Mädchen dabei. Mädchen, die, anders als Jungs, nicht spielen können, weil sie dafür zu tüchtig sind. Man müsste sie das Spielen lehren, was niemand tut, denn schließlich schätzt man wie die Kuratoren der Biennale, Adam Szymczyk und Elena Filipovic, gerade ihre Tüchtigkeit. Nun haben die Tüchtigen bekanntlich nicht ein einziges Geschlecht, sondern sie sind männlich oder weiblich und vielleicht sind sie ja vor allem eine Generation. Junge smarte Leute in schwierigen Zeiten, mit auffällig artigem Benehmen. Vor allem die selbstbewussten Mädchen sind lieber artig als großartig. Schließlich sind sie sich sicher, dass ihnen - anders als der vorangegangenen Generation feministischer Aktivistinnen und Künstlerinnen - die Welt gehört.

Eine tüchtige Artigkeit jedenfalls prägt die Schau. Verquere, raue, großspurige, rohe und aggressive Positionen finden sich so wenig wie sexuell explizite Statements, der Körper ist heute ein Baukörper. Und natürlich kennen die Tüchtigen keine Melancholie. Als in ihrem tschechischem Heimatdorf mit den Einkommensunterschieden die Zäune zwischen den Nachbarn immer höher wurden, zog Katerina Sedá eine imaginäre Linie durch den Ort und bat die Anrainer der Linie, ihr zu helfen, die künstliche Schwelle zu überwinden. Ein Teil der Dorfbewohner wird jetzt nach Berlin reisen, um die Zäune und Barrieren erneut niederzureißen, die Sedá im Skulpturenpark, einem der Biennale-Standorte, aufgebaut hat. Das Projekt ist ein Erfolg und interessiert trotzdem nicht. Schon seine überaus penible Rekonstruktion verdrießt durch ihre zierliche Wichtigtuerei. Sie ist der Rausschmeißer, auf den man leider gleich am Anfang des Rundgangs in den Kunst-Werken stößt, dem Biennale-Standort in der Auguststraße, an dem das Kunstereignis ursprünglich seinen Ausgang nahm.

Roh wirkt dort nur die S/W-Fotoserie aus den 70er-Jahren, für die Kohei Yoshiyuki die Voyeure und die von ihnen beobachteten Liebespaare in einem nächtlichen Tokioter Park mit Infrarot blitzte. Eine interessante ältere Arbeit, die laut Kurzführer eine Aussage über die Sexualmoral ihrer Entstehungszeit freilich erst durch die bahnbrechende Erkenntnis ist, "dass der Akt des Fotografierens selbst irgendwie voyeuristisch ist". Jenseits solcher photophilosophischer Flops lässt die Lektüre des Kurzführers interessante und reizvolle Arbeiten erwarten. Dem Text fällt es eben leichter, das soziale oder politische Anliegen zu erläutern, das jeweiliger Anlass der Arbeit ist, und das Kunst nur nachgeordnet illustriert. Ahmet Ögüts 400 Quadratmeter großer Asphaltboden in der Ausstellungshalle der Kunst-Werke ist diese Illustration. Entgegen seiner schlichten Anmutung ist der Teer von "Ground Controll" das höchst theatralische Mittel einer Kritik an den Modernisierungsanstrengungen der Türkei, in denen Ögüt nur die staatliche Machtdemonstration erkennt, die ruchlos über das Alte, Lokale und Eigene hinweggeht. Natürlich ist "Ground Controll" schlau ausgedacht, immerhin sorgen Carl Andres Minimal Art, die der Gegenwartskunst den Boden eroberte, und Hans Haacke, der ihn im deutschen Pavillon der Biennale von Venedig aufbrach und politisierte, für den diskursiven Schatten, in dem sich "Ground Controll" sonnt und doch blass bleibt. Blass wie der Biennale-Tag insgesamt. Denn, wie ein anderer Reim geht, wo kein Schatten ist, ist auch kein Licht. Bleibt also die Nacht, für die die Biennale mit dem Motto "Meine Nächte sind schöner als eure Tage" bislang noch die schönsten Hoffnungen weckt.

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war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.

war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.

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