Fotografenkollektiv Activestills: Mit Fotos gegen die Mauer

Activestills sind Fotografen und Aktivisten. Das Kollektiv trägt den israelisch-palästinensischen Konflikt in die Straßen von Tel Aviv.

"An Kunstgalerien gehen die Menschen achtlos vorbei." Bild: activestills

Die Innenstadt von Tel Aviv ist mit der typischen Großstadtpatina aus Klebebildern und Graffiti überzogen. Viele Botschaften und Bilder beschäftigen sich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt. Keren, Yolam und Oren kennen sich mit den Bildern und Sprüchen aus: Während sie internationale Gäste in der Stadt herumführen, verweisen sie im Vorübergehen mit Connaisseur-Geste auf ein mit Schablone gesprühtes Graffito, das ihnen besonders gut gefällt: Das Stencil, wie diese Kunstform genannt wird, führt schlicht die Opferzahlen des letzten Libanonkrieges auf.

Die drei sind Mitte zwanzig und gehören zum Fotografenkollektiv Activestills. Sie sind Fotografen und Friedensaktivisten, ein bisschen von beidem. "Was wir tun, ist Fotoaktivismus", sagt Keren. "Das heißt, wir sind professionelle Dokumentarfotografen. Und trotzdem beziehen wir einen klaren politischen Standpunkt. So sind wir zum Beispiel gegen die Mauer zwischen uns und den Palästinensern."

Oren zeigt den Gästen eine Bushaltestelle an der Allenby-Straße. Neben Werbeplakaten und Sextanerschmierereien ist zu erkennen, dass hier einmal Fotografien hingen, gereiht wie in einer Galerie. Wenn man genau hinschaut, erkennt man zwischen zerfledderten Resten sogar, dass sie ordentlich mit erklärenden Texttafeln versehen waren. Für Activestills ersetzen die Straßen der Mittelmeermetropole die Galerie. Ihre Ausstellungsfläche ist der öffentliche Raum, in dem sie die Fotografien ausstellen. Mit Hilfe von Kleister und Tapezierrolle kleben sie großformatige Laser-Prints an Bauzäune, Bushaltestellen oder an die Häuserecken belebter Einkaufsstraßen. "An Kunstgalerien gehen die meisten Menschen achtlos vorbei", erklärt Keren, die bei dem renommierten Dokumentarfotografen Miki Kratsman studierte. "Wir wollen aber gerade die Passanten in unserer Gesellschaft erreichen. Viele hier benehmen sich, als lebten sie tausende Kilometer von den Palästinensern entfernt."

Meistens geht es in den Fotografien der Aktivisten um die israelische Besatzungspolitik. Doch auch die Situation palästinensischer Homosexueller, die Tel Aviver Hausbesetzerszene oder sudanesische Flüchtlinge in Israel waren schon Themen ihrer Projekte. Im Internet haben sie ein Manifest veröffentlicht: "Wir sind Dokumentarfotografen, die sich für sozialen Wandel einsetzen. Wir glauben an die Fotografie als ein Mittel, um einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung zu erreichen."

Die Gruppe gibt es seit 2005. Sie ist in der israelischen Alternativkultur und Friedensbewegung verwurzelt. Derzeit ist eine Ausstellung in der Minshar-Akademie Tel Aviv zu sehen, die sie gemeinsam mit der militärkritischen NGO "Shovrim Shtika" (das Schweigen brechen) organisiert haben. Anlässlich des 40. Jahrestags der jüdischen Besiedlung von Hebron im Westjordanland wollen sie über den Alltag der israelischen Besatzung informieren. Shovrim Shtika stellt dafür Amateuraufnahmen bereit, die von israelischen Soldaten im Einsatz in Hebron geknipst wurden.

Am wichtigsten ist es den Activestills-Fotografen aber, selbst Bilder zu produzieren. Und zwar solche, die in den Massenmedien nicht zu sehen sind. So wollen sie als Korrektiv zum üblichen Bilderspektakel der Massenmedien und Nachrichtenagenturen zum israelisch-palästinensischen Konflikt fungieren. Wenn beispielsweise das Haus einer palästinensischen Familie abgerissen werden soll, dann harren die jungen Fotografen aus Israel gemeinsam mit den Bewohnern darin aus. Sie stehen nicht mit den anderen Pressefotografen hinter den Absperrungen. Jeder von ihnen hat wegen solcher Aktionen schon Nächte in den Gefängniszellen der Militärpolizei verbracht.

Viele professionelle Fotojournalisten sind mit dieser Arbeitsweise nicht einverstanden. So etwa Jim Hollander, der seit fast 30 Jahren im Geschäft ist und für verschiedene Agenturen in leitender Position tätig war. Heute ist er für die Bildagentur epa in der Region verantwortlich. Das Verhalten der Fotoaktivisten sei geradezu verantwortungslos, sagt er. "Ich habe Sympathie mit jungen Fotografen, die in den Beruf wollen. Aber diese Friedensaktivisten mit Kamera gefährden sich selbst und behindern damit unsere Arbeit. Vor allem bringen sie die richtigen Fotojournalisten in Gefahr." Auch Magnus Johansson, Cheffotograf der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan, pflichtet seinem Kollegen Hollander bei: "Sie verhalten sich wie politische Aktivisten, nehmen an den Demonstrationen teil und plötzlich fotografieren sie. Das macht die Soldaten nervös und am Ende werden alle Fotografen nach Hause geschickt. Dann gibt es gar keine Pressebeobachter mehr."

Doch Activestills lassen sich nicht beirren. Keren schmunzelt: "Wir haben unsere ganz spezielle Freundschaft mit den Wire-Fotografen." So nennt man im Bildergeschäft Profis von den großen Nachrichtenagenturen, die für das aktive Tagesgeschäft arbeiten. Yolam dagegen ist richtig wütend auf Wire-Fotografen, die sich bei der Arbeit in den Konfliktzonen teilweise aufführten, als wären sie auf einem Filmset: "Ich habe das Gefühl, dass sich manche Fotoreporter richtig über Blutvergießen freuen. Auch als Fotograf sollte man aber immer menschlich denken und handeln."

Ablehnende Reaktionen sind die Fotoaktivisten gewöhnt: Die seit Januar 2006 durchgeführten Klebe-Ausstellungen wurden von wütenden Passanten schon oft heruntergerissen. Aber es gibt auch positiven Reaktionen: Viele sehen in den Plakaten ein Stück urbane Kunst. So etwa die Kuratoren der Ausstellung "Disengagement", die im März 2006 im Tel-Aviv-Museum stattfand. Activestills hatten das Museumsgebäude von außen mit ihren Fotos plakatiert. Es waren 16 Motive von Ereignissen rund um den Widerstand der Bewohner des palästinensischen Dorfes Bilin gegen die Grenzbarriere im Westjordanland. Die Ausstellungsmacher integrierten die Fotografien daraufhin kurzerhand in die Ausstellung.

Inzwischen haben sich Activestills weltweit als kostenfreie Bildproduzenten für NGOs und alternative Nachrichtennetzwerke etabliert. Außerdem verkaufen sie ihre Bilder auch auf dem freien Nachrichtenmarkt. Um ihre Fotos zu verbreiten, nutzen sie bekannte Portale im Internet, zum Beispiel flickr. Ähnlich wie auf den Datenbanken von großen Agenturen haben Bildredakteure somit weltweiten Zugriff auf das Angebot der Fotoaktivisten.

Auf diese Weise zeigen Activestills, dass die üblichen Distributionsketten von Fotografien zu Themen wie dem israelisch-palästinensischen Konflikt heute mittels des Internets auch durchbrochen werden können. Bis nämlich Bildmaterial medienöffentlich wird, entscheiden traditionell Redakteure in Agenturen und Medienunternehmen über die Bildauswahl. Durch die Entscheidungen dieser sogenannten Gate Keeper werden nach Auffassung von Activestills in den Massenmedien aber vor allem sensationsheischende und klischeehafte Bilder veröffentlicht. Bei Activestills dagegen wählen die Fotografen die Bilder nach ihren eigenen Vorstellungen aus, schreiben die Bilderläuterungen selbst und machen sie im öffentlichen Raum des Internets für jedermann zugänglich. "Wir können unsere Plakate also weltweit plakatieren", sagt Keren.

Zwischen der Nutzung von frei zugänglichen Fotoportalen im Netz und den Ausstellungen im öffentlichen Raum der Stadt gibt es auch eine andere Parallele: Ähnlich wie die Besucher in den Szeneviertel von Tel Aviv nach Entspannung suchen, klicken die meisten Benutzer von Fotoportalen beim Thema Israel, um Bilder von Strand und Palmen zu betrachten, und nicht wegen Konfliktfotografie. Genau dieses Überraschungsmoment wollen die Aktivisten auf ihrer flickr-Seite nutzen, um Aufmerksamkeit für ihre Themen zu generieren.

Es wird dunkel vor der Bushaltestelle an der Allenby-Straße. Unten am Meeresstrand schauen sich die Leute jetzt den spektakulären Sonnenuntergang an. Activestills haben dafür heute keine Zeit. Wegen gemeinsamen Ausstellungsplänen wollen sie etwas mit einem palästinensischen Fotografen koordinieren. Obwohl er nur ein paar Stunden entfernt wohnt, hat er den Strand und die Palmen von Tel Aviv noch nie gesehen. Activestills lassen mit den Gästen an der Bushaltestelle ein wenig Hoffnung zurück: Ganz offensichtlich gibt es hier eine Gruppe junger Israelis, die zu palästinensischen Kollegen auf der anderen Seite der Mauer freundschaftliche Kontakte pflegt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.