Frida Kahlo Ausstellung in Berlin: Schamlippen mit Teufelsmaske

Es ist die größte Kahlo-Ausstellung in Deutschland aller Zeiten - mit mehr als 150 Werken. Darunter auch ihr Selbstporträt inmitten einer Sonnenblume. Es galt als verschollen.

Mehr als ein Drittel ihres Werks sind Selbstbildnisse mit viel Pracht und Schönheit. Bild: reuters

BERLIN taz | Die Dame tropft, ein Nachttopf steht passenderweise zwischen ihren Beinen, aus denen Blätter und Stacheln wachsen. Über ihren Schamlippen grinst eine kleine Teufelsmaske. Die sprechendste Transformation aber haben die kurzen Stummelarme erfahren, die wie zwei Dildos aussehen. "Porträt Irene Bohus" steht neben der Bleistiftzeichnung (von 1947), und bevor man noch ins Grübeln geraten kann, was für eine Bewandtnis es mit der Dame haben könnte, klärt der Bildtext schon auf, dass Irene Bohus eine Affäre mit Diego Rivera und später auch eine mit Frida Kahlo hatte. Noch Fragen?

Es gibt kaum eine andere Malerin, deren Werk so akribisch erforscht und mit biografischen Erklärungen belegt ist wie das von Frida Kahlo. Zu ihrer Popularität hat das entscheidend beigetragen: Man liest in ihren Bildern inzwischen wie in einem Roman über ihr Leben, Lieben und Leiden. Die große Retrospektive mit 150 Werken von Frida Kahlo, die jetzt im Berliner Martin-Gropius-Bau eröffnet wurde, hat sich vorgenommen, den Mythos, der den Blick auf das Werk so leicht verstellt, wie einen Vorhang beiseitezuziehen; kein einfaches Unterfangen.

Porträts aus dem Umfeld

Frida Kahlo Retrospektive im Martin-Gropius-Bau in Berlin, bis 9. August 2010, tägl. 10 bis 20 Uhr.

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Der umfangreiche Katalog zur Ausstellung ist im Prestel Verlag erschienen und kostet 25 Euro.

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Im Schirmer/Mosel bzw. im SchirmerGraf Verlag sind zuletzt erschienen: Frida Kahlo, Geliebter Doctorcito. Briefe an Dr. Leo Eloesser, 160 Seiten, 21 Farbabbildungen, 17,80 Euro; Frida Kahlo, Die Malerin und ihr Werk, 264 Seiten, 121 Farbtafeln, 54 Abb., 29,80 Euro; Frida Kahlo. Ihre Photographien, 580 Seiten, 401 teils farbige Abb., 39,80 Euro; Fridas Kleider, 192 Seiten, 167 Tafeln, 49,80 Eur.

Tatsächlich gelingt es der Retrospektive, die Malerin Frida Kahlo mit einem breiteren Spektrum vorzustellen, als man es gemeinhin kennt. Drei Jahre lang hat die Kuratorin Helga Prignitz-Poda, die 1980 das erste Buch über Frida Kahlo ins Deutsche übersetzte, das Werk recherchiert, private Sammler ausfindig gemacht und zur Leihgabe überredet. Dieser Recherche ist es zu verdanken, dass neben dem Herzstück der Selbstporträts nun einige andere Kapitel aufgeschlagen werden können.

So begegnet man neben den Selbstbildnissen Frida Kahlos Porträts aus ihrem Umfeld, deren scheinbar naiver Strich auch mit dem nüchternen Blick der Neuen Sachlichkeit verwandt ist. Kinder sind unter den Gemalten, die dezent lässige Gattin eines reichen Kunstsammlers aus San Francisco, die zur Freundin wurde, und das eher nostalgisch anmutende "Bildnis einer Dame in Weiß", die erst vor Kurzem als Adela Formoso identifiziert wurde: Sie gründete das erste Orchester für Frauen in Mexiko und schrieb über die "sozialen Aufgaben der mexikanischen Frau in der modernen Gesellschaft".

Die Porträts führen so in das intellektuelle und internationale Milieu ein, in dem sich Frida Kahlo und Diego Rivera bewegten. Zwei weitere Räume sind surrealistischen Zeichnungen und Übungen in zwar abstrakten, aber emotional stark aufgeladenen zeichnerischen Gesten gewidmet; Letztere entstanden unter Anleitung einer Psychologin, Olga Campos, die Frida Kahlo bei der Überwindung einer Beziehungskrise und von Selbstmordgedanken unterstützen wollte.

Beide Konvolute belegen ein gestalterisches Vermögen, das die volkstümlich und symbolisch aufgeladene Bildsprache ihrer Selbstbildnisse noch einmal mehr als bewusste Setzung sehen lässt. Mit dem Bezug auf das Naive stellt sie nicht nur eine Brücke zu den indigenen Kulturen her, sie stellt auch die akademischen Normen infrage.

Über ein Drittel ihres Werks sind Selbstbildnisse, deren Pracht und Schönheit auch in dieser Ausstellung den Höhepunkt bilden. Ein Prolog mit fotografischen Porträts, für die Frida Kahlo verschiedenen Fotografen der mexikanischen und internationalen Moderne Modell stand, kuratiert von ihrer Nichte, betont die Selbstinszenierung als Lebensform: eine permanente Demonstration der Stärke und eine Kampfansage an die Leiden, die sowohl ihr von Krankheiten geplagter Körper als auch die Liebe in einer vom Machismo geprägten Kultur verursachten.

Vom Körper zur Kunstfigur

Zu ihren berühmten Gesten der Beschwörung kosmischer Mächte gegen irdisches Unglück gehört "Die Liebesumarmung des Universums, die Erde (Mexiko), ich, Diego und Herr Xólotl" (1949): In diesem Bild verspannt sie indigene und buddhistische Götter mit sich selbst und Diego in ihrem Schoß wie bei einer christlichen Pieta. Neben den Göttern sind Tiere ihre häufigen Begleiter in einer großen Galerie voller Fridas, aufgerufen als Bündnispartner gegen die Beschädigungen des Lebens unter den Menschen.

Gerade diese Ermächtigungsfantasien, von denen ihre Bilder so deutlich erzählen wie von ihren Leiden, ließen Frida Kahlo in den Achtzigerjahren zu einer Heldin des internationalen Feminismus werden; eine Nationalheilige Mexikos war sie da schon längst. Seitdem "überragt ihr Starfaktor das Potenzial ihrer Kunst", wie Ingrid Brugger, Leiterin des Kunstforums Wien, im Katalog schreibt. Doch in der engen Verquickung von Leben und Werk, dem Überführen des eigenen Körpers in eine Kunstfigur liegt der Vorgriff auf spätere Kunststrategien, wie etwa bei Cindy Sherman oder Sarah Lucas.

Aus diesem Dilemma kommt die Ausstellung nicht ganz heraus. Das liegt vor allem an den aufdringlichen Werkbeschriftungen: Ständig stellen sie biografische Bezüge her, als wäre Kunst immer aus dem Leben erklärbar und in erster Linie Reaktion auf dramatische Ereignisse. Das ist schade und eine Verkürzung, der die Vielfalt des ausgestellten Materials glücklicherweise widerspricht.

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