Das Netz bietet MTV-Alternativen: Alles macht weiter

Musikfernsehen ist tot? Auf welchem Planeten leben Sie denn? Im Netz, bei YouTube und tape.tv, lebt es - auch wenn eine Klage gegen YouTube läuft.

Das "pure Musikerlebnis" auf tape.tv ist kostenlos.

Von wegen "I want my MTV". Die etablierten Musiksender haben das junge Publikum durch Klingeltonterror in gefühlt sekündlichen Werbeunterbrechungen verjagt. Den Rest der Zeit verspielt vor allem MTV mit Reality-Shows. Also wohin mit dem Interesse an Musikclips? Dorthin, wo alle ehemaligen FernsehzuschauerInnen landen: ins Netz.

Lange schon kann man bei YouTube und anderen Clipportalen Videos finden. Zwar entschied ein New Yorker Gericht zum Schrecken der DatenschützerInnen gerade, dass YouTube seine Logfiles mit der IP-Adresse des Anwenders an das für MTV und VH1 zuständige Medienunternehmen Viacom herausgeben muss - der Konzern will in einer milliardenschweren Schadenersatzklage beweisen, dass YouTube unlizensierte Videos einstellen ließ. Doch angeklickt werden die Clips fürs Erste weiter.

Dazu bieten Special-Interest-Internetsender wie die US-amerikanische Independent-Community Pitchfork.tv, der kostenpflichtige Music-Onlinedienst rhapsody.com, das Musik-Kultur-Portal hobnox.com und der Berliner Independent Net-TV-Sender freshmilk.de Videos für unterschiedlichste Vorlieben. Die Voraussetzung ist: Die Möhre muss schnell und das Verständnis für die Struktur von Internetfernsehen groß genug sein. Denn die Clips sind meist in eine bunte bewegliche Oberfläche aus Werbung und Infos eingebettet.

"Pures Musikerlebnis" nennt darum der seit 1. Juli streamende Web-TV-Sender tape.tv sein Konzept. Aus demnächst 12.000 Clips will das Berliner Unternehmen auswählen lassen, die User können nach Genre oder direkt nach Künstler gehen. Der Vorteil: Man muss nicht auf den Titel genau wissen, was man möchte. Sondern kann sein Programm nach Stimmung bestimmen. Wenn man gar nichts einstellt, läuft ein Chart-Stream, je genauer man seine Bedürfnisse äußert, desto genauer kann man festlegen, ob man lieber die allgegenwärtige Amy Winehouse oder PJ Harvey von der "Alternative Liste" sehen und hören will. "Man muss nur eine Ahnung haben, welche Musik einem gefällt, tape.tv stellt dann das passende Programm zusammen", erklärt das einer der Gründer, Conrad Fritzsch, lakonisch.

Demnächst sollen noch "special features" das Angebot erweitern, von Konzerttickets über CD-Kauf und Infos über die KünstlerInnen will tape.tv Musik plus alle nötigen Devotionalien an die NutzerInnen bringen. Das Empfangen des Streams als Vollbild ist - wie das ganze Programm - kostenlos.

Umsonst sind auch die Werbeclips, die immer wieder daran erinnern, wie sich das Netz-Musikfernsehen finanziert. Die Frequenz - ein Werbeclip pro drei bis vier Musikvideos - ist zwar nicht mit den minutenlangen Werbegewittern der Fernsehsender zu vergleichen, aber sie stören trotzdem. Ob das zurückhaltende schwarze Design und die Informationsmöglichkeiten diese Verzögerung und Stopperfunktion der notorischen Reklame wettmachen, wird sich also zeigen, wenn die ersten Clickraten gezählt werden. Das Blinkende, Bewegte und Irritierende einer YouTube- oder Hobnox-Oberfläche geht schließlich nicht jedem Zuschauer auf den Keks, sondern vor allem denen, die ruhigere Umstände beim Fernseh- und Musikkonsum gewohnt sind.

Vielleicht könnte tape.tv also sogar das erste Portal für Ü30-Musikfans werden. Und damit schon wieder an den beliebten und begehrten jungen KonsumentInnen vorbeirasseln - die ohnehin meist schon wissen, wo man sich die dazugehörige CD ganz für umme herunterlädt.

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