Dokumentation "Die Lügen vom Dienst": Der Mann, der den Irakkrieg auslöste

Die Begründung für den Irak-Krieg lieferte ein einziger Informant. Er stand im Dienst des BND - und wurde noch bezahlt, als sich die Informationen als falsch erwiesen.

NDR-Reporter Stefan Buchen (l.) trifft den BND-Informanten. Bild: ndr

Deutschland ist bekanntlich kein Baseballland, und insofern ist es leicht erstaunlich, dass es ausgerechnet beim Bundesnachrichtendienst (BND) mindestens einen großen Fan dieser Sportart gegeben haben muss. Einer der weltpolitisch einflussreichsten Informanten, den der deutsche Inlandsgeheimdienst je hatte, ein 1999 aus dem Irak geflohener Ingenieur, bekam von den Schlapphüten den Namen "Curveball" verpasst.

Beim Baseball bezeichnet dieser Begriff einen mit Effet geworfenen Ball, der für den Schläger des gegnerischen Teams nur schwer einzuschätzen ist. Als ähnlich tückisch erwiesen sich dann auch die Informationen, die die BND-Leute an die Kollegen vom CIA übermittelten. Es handelte sich um Aussagen über ein angebliches irakisches Biowaffenprogramm. Sie machten den Krieg gegen das Regime Saddam Husseins erst möglich - und erwiesen sich bald als Erfindungen.

Die Details von Curveballs Rolle und die Protektion, die Curveball lange in Deutschland genoss, beleuchten heute Abend der NDR-Journalist Stefan Buchen und sein dänischer Kollege Poul Erik Heilbuth in der ARD-Dokumentation "Die Lügen vom Dienst - Der BND und der Irakkrieg". Der Film kommt zum richtigen Zeitpunkt, kann die hiesige Debattenkultur angesichts des von Wikileaks öffentlich gemachten Diplomatenklatschs über den deutschen Politikbetrieb doch durchaus einige Enthüllungen von Substanz vertragen.

Der Tag, an dem der BND-Informant Curveball Geschichte schrieb, war der 5. Februar 2003: Vor dem UN-Sicherheitsrat hielt der damalige US-Außenminister Colin Powell eine Rede, in der er diverse vermeintliche Beweise für das Vorhandensein eines irakischen Massenvernichtungswaffenprogramms präsentierte. Sie basierte auf nur einer Quelle: Curveball. Wenige Wochen später begann der Krieg. Zwei Jahre später wird Powell sagen, der 5. Februar sei der "schwärzeste Tag" seiner politischen Laufbahn gewesen.

Dass die angeblichen Beweise vom BND kamen, wussten nur Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, die davon während einer geheimen Sitzung erfahren hatten. Friedbert Pflüger, damals außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, sagt im Film von Buchen und Heilbuth: "Vieles von dem, was Powell vortrug, entsprach dem, was wir einige Wochen zuvor vom BND gehört hatten."

So sei das "Paradoxon" entstanden, dass "der Nachrichtendienst einer Regierung, die eigentlich gegen den Krieg war", die "Legitimationsmuster" für genau diesen Krieg geliefert habe. Deutschland betrieb also damals offenbar ein Doppelspiel. Wem es 2003 seltsam vorkam, dass ausgerechnet Gerhard Schröder, der Deutschland in den Krieg gegen Jugoslawien geführt hatte, in Sachen Irak plötzlich den Friedenskanzler gab, hat dank der "Lügen vom Dienst" nun ein etwas klareres Bild.

Dass Curveball gelogen hatte, war spätestens im Laufe des Jahres 2003 klargeworden. Normalerweise würde ein Geheimdienst eine Quelle dann abschalten, sagt ein Ex-CIA-Mann, aber genau dies tat der BND nicht. Stattdessen hat man Curveball, der im Film Rafid A. heißt, weiter bezahlt. Die Details dieses Deals herausgearbeitet zu haben ist die große Leistung des Films.

Buchen und Heilbuth fanden heraus, dass der Geldfluss aus dem Nachrichtendienst erst Ende 2008 versiegte. 3.000 Euro hatte der zuletzt in Karlsruhe lebende Curveball monatlich bekommen, das belegt ein Dokument, das dieser bei Gesprächen mit dem NDR vorgelegt hat. Das Gehalt bekam er offenbar über eine Tarnfirma in München.

Ein kurioses Dokument, das "Die Lügen vom Dienst" zutage fördert, ist ein Urteil des Arbeitsgerichts München in Sachen Rafid A. gegen Bundesrepublik Deutschland. Curveball, zu diesem Zeitpunkt bereits deutscher Staatsbürger (auch in dieser Angelegenheit war der BND offenbar behilflich gewesen), hatte gegen die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses geklagt - und eine Nachzahlung von rund 2.000 Euro erwirkt.

Anders als die Schlapphüte verfolgte der Protagonist der Story eine recht abwechslungsreiche Medienstrategie. Mal rief er die Polizei, wenn ihn ein Reporter ansprach, woraufhin die Ordnungshüter dann nicht nur die Dreharbeiten stoppten, sondern das bereits gedrehte Material löschten. Mal stibitzte er dem Kameramann dessen Arbeitsgerät und nahm es mit in seine Wohnung.

Seine grundsätzliche Haltung änderte sich erst im Laufe der Recherchen. Dazu trug bei, dass ihn im Frühjahr 2008 Spiegel und "Spiegel TV" in Karlsruhe aufgespürt hatten. Mittlerweile sind die Umgangsformen friedlich: Für ein mehrstündiges Hintergrundgespräch, bei dem, wie vereinbart, keine Kamera lief, sei Curveball sogar nach Hamburg gekommen, sagt Volker Steinhoff, einer von drei Redakteuren, die den Film betreut haben.

Curveballs Verhalten gegenüber Medienvertretern blieb aber unkonventionell. Zwischenzeitlich habe er Honorar verlangt, ein anderes Mal habe er die "Weltrechte" an dem ARD-Film bekommen wollen, sagt Steinhoff. Dass Curveball viel von sich selbst hält, zeigt sein zweiter Versuch, Karriere zu machen. 2009 und 2010 trat er im irakischen Fernsehen als Gründer einer Partei namens Bewegung für Demokratie auf und faselte etwas von "Ehrlichkeit", die endlich Einzug halten müsse in die Politik.

Angesichts der weltpolitischen Bedeutung ist es bemerkenswert, dass "die Curveball-Recherche-Community kleiner ist, als man denkt", wie Volker Steinhoff sagt. Neben Buchen und Heilbuth sind es vor allem zwei Journalisten: John Goetz vom Spiegel, der früher bei "Panorama" arbeitete und für das ARD-Politmagazin in Sachen Curveball schon aktiv war, sowie Bob Drogin, der das Buch "Curveball: Spies, Lies and the Con Man Who Caused a War" schrieb.

Drogin meint, die Lügen, die zum Irakkrieg führten und letztlich hunderttausende Menschen das Leben kosteten, seien auch auf das restriktive deutsche Asylrecht zurückzuführen. "Unter Asylbewerbern habe sich damals "herumgesprochen", so Buchen, dass es sich auszahlen könne, wenn man in der Lage sei, bestimmte "Wissenslücken" der Deutschen zu füllen.

Buchens Koautor Heilbuth, der seit drei Jahren mit dem Thema befasst ist, versucht derzeit, in CIA-Kreisen noch mehr über die Causa herauszubekommen. Denn Curveball gibt durchaus noch Stoff für mindestens einen weiteren Film her. Rätselhaft ist bis heute, dass es die CIA-Leute akzeptierten, Curveball nicht einmal selbst vernehmen zu können. Zumal er die einzige Quelle war, die es gab.

Experte Drogin spricht vom "schlimmsten Geheimdienstversagen in der amerikanischen Geschichte". Was Deutschland betrifft, geht Stephan Wels, stellvertretender Chefredakteur des NDR Fernsehens, davon aus, dass der Film, wie von Hans-Christian Ströbele gefordert, "parlamentarische Anstrengungen" nach sich ziehen wird.

Ob es für die Verantwortlichen nennenswerte Konsequenzen geben wird, steht dahin. Ex-BND-Boss Hanning ist bereits pensioniert, Nachfolger Uhrlau scheidet Ende 2011 aus. Sollte es im Ruhestand für die beiden noch etwas unruhig werden, hätte der Film "Die Lügen vom Dienst" einen Anteil daran.

"Die Lügen vom Dienst - Der BND und der Irakkrieg", 22:45 Uhr, ARD; kürzer in "Panorama", 21:45 Uhr, ARD

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