Ein Besuch im Kika-Casino Erfurt: Der nette Gast von Automat 16

Heute halten Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers. Ein Besuch im Casino Erfurt, wo der Angeklagte jahrelang GEZ-Gebühren in Millionenhöhe verzockt hat.

Serientäter: "1,7-mal pro Woche" saß der frühere Kika-Herstellungsleiter Marco K. an den Spielautomaten im Casino Erfurt. Bild: dpa

ERFURT taz | "Erinnern Sie sich? Es stand in allen Zeitungen: ,Vollsperrung der A4 brachte Volltreffer im Casino Erfurt'. Einer unserer Gäste hatte die Umleitung zu einem Casinobesuch genutzt und prompt einen Rekordjackpot von 53.000 Euro abgeräumt" - das war im Sommer 2007, und es steht noch immer ganz oben auf der Website der einzigen Spielbank im Freistaat Thüringen.

Von solchen "Nachrichten" in eigener Sache kann das Erfurter Casino in diesen Tagen nur träumen. Obwohl es auch wieder in allen Zeitungen steht. Denn hier spielte auch Marco K., der Herstellungsleiter des Kinderkanals. Millionen hat K. laut seinem Geständnis hier verzockt. Gebührengelder, die er beim Sender mittels Scheinrechnungen über Jahre abgezweigt hatte. Vor dem Landgericht Erfurt wird ihm dafür gerade der Prozess gemacht, in dem heute Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers halten. Ob das Gericht auch schon ein Urteil spricht, ist noch unklar.

Das Thüringer Innenministerium prüft nun, ob das Casino und sein Betreiber, die Duisburger Westdeutsche Spielbanken GmbH, gegen das Glücksspielgesetz verstoßen haben. Denn Marco K. ist schwer spielsüchtig. Doch davon wollten die Casino-Mitarbeiter, die im Prozess aussagten, so gar nichts mitbekommen haben.

Miese Auslastung

An diesem Montagabend ist das Erfurter Casino ziemlich leer. Es ist Feiertag, Pfingstmontag. Trotzdem, der Spielbetrieb läuft, und in Erfurt heißt das vor allem: Automaten. "Fun geht vor - hier spielt das Leben" wirbt schon auf dem Domplatz die Anzeige unter der Normaluhr. Zum Casino sind es keine fünf Minuten zu Fuß, es gehört zum Komplex des einzigen Erfurter Fünf-Sterne-Hotels. Am Eingang fragen höfliche Menschen nach dem Ausweis, wie es bei staatlichen Spielbanken Pflicht ist.

Am Empfangstresen liegen schwarz-weiß kopierte Zettel, die über die Einsätze beim nächsten Pokerturnier informieren. Auf den anderen steht auch etwas von Spielsucht. Ob die erst seit dem Kika-Prozess hier ausliegen? Jedenfalls sind sie schon ein merklicher Kontrast zum sonstigen Infomaterial. Das annonciert in bunter Opulenz den "Ladies Day", mit freiem Eintritt, Begrüßungsdrink und Prosecco zu 99 Cent das Glas. Donnerstags sind die Männer dran, dann gibt es Pils zum Sonderpreis.Für Erstbesucher ist sowieso freier Eintritt (der sonst 1 Euro kostet), dazu kommt ein Getränk aufs Haus. Die Daten werden registriert, der Computer spuckt die Eintrittskarte aus, mit der es durch ein Drehkreuz geht. Hier muss jeder durch, theoretisch wenigstens.

Auch Marco K., jedes Mal, so hat es zumindest der Casino-Chef im Prozess ausgesagt und ausrechnen lassen, wie oft das war: "Im Durchschnitt 1,78-mal pro Woche in den Jahren 2008 bis 2010", frühere Listen habe man gelöscht, aus Datenschutzgründen. Die Casino-Schichtleiter sagen dagegen, Marco K. sei häufiger da gewesen, aber das kann sich der Casino-Chef nicht erklären: "Meines Erachtens ist es nicht möglich, ohne Registrierung reinzukommen." Doch dann meldet sich im Gericht Marco K. selbst zu Wort: Die Mitarbeiter hätten ihn doch alle gekannt und einfach durchgewinkt, durchs Türchen für Rollstuhlfahrer neben dem Drehkreuz, "tatsächlich war ich noch viel häufiger da", sagt der Kika-Mann.

Im Prozess schwingt immer ein Hauch von Monte Carlo mit, wenn vom Casino die Rede ist. Von Smoking und Roulette. In Erfurt ist man an diesem Montag im verknitterten Jackett schon overdressed. Die wenigen Besucher tragen Hemd oder Pulli. Selbst das Roulette ist nur elektrisch und bloß am Wochenende in Betrieb. Schön ist es hier nicht - viel Neon und Spiegel hinter der Bar. Nur die Discokugel fehlt. Dafür blinken überall Automaten. Aber nicht aufdringlich laut, hier kreischt und klingelt es nicht wie in einer x-beliebigen Daddelhölle. Die Atmosphäre ist eher gedämpft, wie auf Teppich. Erfurt, das ist Zocken auf Socken.

Die Kasse wechselt - meistens in 50-Cent-Münzen, auch wenn der Mindesteinsatz an einigen Automaten noch niedriger liegt. Ihre Münzen tragen die Spieler in kleinen Kästchen herum, wie es sie in gut sortierten Baumärkten für Kleinkram gibt. Doch die Gewinne steigen mit dem Einsatz, Marco K. hat meistens 20 Euro gesetzt, pro Spiel, das gerade einmal ein, zwei Sekunden dauert. Der Herr K. sei schon "ein guter Kunde" gewesen, haben Casino-Mitarbeiter im Prozess ausgesagt, ein "ausdauernder Spieler", der gern an "Automat 16" gesessen habe.

"Lucky Lady" oder doch lieber "Xanadu"?

Für die Gäste heißen die Geräte "Lucky Lady" oder "Xanadu", Letzterer garniert mit Pandabärchen. Oder "Denver Duck", mit garantiert nicht von Disney lizensierten Enten, die trotzdem ziemlich nach Donald & Co. aussehen. An diesem Abend füttert ein junger Mann seinen Automaten mit 50-Euro-Scheinen, am Ende stehen da 3.000 Credits. Macht 3.000 Spiele à 2 Sekunden, und wer dazwischen mal muss oder draußen rauchen will, für den gibts kleine lustige Schilder, die man in den Geldschlitz stecken kann, damit kein anderer die Serie übernimmt. "Bin eine rauchen. Und dann ist der Jackpot dran …" steht darauf. Marco K. soll an heftigen Tagen schon mal 5.000 oder 10.000 Euro im Casino gelassen haben, sagen die Mitarbeiter aus, offiziell registriert werden Zahlen wie diese jedoch nicht.

Nahe am Eingang ist, hinter Glas, der Raucherbereich. Ein Herr sitzt einsam vor einem Automaten, durch das Glas wirkt alles noch gedämpfter, trostloser. Dort hat Marco K., selbst starker Raucher, auch gesessen, für ihn war das hier Wohnzimmer und Sehnsuchtsort. Den er, wie er selbst sagt, zuletzt beinahe täglich aufsuchte, wenn er in Erfurt war. Dabei leidet der 43-Jährige an Epilepsie, nimmt Medikamente dagegen. Der "stundenlange Casino-Besuch mit ständiger Lichtstimulation" sei "anfallauslösend", sagt am dritten Prozesstag der Gutachter der Staatsanwaltschaft, der Psychiater Werner Platz. Marco K. hatte mehrfach Anfälle im Casino, im September 2009 brach er vor den Automaten zusammen, musste ins Krankenhaus.

Trotzdem kam er immer wieder - auch dass er "sehr starke gesundheitliche Schädigungen in Kauf genommen hat", sagt der Gutachter, spreche für "pathologische Spielsucht". Platz sitzt in den entsprechenden Kommissionen der Weltgesundheitsorganisation WHO, die Kriterien für Suchtkrankheiten aufstellt. Zehn sind es bei Spielsucht, darunter zwanghaftes Spielen um immer höhere Einsätze, andere über das Ausmaß des Spielens zu täuschen oder den eigenen Arbeitsplatz und das private Umfeld zu gefährden. Auf Marco K. treffen fast alle zehn Punkte zu - dabei werde schon bei fünf Übereinstimmungen Spielsucht angenommen, sagt Platz: "Selten ist das so gut belegt wie hier."

Nur im Casino, wo nach Angaben des Direktors alle Mitarbeiter regelmäßig in Sachen Spielsuchtprävention geschult werden, will davon niemand etwas gemerkt haben. Dabei ist das staatliche Glückspielmonopol laut Bundesverfassungsgericht nur durch Prävention begründet - die fiel in Erfurt offenbar aus.

Guter Kunde

Marco K. sei ein "sehr netter Gast" gewesen, sagt der Casino-Chef beim Prozess, man sei eben davon ausgegangen, dass er "von Haus aus Geld hat". Für auffälliges Spielverhalten, ja Spielsucht, habe es die ganzen Jahre "keine Anzeichen gegeben, die wir hätten wahrnehmen können": Marco K.s Kleidung habe sich nicht verschlechtert, weder habe er auf Automaten eingeprügelt noch andere Gäste oder das Personal beschimpft oder um Geld angepumpt. Diese Kriterien, nach denen der Casino-Betreiber seine Mitarbeiter schult, halten unabhängige Spielsuchtberater jedoch für völlig unzureichend.

Ilona Füchtenschnieder spricht gleich von "Alibi-Aktionen". Sie ist Vorsitzende des Fachverbands Glücksspielsucht (Fags), der Verband hat die Westspiel-Gruppe schon mehrfach verklagt. Denn seit 2008 verlangt der neue Glücksspielstaatsvertrag von den Staatscasinos ein Sozialkonzept zur Suchtprävention, doch das gebe es oft nur auf dem Papier, kritisiert Füchtenschnieder: "Bei den Spielbanken hat das Umdenken noch nicht stattgefunden."

Profitiert hat bei diesem bigotten Spiel nur einer: der Freistaat Thüringen, dem die Casino-Gewinne zustehen. Die gehen wie die Zahl der Besucher allerdings seit Jahren zurück: Nur noch 1,966 Millionen Euro betrug 2010 der "Brutto-Spielertrag", meldete der MDR - 2007 war es noch ein Drittel mehr. Die großzügigen Einsätze von Marco K. dürften also spürbar fehlen.

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