Neue Tageszeitung deckt auf: Die Wahrheit über Berlusconi

Die neue Tageszeitung "Il Fatto Quotidiano" liefert bislang unterdrückte Fakten über Silvio Berlusconi, seine Helfershelfer in Medien, Wirtschaft und Justiz - und deren Verstöße gegen die Verfassung.

Wurde bisher trotz Fehler einigermaßen geschont: Silvio Berlusconi. Doch das ändert sich jetzt. Bild: ap

ROM taz | Seit nunmehr fast fünf Monaten beschäftigt sich Italien mit Silvio Berlusconis bewegtem Sexleben - oder auch nicht. Patrizia D'Addario, jenes Callgirl, das über ihre Besuche in Berlusconis Residenz und die heißen Nächte mit dem Premier ausgepackt hatte, wurde von TV-Sendern aus aller Welt interviewt.

Bloß die italienischen Sender fanden ihre Auskünfte nicht furchtbar spannend; weder der staatliche Rundfunk RAI noch die Kanäle von Berlusconis Holding Mediaset ließen die Zeugin je in ihren Nachrichten zu Wort kommen.

Jetzt tritt eine Schar von Journalisten an, um gegen Berlusconis Ideal vom uninformierten, vom dumm gehaltenen Volk Front zu machen. Il Fatto Quotidiano, "die tägliche Tatsache", heißt ihre seit Mittwoch letzter Woche erscheinende Zeitung. Und Fakten liefert das Blatt reichlich, Fakten natürlich vor allem rund um Berlusconi und seine Entourage. Dass Staatsanwälte momentan gegen den Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten, Gianni Letta, genauso ermitteln wie gegen Justizminister Angelino Alfano: Das stand bisher in keiner Zeitung, Il Fatto Quotidiano dagegen liefert die Nachricht. Kein Wunder, denn Berlusconis ärgste Feinde unter den Journalisten haben sich da zusammengetan. Chef ist der ehemalige Chefredakteur der LUnità, Antonio Padellaro, und seine Truppe besteht aus illustren Namen wie Marco Travaglio, Furio Colombo (dem Vorgänger Padellaros bei der Unità), Peter Gomez von der Wochenzeitschrift LEspresso.

Ein bisschen kommen im Blatt auch die Weltereignisse vor - aber eher am Rand: ein paar Zeilen zum G-20-Gipfel in Pittsburgh, ein paar auch zu Irans neuer Atomanlage. Doch sonst dreht sich alles um Berlusconi, um seine Skandale, Prozesse, Interessenkonflikte.

So einseitig die thematische Ausrichtung ist, so sehr trifft sie auf Nachfrage: Schon vor dem Start waren mehr als 30.000 Abonnements gezeichnet, und am ersten Tag bekam man schon um acht Uhr morgens an keinem Kiosk mehr den Fatto, obwohl das Blatt eine Startauflage von 150.000 Exemplaren gedruckt hatte. Das überrascht, da mit der Repubblica, der Unità - die bis 1991 Sprachrohr der Kommunistischen Partei Italiens war - und dem Manifesto schon diverse Blätter links der Mitte unterwegs sind, die kaum ein gutes Haar an Berlusconi lassen. Keines aber trat bisher mit dem radikalen Anspruch an wie jetzt Il Fatto.

"Unsere politische Linie ist die Verfassung", verkündet Chefredakteur Padellaro in der ersten Nummer, das sei in Berlusconi-Italien "nicht Rhetorik, sondern dramatische Realität", angefangen beim Legalitätsprinzip: "Was gibt es Revolutionäreres in einem Land, in dem das Gesetz jeden Tag an die Kaprizen des Imperators angepasst wird?"

Attraktiv wird die Zeitung für tausende Leser aber wohl auch, weil sie gleichermaßen Ernst macht, wenn der Blick auf die andere Seite des politischen Spektrums fällt: "Wir werden den Führern der Demokratischen Partei und der vielfältigen Linken, die in all diesen Jahren nicht den Hauch einer Alternative zu Berlusconi auf die Beine gestellt haben, keinerlei Rabatt einräumen", verkündet Padellaro rüde.

Sicher ist: Die Zeitung hängt an keiner Leine. Das Kapital stammt vor allem von den Gründungsredakteuren. Und auf die in Italien übliche öffentliche Finanzierung - entweder als Zeitung einer Partei oder als Blatt, das von einer Genossenschaft getragen wird -, verzichtete Il Fatto von vornherein.

Stattdessen organisierten die Blattgründer den Sommer über jede Menge Meetings quer durchs Land, besucht jedes Mal von tausenden Fans - von jenen Fans aus der enttäuschten Linken, die sich durch ihre Politiker nicht mehr vertreten fühlen, die heute für "Italien der Werte", die Partei des früheren Antikorruptionsstaatsanwalts Antonio Di Pietro stimmen oder auf den Einstieg des Komikers Beppe Grillo in die Politik hoffen.

Ebenjene Radikaliopposition hat im Land noch keine definitive organisatorische Gestalt angenommen - doch mit Il Fatto hat sie jetzt ihre Stimme gefunden.

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