Der Boulevard über das Will-Outing: "Die wollen bloß streicheln"

Vom Boulevard ist man Absurditäten gewohnt. Doch was eine "Sexualpsychologin" im "Bild"-Interview über lesbische Liebe sagt, ist hanebüchen.

Ungefähr soooooooo weit weg sind die "Bild"-Thesen von der Realität. Bild: dpa

Man kann das der Bild-Zeitung ja nicht vorwerfen, dass sie das Menschlich-Allzumenschliche in den Mittelpunkt ihres Journalismus stellt. Und das heißt: Anteilnahme, mithin Tratsch und Erzählung aus der Welt des Geheimnisvollen, quasi irgendwie noch Tabuisierten.

Und noch weniger Wunder nimmt dann, dass Bild - wie eine Fülle anderer Blätter, die man zum Boulevard rechnet - sich lustvoll dem Fall der nun als lesbisch entdeckten Anne Will widmet. Und soll man da kleinkrämerisch sein und mit dem Finger zeigen, dass dieses Blatt das weibliche Pendant zum Regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, nachgerade feiert?

Nein, so krümelig will man dann doch nicht sein. Doch wartet das Blatt mit einer schweren Entgleisung auf, und die verdient keine Gnade. Eine in der Bildunterschrift als Sexualpsychologin vorgestellte Frau namens Dr. Christine Baumanns - die Berufsbezeichnung Sexualpsychologin ist übrigens nicht geschützt, so kann sich JedeR nennen - lässt sich scheinaufgeklärt ausfragen unter der Überschrift: "Was ist bei lesbischer Liebe anders?"

Die Antworten verblüffen. Auf die Frage, ob Lesbisches angeboren sei oder die Männer schuld seien, sagt diese Dame - über deren Auskunftsfreudigkeit in vielerlei Hinsicht uns die Kollegen vom Bildblog verständig Auskunft geben: "Bei manchen Lesben ist das ganz klar genetisch festgelegt. Sie verlieben sich von Anfang an immer nur in Frauen."

Man stelle sich den umgekehrten Fall vor. Müsste man nicht auch fragen: Frau Baumanns, ist die Liebe von Frauen zu Männern angeboren oder sind die Frauen dran schuld? Und sie würde antworten: "Viel häufiger ist aber die große Enttäuschung mit einer Frau der Auslöser. Die Frau wendet sich bewusst von den Frauen ab und findet erfüllende Liebe bei einem Mann."

Nicht sinnvoll? Doch. Denn die genetischen Ursachen von Hetero- wie Homosexualität sind wissenschaftlich unerforscht, und nach Lage der Dinge werden sie auch niemals exakt zu ergründen sein. Aber die Bild-Zeitung unterstellt faktisch, dass der angebliche Sonderfall des Lesbischen (wie des Schwulen, bei Klaus Wowereit zum Beispiel) nur denkbar sei als irgendwie Fehlgeleitetes, Absurdes, Tragisches, Kummervolles.

Mit gleichen Recht könnte man sagen: Frauen, die einen Mann samt Penis als sexuelles Gegenüber bevorzugen, sind Lesben, die von Frauen enttäuscht wurde. Dr. Baumanns antwortet im Sinne des widerlichen Klischees: "Die Frau wendet sich bewusst von den Männern ab und findet erfüllende Liebe bei einer Frau." Frau Dr. Baumanns möchte man wünschen: Sie möge sexuell glücklich sein, mit welchem Geschlecht auch immer - Hauptsache, sie ist es nicht aus Aversion gegen irgendein Geschlecht.

In diesem pseudoseriösen Interview, das wissenschaftlich ungefähr auf dem Niveau von Aberglauben und mittelalterlichem Hexenwahn sich bewegt, behauptet diese sogenannte Sexualpsychologin, scheinneugierig von der Bild-Zeitung befragt, was denn sexuell so anders ablaufe bei Lesben: "Es geht mehr um Befriedigung für die Seele als um körperliche Befriedigung." Soll wohl heißen: Frauen kuscheln mehr. Und sind sie unter sich. Ohne Mann oder Männer, ohne Penis quasi, könne es nur "seelisch" (heißt für die Bild-Zeitung wohl: unkörperlich) streichelnd unleidenschaftlich zugehen.

Ein Blick in lesbische Foren oder das Magazin lmag belehrt einen: alles Unfug. Lesben unter sich vermissen gar nichts, wenn kein Mann dabei ist - die Idee, eineN SexualpartnerIn ohne Penis mit sich zu haben, ist ja gerade, dass kein Mann dabei ist. Nur Heterosexuelle, die glauben, ihre sexuelle Orientierung sei gottgegeben, natürlich und quasi über alle Zeiten normal, können solchen Quark denken: Lesben ohne Leidenschaft? Meine Freundinnen berichten anderes.

Möglicherweise weiß auch Frau Dr. Baumanns es besser. Fragt sich nur: Hat sie es selbst erlebt? Wenn, dann wird nur sie wissen, dass ihr sexuell offenkundig das Sanfte mehr liegt als das Leidenschaftliche. Aber dann gälte das nur für sie, nicht für alle Lesben. Ebenso, last but not least, ihre Behauptung, lesbische Paare lebten von einer männlich/weiblichen Rollenteilung, ist an den Haaren herbeigezogen. Vielleicht leben sie in Rollen, spielen mit ihnen ... alles möglich, alles kann probiert und gelebt werden: Aber weshalb bloß können die Bild-Zeitung und ihre halbgaren ExpertInnen sich alle Welt nur dann als okay vorstellen, wenn sie über das Männliche definiert wird.

Wenden wir also das Blatt. Fragen wir künftig jede heterosexuell agierende Frauen: Ist dir nicht wohl? Hat dich eine Frau enttäuscht? Musstest du zu Männern flüchten? Und jeden Heteromann: Hat Dich ein Mann enttäuscht? Wolltest du es lieber sanft und schmiegsam haben? Absurd? Ja? Kein bisschen! Nur anders normal.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.