ARD-Tatort aus Hannover: Doppelgänger im Kornfeld

Mysteriös, dieser Fall Charlotte Lindholms. Nach einem Autounfall hat sie die Erinnerung verloren und landet in einem entrückten Dorf, zwischen Wahn und Wirklichkeit. (So 20.15 Uhr, ARD)

Mysteryhorror, Psychothriller oder doch bloß der "Tatort"? Bild: ndr/christina schröder

Man wird das Gefühl nicht los, man sei hier in einen Film von Hollywoods Mystery-Mogul M. Night Shyamalan geraten. Wie die Dorfgemeinschaft in seinem Horror-Thriller „The Village“ wirkt auch die im neuen Niedersachsen-„Tatort“ vollkommen entrückt in Zeit und Raum. Jeder scheint hier mit jedem verbandelt, jeder scheint Teil eines großen Geheiminis zu sein. Die Menschen schweigen, der Wind rauscht über die Kornfelder, und manchmal ziehen unsichtbare Wesen tiefe Furchen durchs wogende Gelb.

Die Furche im Kornfeld, die sich jetzt blitzschnell vor Charlotte Lindholm (Maria Furthwängler) auftut, wird allerdings von einem martialisch quiekenden Wildschwein gezogen, das bedrohlich auf die Kommissarin zuschnellt, um nur ein paar Zentimeter vor ihr zusammenzubrechen. Eine alte Wilderin hat die aufgebrachte Kreatur in letzter Sekunde mit einer Ladung Schrot kaltgestellt – eine von vielen eher rabiaten Begegnungen, die die Polizistin aus Hannover hier mit den Hinterwäldlern des Ammerlands haben wird.

Bei einer nächtlichen Tour von der Nordseeküste zurück in ihre Heimatstadt Hannover, war sie in dieser diese verwunschene Region einem Mann mit Trenchcoat ausgewichen und gegen einen Baum gefahren. Bewusstlos wurde sie dann viele Stunden später vom örtlichen Polizisten aufgefunden, eine Veterinärin legte bei der Verletzten Hand an, vom Mann im Trenchcoat aber fehlte jede Spur. Was ist in den Stunden zwischen Unfall und Errettung passiert? Verbeult und mit Halskrause gegen das Schleudertrauma macht sich Lindholm auf die Suche nach der verlorenen Zeit.

„Vergessene Erinnerung“ (Buch: Dirk Salomon und Thomas Wesskamp) ist ein Krimi, der klug mit Suggestion und Manipulation spielt. Während die Kommissarin überforderte Dorfpolizisten, geschäftstüchtige Bio-Bauern und melancholische Veterinärinnen kennenlernt, steigt sie tief ins Seelenleben der Gemeinde hinab. Dabei jagt sie den undurchsichtigen Landbewohnern mehr Angst ein als diese ihr – schließlich sieht sie zum Verwechseln jener Dorfbewohnerin ähnlich, die vor vielen Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Und zwar genau an der Stelle, an der auch die Polizistin verunglückt ist.

Christiane Balthasar („Fürchte dich nicht“), eine der risikofreudigsten deutschen Regisseurinnen ihres Faches, hält geschickt die Balance zwischen Mysteryhorror und Psychothriller. Ihre sedierte und verbeulte Ermittlerheldin, die sich, wenn nötig, selbst die Spritze ansetzt, geht hier auf einen Trip zwischen Wahn und Wirklichkeit. Ein wunderbar verstörender Krimi – der nur leider, zugegeben, auch die Logiklöcher einer M. Night Shyamalan-Produktion aufweist.

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