Scientology-Film in der ARD: In der Höhle des Löwen

Noch viel interessanter als der Scientology-Aussteiger-Film "Bis nichts mehr bleibt" (Mi, 20:15, ARD) ist das Dilemma seiner Macher.

Es ist nicht mehr weit - bis hin zum verstrahlten Dauergrinsen. Bild: swr/christine schroeder

In der Höhle des Löwen wird jeder Journalist mit Handschlag begrüßt. Das geht schnell. In die Scientology-Zentrale Hamburg sind nur vier gekommen.

Wenige Stunden zuvor, bei der Präsentation des Scientology-Aussteiger-Films "Bis nichts mehr bleibt" in einem Hamburger Hotel, ging es wesentlich unpersönlicher zu: Wer reinwollte, musste sich ausweisen können. Und nur, wessen Name auch wirklich auf der Liste stand, wurde von den eigens engagierten Sicherheitsleuten vorgelassen. Die hatten gut zu tun: Mehr als 100 Pressevertreter wollten das von teamWorx für den SWR produzierte Drama sehen - auch weil der Sender angekündigt hatte, keine DVDs herauszugeben, aus Angst, sie könnten in falsche Hände geraten. Etwa in die von Frank Busch oder Jürg Stettler.

Der Pressesprecher von Scientology Hamburg und sein Kollege von Scientology Deutschland haben also im Anschluss in die Hamburger Repräsentanz der Sekte geladen, um über einen Film zu reden, den sie nicht gesehen haben. Es ist ein mühsames Gespräch: Die Scientology-Vertreter mutmaßen über den Inhalt, verrät doch selbst die offizielle ARD-Pressemappe dazu aus Angst vor juristischen Konsequenzen nur diese zwei Sätze: "Der Film erzählt, mit welch raffinierten Methoden es der Organisation Scientology immer wieder gelingt, Menschen von sich abhängig zu machen. Der junge Familienvater Frank schafft es, sich selbst wieder aus den Fängen des Systems zu lösen - aber in diesem Kampf verliert er seine Familie an Scientology."

Und weil die Scientologen Genaueres wissen wollen, schließlich geht es im Film um sie, und die Journalisten falsche Mutmaßungen aus dem Gespräch heraushalten wollen, ergreifen die Medienvertreter unweigerlich Partei für einen Film, der ihnen gar nicht wirklich gefällt. Dabei geraten sie unweigerlich zwischen die verhärteten Fronten eines Glaubenskriegs, der nirgendwo in Deutschland heftiger tobt als in Hamburg und nun in fiktionalisierter Form Gegenstand eines Fernsehfilms geworden ist. Das eigentlich Interessante ist aber gar nicht der Film an sich, sondern das Dilemma im Umgang mit Scientology: Abstand zu wahren, ohne den Anstand zu verlieren. Und in dieser Frage - so viel sei verraten - haben die Macher von "Bis nichts mehr bleibt" einiges an Souveränität und Fairness vermissen lassen.

Das Schlachtfeld im Glaubenskrieg mit Scientology ist meistens ein Gerichtssaal - wie auch in der Rahmenhandlung von "Bis nichts mehr bleibt": Niki Steins Film erzählt, wie ein Scientology-Aussteiger um das Sorgerecht für seine Tochter kämpft, die bei der Mutter bleiben will, die wiederum erst durch ihren Exmann in die Organisation eingetreten ist. Der Vater verliert. Das ist von Anfang an klar - und man fragt sich, ob das Bedingung für Ursula Caberta war, "Bis nichts mehr bleibt" als Fachberaterin zu unterstützen. "Der Film ist bis zum Ende realistisch", bescheinigt die Leiterin der "Arbeitsgruppe Scientology" bei der Hamburger Innenbehörde, die sich den Kampf gegen die Psychosekte zur Lebensaufgabe gemacht hat. "Die Kinder verbleiben in der Regel bei Scientology." So war es auch bei Heiner von Rönn, den die Macher bei dem Pressetermin als Kronzeugen gegen Scientology präsentieren.

Rönn wird gefragt, ob er 15 Jahre nach seinem Ausstieg noch Angst vor Scientology hat. Er verneint. Diese kleine Relativierung, dieses Nein eines Aussteigers, macht klar, wie ideologisch sonst über die Organisation geredet wird. "Deren Ideologie ist genauso menschenverachtend wie die der Nazis", sagt Ursula Caberta. Und Niki Stein: "Scientology hat eine große Nähe zu totalitären Weltmodellen."

Wie manisch wird darauf geachtet, nicht den kleinsten Zweifel an der großen Gefährlichkeit von Scientology aufkommen zu lassen.

Zu den Vorwürfen konnte Scientology beim Pressetermin in Hamburg übrigens nicht Stellung nehmen. Denn nicht mal ein Vertreter wurde reingelassen. Bei "Hart aber fair" ist heute im Anschluss an den Film zumindest Deutschland-Pressesprecher Stettler zu Gast. "Wenn Sie über Drogen diskutieren, holen Sie sich auch keinen Dealer auf das Podium", hat ARD-Beraterin Caberta ihre Haltung bei einer früheren Veranstaltung klar gemacht. Ähnlich äußerte sich Regisseur und Drehbuchautor Stein im NDR-Medienmagazin "Zapp". Ihre Aussagen zeigen: Scientologen stehen außerhalb der Gesellschaft, sind Geächtete, die nicht gehört werden müssen.

Da stellt sich die grundsätzliche Frage, ob man so mit Menschen umgehen darf, wie fehlgeleitet die auch sein mögen. Den Machern von "Bis nichts mehr bleibt" stellt sie sich aber offenbar nicht. Sie sonnen sich lieber im wohligen Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen.

Dabei macht es diese Haltung, das Beharren auf der monströsen Bösartigkeit von Scientology, der Organisation allzu leicht, sich in einer extrem überzeichneten Opferrolle zu stilisieren. "Wir können froh sein, dass wir vor 2.000 Jahren nicht zu den ersten Christen gehört haben", sagt Scientology-Deutschland-Sprecher Stettler in der Hamburger Sektenzentrale.

Gerade die Frage, ob es sich bei Scientology um eine Religion handelt, ist jedoch umstritten. Die Organisation versuche lediglich diesen Anschein zu erwecken, um ihre eigentlichen Ziele zu verschleiern, sagen Kritiker.

Auf den "absoluten Propandafilm" (Stettler) hat Scientology nun mit einem Gegenfilm reagiert, der vergangenen Donnerstag in Hamburg vorgestellt wurde und der Öffentlichkeit von heute an im Internet zugänglich gemacht werden soll.

Auf die Absurdität angesprochen, einen Film widerlegen zu wollen, den er nicht kennt, antwortet Stettler: "Wir kennen den Inhalt schon - aus dem Spiegel-Artikel zum Film und aus Gesprächen mit Journalisten." Das scheint ihm erst mal zu reichen. Zu sehen bekomme er den Film erst heute vor "Hart aber fair", sagt Stettler.

Den Anstoß zum ersten Spielfilm über Scientology hat SWR-Fernsehspielchef Carl Bergengruen die Verleihung eines Bambis an Tom Cruise im Jahr 2007 gegeben. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher zeichnete ihn in der eigens für den Vorzeigescientologen geschaffenen Kategorie "Courage" aus, wofür sich Cruise mit einer Rede bedankte, die in eine scientologische Predigt abglitt. Den Preis für Courage hätten eher seine Schauspieler verdient, sagt Regisseur Niki Stein beim Hamburger Pressetermin und erläutert dies später im Gespräch mit der taz, gibt diese Zitate allerdings letztlich nicht zur Veröffentlichung frei.

Überhaupt ist im Zusammenhang mit "Bis nichts mehr bleibt" verstörend viel von Mut die Rede. "Die ARD war extrem mutig hier", lobt etwa Produzent Nico Hofmann von teamWorx seine Auftraggeber - nur wird nicht ganz klar, warum: Für die angeblichen massiven Einschüchterungsversuche seitens Scientology finden sich keine Belege außer einem während der Dreharbeiten aufgebrochenen Kofferraum. Ob die Sekte dahintersteckt, ist unklar. Und dass man für einen Film über eine real existierende Organisation besonders solide recherchieren muss, um sich juristisch nicht angreifbar zu machen, versteht sich wohl von selbst.

Das Beharren der Macher auf ihrem angeblichen Mut ist ebenso nachvollziehbar wie falsch: Da das öffentlich-rechtliche Fernsehen darauf konditioniert ist, immerzu Rücksicht zu nehmen, kommt es sich zwangsläufig unheimlich verwegen vor, wenn es mal keine Kompromisse eingeht. Das darf man aber nicht mit Mut verwechseln, erst recht nicht, wenn der Gegner moralisch so klar im Abseits steht.

Ein Wort, das "Bis nichts mehr bleibt" wesentlich besser umschreibt, ist - Angst: Der Film behauptet permanent die Gefahr, die von Scientology ausgeht, scheut aber davor zurück, die Faszination dieser bizarren Sektenwelt mit ihrem Science-Fiction-Vokabular auch nur ansatzweise begreifbar zu machen. Die Entwicklung der weiblichen Hauptfigur zur glühenden Scientologin etwa wird in einem Zeitsprung versteckt: Plötzlich ist ein Jahr vergangen und sie trägt Dauerwelle und verstrahltes Dauergrinsen. Niki Stein will den Zuschauer eben nicht verführen, nicht mal ein bisschen, und zahlt dafür einen hohen Preis: "Bis nichts mehr bleibt" wird zum blutarmen Thesenfilm - den die ganze Aufregung um seine Ausstrahlung unverdientermaßen adelt.

"Bis nichts mehr bleibt", Mittwoch 20.15, ARD

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