Trafigura-Giftmüll-Skandal: Knebel für die Presse

In Großbritannien versuchte die Ölfirma Trafigura einen Skandal per Presserecht zu vertuschen. Jetzt greift das Parlament ein; auch der Guardian mobilisiert.

Der "Guardian" mobilisiert seine Leser gegen Trafigura. Bild: dpa

Pressefreiheit gilt manchmal selektiv, wie die Landesbank Baden-Württemberg kürzlich bei einer Pressekonferenz bewies: Nur bestimmte Nachrichtenagenturen wurden zugelassen, Fernsehteams mussten komplett draußen bleiben (taz vom 7. u. 8. 10.). Doch in Großbritannien kann es Zeitungen durchaus passieren, dass man sie komplett zum Schweigen bringen will.

Die britisch-niederländische Ölfirma Trafigura ist in einen enormen Giftmüllskandal in der Elfenbeinküste verwickelt. Der drei Jahre zurückliegende Vorfall brachte die Firma diesen Sommer dazu, ohne Anerkennung einer Schuld 150 Millionen Euro an die ivorische Regierung zu bezahlen. Gut ein Drittel der über 100.000 Opfer wollte trotzdem eine Sammelklage in London einreichen (taz vom 17. 9.). Der britische Guardian zitierte damals aus einem internen Bericht Trafiguras, demzufolge die Firma für die Giftmüllentsorgung verantwortlich sei. Das wollte Trafigura nicht hören, und die Anwälte wählten ein drastisches Mittel: Sie erwirkten am 11. September eine Maulkorbverfügung, die so weit ging, dass der nicht einmal darüber berichten durfte.

Der Labour-Abgeordnete Paul Farrelly brachte den Fall auf die parlamentarische Tagesordnung. Sinn der Übung: Alles, was in Großbritannien in einer Parlamentsdebatte geäußert wird, fällt unter die parlamentarische Immunität und kann von der Presse ohne Einschränkung wiedergegeben werden. Doch die Anwaltsfirma Carter-Ruck, spezialisiert auf rigoroses Vorgehen gegen Medien, blieb hart.

Der Guardian setzte nun auf die Mobilisierungsfähigkeit seiner Leser. Am 12. Oktober schrieb die Zeitung, dass sie nicht über parlamentarische Vorgänge berichten dürfe, und deutete an, was sie nicht nennen durfte. Einzig der Name der Anwaltsfirma fiel. Chefredakteur Alan Rusbridger twitterte einen Link auf den Artikel, findige Leser brauchten nur einen halben Tag, bis sie wussten, um wen es ging: "Trafigura", "Guardian" oder "gagged" (geknebelt) entwickelten sich zu den meistverwendeten Begriffen bei Twitter, einflussreiche Blogger griffen das Thema auf.

Da sich zehntausende Menschen nicht einfach abmahnen ließen, lenkte Carter-Ruck ein. Am vergangenen Freitagabend konnte der Guardian aufatmen. Die Anwaltsfirma teilte mit, die Einschränkungen seien "mit sofortiger Wirkung" aufgehoben. Umgehend veröffentlichte der Guardian einen Onlineartikel, der über die Inhalte des so lange unterdrückt gehaltenen "Minton-Reports" berichtete und einen Link zum Original enthielt. "Dies ist ein guter Tag für das Parlament, eine offene Justiz und die freie Berichterstattung", freute sich Rusbridger.

Doch juristisches Gängeln der Presse hat in England System, ein gutes Dutzend Maulkörbe bekam der Guardian 2009 verpasst, mehr als doppelt so viel wie in den Vorjahren. Andere Zeitungen knebelte Trafigura genauso. Was den Medien sonst noch untersagt wurde, weiß keiner - wegen der komplett verordneten Heimlichkeit.

Doch nun hatte die Sache auch ihr parlamentarisches Nachspiel: Am Mittwoch debattierte das Unterhaus die Maulkorb-Verfügungen. Carter-Ruck hatte zuvor allen Abgeordneten per Brief empfohlen, den Fall Trafigura lieber nicht zu diskutieren, weil noch ein Gerichtsverfahren laufe. Doch die Abgeordneten waren alles andere als amused, sondern sich einig darüber, dass dieses juristische Instrument "zu ausführlich" eingesetzt würde. Und versicherten sich gegenseitig, dass sie schon seit 1689 das Recht auf freie Rede hätten und es sich so schnell nicht nehmen lassen würden. Jetzt sollen Taten folgen: Premierminister Gordon Brown nannte solche Verfügungen "einen unglücklichen Rechtsbereich", der neu geregelt werden müsse.

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