"Tatort"-Krimi kommt ins Radio: Lauschende Mordsnächte

Von heute an senden die ARD-Anstalten speziell fürs Radio produzierte "Tatort"-Krimis. Sie sind gut genug, um das Hörspielgenre wiederzubeleben.

Ermittler Taraki (Baki Davrak) mit seinem besten Freund am Mike. Bild: wdr/anneck

Im Fernsehen läuft am Mittwoch übrigens: nichts. Im Ersten ist Liebesdrama-Alarm. Das ZDF zeigt unter dem Titel "Krieg und Frieden" den letzten Teil einer, wie die taz vor kurzem schrieb, "TV-Verbumfiedelung eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur". ProSieben sendet mit "Das Inferno" eine mittlere TV-Katastrophe. Und der Rest des Filmprogramms ist seit Jahren in jeder Videothek ausleihbar.

Guter Tag also für den Versuch, dem Radiohörspiel neue Popularität zu verschaffen.

Um 20.05 Uhr wird von allen öffentlich-rechtlichen Anstalten die erste speziell für den Hörfunk entstandene "Tatort"-Folge ausgestrahlt. "Der Emir" heißt das vom WDR produzierte Debüt der Krimireihe (von Peter Meisenberg, Regie: Thomas Leutzbach), zu der von nun an jeden Monat eine der neun ARD-Anstalten einen knapp einstündigen Radio-"Tatort" beisteuern wird, dann ausgestrahlt auf den jeweiligen Krimiplätzen der Sender. Die Reihe könnte - darauf lässt die erste, klug komponierte Folge hoffen - schaffen, was lange kaum denkbar schien: dem Genre des originär für das Radio geschaffenen Hörspiels neue Impulse zu geben und es an Tagen wie heute gar zu einer kleinen Konkurrenz für das fiktionale TV-Programm zu machen.

Nadir Taraki (Baki Davrak) heißt der verdeckte Ermittler, der nicht so behördentreu funktioniert, wie es sich sein Chef (Rudolf Kowalski) vorstellt, und der den "Emir" (Tayfun Bademsoy), Kopf eines libanesischen Menschenhändlerrings, hochnehmen will. Worauf das Fernsehen lange warten musste, wird hier gleich im ersten Fall installiert: ein Ermittler, der aus einem deutsch-afghanischen Elternhaus stammt und ganz selbstverständlich in verschiedene kulturelle Zusammenhänge hineinsozialisiert wurde.

Dass sowohl Tarakis Figur als auch die des Emirs, der den Bösen verkörpert, auch stereotype Zuschreibungen streifen, die Muslimen heutzutage eben so zugedacht werden, ist ein Dilemma, dem derzeit in massenmedialen Zusammenhängen offenbar kaum zu entkommen ist. Immerhin: Über die alte Leier der Migrantenklischees hinaus wird hier auch - und das intensiver als in den meisten Fernseh-"Tatort"-Folgen - verhandelt, wie vielfältig und unvorhersehbar Identitäten sich ausgestalten.

In den Folgemonaten schicken dann auch die anderen acht Rundfunkanstalten der ARD - ganz wie im TV-"Tatort" - je eigene Ermittler an die Tatorte. Neun Regionen werden abgedeckt, neun Figurenkonstellationen werden von Folge zu Folge weiterentwickelt. Eine Schwierigkeit dürfte darin bestehen, die Figuren auf Dauer wiedererkennbar zu gestalten - da die Radio-"Tatort"-Reihe nur einmal monatlich ausgestrahlt wird, kommen die einzelnen Ermittler maximal zweimal jährlich zum Einsatz.

Es ist dennoch das Prinzip Wiedererkennung, auf dem das Konzept basiert: Die über das Fernsehen bereits etablierte Marke "Tatort" soll die Hörer anziehen. Es ist vielleicht bezeichnend für den Stellenwert des Radios, dass damit ein bewährtes Fernsehkonzept den Ton für die jüngste, einigermaßen aufsehenerregende Entwicklung des einst schon totgesagten Hörspiels vorgibt. Zuletzt war das Hörspiel oft entweder ein verspielt-verschachteltes Spezialistengenre oder mittelmäßig vorgetragener Blödsinn. Aber vielleicht wird es dank der neuen Krimireihe nun ganz einfach etwas populärer.

"Der Emir": Bayern2Radio, hr2 Kultur, MDR Figaro, NDR Info, Nordwestradio, RBB Kulturradio, SR2, SWR2, WDR5, je 20.05 Uhr.

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