Schriften zu Zeitschriften: Lieber Kollege Heiliger Vater

Eine Attacke in elf Thesen und ein Referat aus Rom. "Zeit" und "Blätter für Politik" diskutieren die neue Rolle von Jürgen Habermas als Anwalt des Glaubens.

Eine neue Diskursgemeinschaft weißhaariger Generationsgenossen. Bild: ap

Wer vor zehn Jahren prophezeit hätte, ein Papst würde sich dereinst auf Jürgen Habermas berufen, der hätte für lautes Gelächter unter Deutschlands Intellektuellen gesorgt. Seither hat sich die Welt gewandelt, und es bleibt eine interessante Frage, wer sich dabei stärker verändert hat: der deutsche Philosoph oder der Stellvertreter Christi auf Erden.

Es begann im Jahr 2004 mit jenem legendären Glaubensgespräch zwischen Habermas und dem damaligen Kardinal Joseph Ratzinger in München, aus dem mittlerweile eine veritable Diskursgemeinschaft der beiden weißhaarigen Generationsgenossen geworden zu sein scheint. Ratzinger alias Papst Benedikt XVI. jedenfalls berief sich im September 2007 in einer großen Rede ausdrücklich auf Habermas, der das Christentum nicht nur zum Katalysator, sondern zum bis heute wirksamen, alternativlosen Erbe für die Freiheit und Solidarität in Europa erklärt hatte.

Dass Religion nunmehr überraschenderweise für die Kritische Theorie kein Herrschaftszusammenhang, sondern freiheitsstiftende gesellschaftliche Ressource ist, kann man gar nicht anders deuten als eine der Kehren des späten Jürgen Habermas. Sichtbar wurde dieser Prozess zunächst in seiner Friedenspreisrede 2001, als der Philosoph wenige Wochen nach Nine Eleven die metaphysische Lücke seiner Theorie auszugleichen versuchte. Und wer seither die zahllosen Debatten, Artikel, Bücher und Konferenzen verfolgt hat, die es zum Großthema "Rückkehr der Religion" gegeben hat, kommt nicht umhin, Habermas einmal mehr als intellektuellen Trendsetter unter Deutschlands Denkern zu bestaunen. Der Glaube ist merkwürdigerweise zum omnipräsenten Thema geworden - und der anschmiegsame Theoretiker gibt auf seine alten Tage erneut die Stichworte zur geistigen Situation unserer Zeit.

Von Religionskritik ist bei ihm nicht viel zu hören. Man kann darüber rätseln, ob von Starnberg nach Rom gesandte Sonderdrucke die Anrede "Sehr geehrter Kollege" oder "Heiliger Vater" ziert; die Archive des Vatikans werden vielleicht in ein paar hundert Jahren das Geheimnis lüften.

Irritationen können da nicht ausbleiben. Bei aller Generationsgenossenschaft: Musste es ausgerechnet Ratzinger sein, dieser intelligente Erzreaktionär? Und wo bleiben bitte schön die Protestanten in dieser neuen Diskursgemeinschaft? Bezeichnenderweise melden sich Habermas-Schüler in der Glaubensdebatte kaum zu Wort.

In der Zeit hat jüngst nun der italienische Philosoph Paolo Flores dArcais zum Gegenschlag ausgeholt und Habermas in "Elf Thesen" polemisch attackiert: Der Italiener will von der Ressource Religion nichts wissen und besteht auf der Trennung des privaten Glaubens von den öffentlichen Argumentationen. So herausgefordert, schwor Habermas seinen Fans, dass er "zwar alt, aber nicht fromm" geworden sei. Er verwies auf seinen Aufsatz in der Dezember-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik, der auf einem Referat beruht, das Habermas in Rom gehalten hat.

Hier fasst der Philosoph noch einmal seine Argumente für die Achtung der Religion als Akteur in öffentlichen Angelegenheiten zusammen. Die "postsäkulare Gesellschaft" sei trotz aller vorangegangenen Säkularisierungsprozesse vom "Fortbestand religiöser Gemeinschaften" geprägt. Es sei daher ein Gebot der Vernunft, die politische Kommunikation auch für religiös geprägte Sprache offenzuhalten und die "polyphone Komplexität" nicht vorschnell zu reduzieren: "Der demokratische Staat sollte weder Individuen noch Gemeinschaften davon abhalten, sich spontan zu äußern, weil er nicht wissen kann, ob sich die Gesellschaft nicht andernfalls von Ressourcen der Sinn- und Identitätsstiftung abschneidet."

Unausgesprochen ist der späte Habermas mit dieser Argumentation bei einem katholischen deutschen Denker angekommen, der des Öfteren bei päpstlichen Intellektuellenkonferenzen in Castelgandolfo dabei war. Der von Carl Schmitt geprägte Jurist und einstige Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde hatte das Problem vor dreißig Jahren so formuliert: "Der freiheitliche säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der

Blätter für deutsche und internationale Politik, 52. Jg., Heft 12/2007, 9 Euro

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