SWR-Projekt "Alpha 0.7": Über Leben unter Überwachung

Das trimediale SWR-Projekt "Alpha 0.7" ist so komplex wie schlicht. Thema: Das Leben im Jahr 2017, samt Videoüberwachung und Brainscanner.

Keine Deckenlampe, sondern ein Brainscanner: Andreas Zander (Tobias Schenke) als Versuchskaninchen. Bild: swr

"Keine Serie" sei das, "ein Universum". Auch von einem "Kosmos", einer "mit Leben unterfütterten Welt" war immer wieder die Rede bei der Pressekonferenz zum "trimedialen" Projekt "Alpha 0.7". Und SWR-Fernsehspielchef Carl Bergengruen setzte noch einen drauf: Das sei "die Geschichte, die Orwell schreiben würde, wenn er heute leben würde". Hier wird also eine neue Ära eingeleitet. Mindestens.

Erfunden wurde die Ser… Verzeihung: das Universum, mit dem sich die SWR-Nachwuchsfilmreihe "Debüt im Dritten" zum 25. Geburtstag beschenkt hat, von Sebastian Büttner und Oliver Hohengarten. Das Autorenduo entwickelte zunächst eine hundertseitige "Serienbibel" mit den wichtigsten Handlungsbögen, Charakteren und Hintergründen: Im Jahr 2017 werden die Deutschen besser durchleuchtet als in Schäubles kühnsten Träumen. Nacktscanner und Videoüberwachung gehören zum Alltag, nun sollen auch noch Brainscanner Straftäter schon vor der Tat ertappen - das Pre-Crime-Prinzip, bekannt aus Steven Spielbergs "Minority Report".

Auf dieser Basis entstanden die Einzelbestandteile von "Alpha 0.7": eine sechsteilige Fernsehserie, eine Hörspielreihe, weitere begleitende Radiofeatures sowie die Weblogs und Internetseiten von diversen "Alpha 0.7"-Protagonisten und -Organisationen. Ergänzt wird die Fiktion durch Radiosendungen über die Hintergründe zum aktuellen, unangenehm fortgeschrittenen Stand der neurowissenschaftlichen Forschung und der Verbrecherfrüherkennung. Jedes Element funktioniert dabei eigenständig, aber erst im Zusammenspiel entfaltet sich die gesamte Tiefe der "Alpha 0.7"-Welt.

Fernsehen: ab Sonntag, 22.40 Uhr, SWR; Wdh. bei Arte (ab 18. 11.) und ARD (am 29. 12.) geplant.

Internet (u. a.): www.alpha07.de, www.apollon-blog.de, www.protecta-society.de

Radio: ab 14. 12., dienstags, 19.20 Uhr: Hörspielserie; bis 17. 12., freitags, 16.05 Uhr sowie am 1./13. 12., 8.30 Uhr: wissenschaftliche Hintergründe, alles auf SWR2

Gut gegen Böse

So komplex das Drumherum, so holzschnittartig ist das Szenario: Hier der böse Konzern Protecta Society, der buchstäblich über Leichen geht. Dort die jugendliche Widerstandsgruppe Apollon mit dem forschen Führungsduo (Anna Maria Mühe und Tobias Schenke), die im Begriff ist, eine Riesenverschwörung aufzudecken. Und dazwischen ahnungslose Bürger, denen die Augen geöffnet werden müssen - und von denen exemplarisch die labile Mutter Johanna Berger (Victoria Mayer) als Versuchskaninchen missbraucht und in den Wahnsinn getrieben wird.

Gerade in der Fernsehserie (Regie: Marc Rensing) sind die Schauspielerleistungen und Dialoge mitunter hanebüchen schlicht - während die Welt drumherum so aussieht, wie Überwachungsdystopien seit 40 Jahren halt aussehen: Alles ist clean und kühl, die Polizisten erinnern an Robocop, die Computer haben futuristische Frauenstimmen. Trotzdem ist es spannend, und auch Optik, Schnitt, Effekte und Sounddesign sind zeitgemäß und ansprechend - etwa wenn durch den konsequenten Einsatz von Jump Cuts eine permanent leicht paranoide Atmosphäre erzeugt wird.

Wie trimedial und revolutionär das nun alles ist, ist eine andere Frage: Man könnte wohl genauso gut von marketingtechnisch clever verzahnten Spin-Offs sprechen. Dennoch bietet der "Alpha 0.7"-Kosmos genügend Stoff, um sich einige Zeit in ihm zu verlieren, vor allem im absichtlich (?) unübersichtlich gehaltenen Webangebot, wo mit viel Liebe zum Detail gearbeitet wurde, bis hin zu gefaketen Stellenanzeigen - gestalterisch besonders gelungen ist hier der YouTube-Channel von Johanna Bergers Teenagertochter Meike.

Und überhaupt muss man das natürlich gutheißen: dass eine ARD-Anstalt mal etwas wagt, dass sie zumindest halbwegs komplexe Stoffe erzählt, dass sie eine junge Zielgruppe mit eigenen Formaten zu erreichen versucht. Da kann man "Alpha 0.7" seine handwerklichen Schwächen durchaus verzeihen, und auch, dass die Akribie der Macher an manchen Stellen beinahe verkrampft wirkt. Sollte es solche Formate in Zukunft wirklich häufiger geben, werden sie sicher noch zu mehr Gelassenheit finden.

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