"Polizeiruf 110" mit Edgar Selge: Wer ist hier down?

Der Münchner "Polizeiruf 110" punktet wieder mit seinem Thema: Versehrtheit - so heißt das politisch Korrekt. ("Rosis Baby", So., 20.15 Uhr, ARD)

Politisch korrekt oder perfide launisch: So oder so ist der Umgang mit behinderten Menschen meist von erheblicher Unsicherheit geprägt. "Na sauber, ein Mongo!", ruft Kommissar Tauber (Edgar Selge) aus, als er in der Raststätte, wo in der Nacht zuvor ein Überfall mit schwerer Körperverletzung verübt worden ist, eine junge Frau mit Downsyndrom vernehmen muss. Kollegin Obermaier (Michaela May) versuchts auf die couragierte Tour und spricht mit der Zeugin so langsam, laut und deutlich, als litte diese unter Schwerhörigkeit.

Am Anfang dieses extrem feinnervigen "Polizeirufs" geht gar nichts in Sachen Kommunikation - am Ende aber stehen die Ermittler in einem intensiven, relativ vertrackten Dialog mit der Behinderten. Als kluge Studie über Sprachverlust und -gewinnung also kommt diese Episode von Regisseur Andreas Kleinert daher (der einst in den von ihm überarbeiteten Schweriner "Polizeiruf" mit Henry Hübchen eine beredte Schweigsamkeit brachte). Auf jeden Fall hören die Ermittler in der Münchner Folge der Behinderten bald zu - obwohl diese sie offensichtlich an der Nase herumführt: Rosi (Juliana Götze in ihrem grandiosen Filmdebüt) war in der Mordnacht mit ihrer Mutter zu einer Abtreibungsklinik unterwegs, wo die Schwangerschaft der 22-Jährigen abgebrochen werden sollte. Auf dem Parkplatz der Raststätte wurde Rosis Mutter dann ins Koma geprügelt. In Verdacht geraten sowohl deren Exmann als auch Rosis eifersüchtiger Freund. Und Rosi selbst weiß offensichtlich mehr, als sie zugeben will.

Ein ordentlicher Krimi, ein außerordentliches Selbstbehauptungsdrama ist "Rosis Baby" (Buch: Matthias Pacht und Alex Buresch) geworden. Für den üblichen öffentlich-rechtlichen Behindertenschmonzes und Integrationsmummenschanz ist hier kein Platz. Beachtlich, mit welcher Doppelbödigkeit Regisseur Kleinert seine behinderte Hauptdarstellerin als weitgehend autonomen Charakter agieren lässt. Er setzt sie als fühlende und begehrende Kämpfernatur, ausgegrenzte und tragisch verstrickte Person in Szene.

So gesehen passt sie perfekt zum Outsider Tauber, der sich bald auf eigentümliche Weise zur Zeugin hingezogen fühlt. Es beginnt in einer Tanzschule für körperlich und geistig Behinderte, wo der Tanzlehrer dem einarmigen Kauz Tauber ganz selbstverständlich Rosi als Partnerin zuweist. Das ist der Start für eine innige Beziehung, die zwar zwangsweise bald an ihre Grenzen stößt - aber reichlich Gelegenheit bietet, ohne Scheuklappen komplizierte Sachverhalte wie Behindertenschwangerschaften zu thematisieren oder über Möglichkeiten und Grenzen in Sachen autonomer Lebensgestaltung von Menschen mit Trisomie 21 nachzudenken.

Vor allem aber wird in "Rosis Baby" der Kriminalfall dazu genutzt, die Geschichte einer sonderbaren Annäherung zu zeigen. Die Pflege- und Liebesbedürftige wirft sich sehnsuchtsvoll dem traurigen Ermittler in die Arme, und der sieht sich genötigt, sie auf ihre Behinderung hinzuweisen, während er selbst stärker als in allen anderen Folgen mit der eigenen Versehrtheit konfrontiert wird. Um es mit den Eingangsworten des Kommissars zu sagen: Der "Mongo" ist natürlich Tauber selbst.

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