Noise-Rockband No Age: Die Anmut von Lautstärke

No Age haben mit "Everything in Between" das Noise-Rockalbum des Jahres veröffentlicht. Jetzt kommen sie auf Tournee.

Alles andere als stille Typen: Rockband No Age. Bild: Todd Cole

Momentan arbeitet keine Band radikaler mit den Möglichkeiten der Klangästhetik des Übersteuerten als No Age aus Los Angeles.

No Age sind nur zu zweit. Dean Spunt singt und spielt Schlagzeug und Randy Randall bedient die Gitarre. Die beiden kalifornischen Endzwanziger haben ihr halbes Leben damit zugebracht, neue Zugänge zur Härte zu erforschen. Dass sie dabei zum lautesten Duo der Welt geworden sind, finden sie eher nebensächlich. Obwohl es doch eine körperliche Erfahrung ist, ihrer Musik zuzuhören.

Die Lautstärke bringt Äderchen zum Platzen. Es riecht nach verbranntem Kabel und man nimmt nur noch Umrisse wahr. In den Händen von No Age wird Lautstärke zu einem ästhetischen Argument. Der aufgerissene Volume-Regler am Gitarrenverstärker ist Mittel zum Zweck, der Lärm erzeugt Dynamik, die sich in langen Bögen der Spannung aufbaut.

In Bristol, England, gewinnt die Europatournee von No Age an Fahrt. Ihr neues, eben erschienenes drittes Album "Everything in Between" hat in den USA hymnische Kritiken erhalten. Nun wird sich erweisen, ob die Band auch in Europa ein größeres Publikum gewinnen kann. An diesem Oktoberabend spielen No Age die 13 neuen Songs von "Everything in Between" zum ersten Mal live auf der Bühne eines Clubs, der ausgerechnet "Start the Bus" heißt. War doch der Bus einst das Pflichtvehikel der Hippies, in dem sie umherschweiften und Drogen nahmen.

Die zahlreich anwesenden Erasmus-Stipendiaten, die sich mit den einheimischen, geschmackvoll gekleideten Briten mischen, ahnen von alldem nichts. Eifrig skypen sie vor dem Konzert auf mitgebrachten Laptops und sprechen auf Französisch, Spanisch und Italienisch in ihre Mikroports, als würde die Flatrate am nächsten Tag im Preis verzehnfacht. Erst allmählich werden die Schlangen vor dem Tresen länger.

Mit dem Alkoholverbrauch steigt dann auch der Lärmpegel, der Busmotor springt an. Als No Age gegen halb zwölf die Bühne entern, wird die alte Bus-Psychedelik in ein neues Zeitalter überführt, in dem es um Bewusstseinsverengung geht, während der Mainstream einem ständig die unbegrenzte Leichtigkeit des Seins vorgaukelt. "Wir mögen Beschränkungen", erklärt Dean Spunt, "damit wir uns dagegen auflehnen können."

Randy Randall steht auf der Bühne vor einem großen Verstärker, vor sich ein Arsenal an Effektgeräten; Teufelsmaschinchen, die seine Riffs auf größere Umlaufbahnen schleudern, modulieren und in die Unendlichkeit auswalzen. Auf gleicher Höhe Dean Spunt. Er singt ins Mikrofon und spielt Beats aus der Steinzeit des Rock: Sein Ugga-Ugga wird in der Gemengelage mit Randall zur rotierenden Flugzeugturbine. "Rock ist eine Sprache, die die Menschen verstehen. Wir verwenden Rockklischees bewusst, spielen mit ihnen und stutzen sie so zurecht, dass sie für uns Sinn ergeben. Erst dann kommt der Lärm und die Härte zustande."

"Zu zweit eine Band zu machen, das ist schon speziell. Wir könnten dicke Freunde sein, eine Ehe führen oder als Geschäftspartner in einem Kreativbusiness fungieren. Manchmal sind wir wie zwei Bullen in einem Streifenwagen, sagen wir Riggs und Murtaugh in ,Lethal Weapon'. Wenigstens stehen so die Chancen immer 50 zu 50, dass eine Idee verwirklicht wird", sagt Randy Randall.

Eine Zweimann-Rockband bringt extreme Beschränkungen mit sich. Für ausufernde solistische Leistungen ist kein Platz. Der Bass fehlt im Klangspektrum von No Age. Ihr Sound ist nicht groovy. Aber man merkt es gar nicht, weil Sampleloops aus den tiefen Frequenzbereichen Rhythmen kreieren und das Gitarrenfeedback für exorbitante Schwingungen sorgt.

"Ich mag die Vorstellung, dass Feedback eine Drastik hat, so wie Stille. Wenn etwas urplötzlich leise ist, wird es ja erst dynamisch. Was die Dynamik von Feedback angeht, sie erzeugt einen Gegenraum von Sound. Ich verwende meist Moll-Akkorde und die stehen dann im Feedback deutlich als Kontrast zur Anmut der Lautstärke." Randall spricht von Feedback auch als Tumor, etwas, das wuchert.

Die Geschichte des Feedbacks beginnt in der Rockmusik, wie so vieles, aus Versehen. In den Flegeljahren der elektrischen Verstärker waren Störgeräusche unvermeidlich, sie lassen die Gitarre von Bo Diddley oder Link Wray übersteuert klingen. Gitarristen wie Jimi Hendrix konstruieren diesen "Fehler" bereits mit kunstvoller Absicht, als Ausweis der eigenen Virtuosität.

Ganz anders bei No Age, da hat das Feedback ein Eigenleben im Song, es bestimmt die Melodiefolgen, verstärkt die Wucht und verdichtet die Harmonien. Ein Clusterfuck, der auf der Klangphilosophie von Bands wie My Bloody Valentine aufbaut. "Als ich mit 14 erstmals eine Gitarre in die Hand nahm, wollte ich keine Riffs spielen oder Songs, ich wollte wissen, wie sich die kathartische Lautstärke von Feedback anfühlt", sagt Randy Randall.

Die Wirkung von Feedback in der Musik lässt sich mit der des Schattens in der Kunst vergleichen. Wie Schatten ist auch Feedback eine flüchtige und wechselhafte Erscheinung. Beides lässt sich weder anfassen noch festhalten. Dennoch sind sie anwesend: Etwas, das Schatten wirft oder übersteuert, ist lebendig.

Schatten wird erzeugt, wenn Licht auf einen Körper fällt. Feedback wird erzeugt, wenn die Gitarre im Verstärker rückkoppelt. In der Aufklärung wurden Schatten als "Löcher im Licht" bezeichnet. Auch das Feedback von No Age gräbt tiefe Löcher in den Sound.

"Es geht bei uns immer um Energie, um die Wucht einer Explosion. Das ist etwas, was zu überwältigend ist, um es in Gefühlen zu beschreiben. Der Ursprung von Melodien ist nie impulsiv, es ist subtiler", erklärt Randy Randall. Man hat die Musik von No Age als Mischung aus Punk und Ambient bezeichnet. Die beiden Kalifornier variieren das Tempo viel stärker als klassische Punkbands. Hardcore-mäßig an No Age ist die Energie, mit der sie ihre Songs vorantreiben. Auch das aus dem Ambient bekannte Prinzip der Wiederholung wird dieser Energie zugeführt.

Los Angeles determiniert den Sound der Band. Es ist eine expansive Stadt, ohne richtiges Zentrum. "Wenn man aus L. A. kommt, hat man ein besonderes Bewusstsein für Mainstream-Kultur, wie sie in Hollywood hergestellt wird. Sie ist übermächtig. Man wird ständig mit ihr konfrontiert. Wir sind umgeben von Ehrgeizlingen, die es unbedingt schaffen wollen und kläglich scheitern. Wenn ich zu Hause bin, habe ich das Gefühl, ich muss mich davon lösen und jetzt wirklich kreativ sein", sagt Dean Spunt.

No Age fühlen sich einer langen Ahnenreihe von Kunst und Do-it-yourself-Musik aus ihrer Heimatstadt verbunden. Bands wie die Germs, Künstler wie Mike Kelley. "Wie alle in unserem Umfeld kommen wir aus Suburbia, und das Wissen um diese Eintönigkeit lässt uns besonders klingen. Es gibt nichts außer Langeweile, also muss man sich selbst unterhalten."

Beim Konzert in Bristol überträgt sich diese selbstgemachte Unterhaltung auf die Atmosphäre. Als No Age "Common Heat" anstimmen, einen der Hits aus dem neuen Album, dreht das Publikum durch. Leute stürzen sich im Salto von der Bühne, Frauen, Männer, Erasmus-Stipendiaten und Briten springen in die Luft und tanzen Pogo.

"Why do I come so close / Expecting to control / Everyone around me knows Im in trouble", singt Dean Spunt. Er betont die Zeilen auf je unterschiedliche Weise, bis die Bedeutungen im Feedbackwummern von Randy Randall immer weiter verschwimmen.

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