Konzert Sufjan Stevens: Ein Hippie mit Engelsflügeln

Der US-amerikanische Singer-Songwriter Sufjan Stevens lässt zum Auftakt seiner Deutschland-Tournee im Leipziger Centraltheater die Apokalypse tanzen.

Erstes Deutschlandkonzert seit über fünf Jahren: Sufjan Stevens. Bild: Denny Renshaw

LEIPZIG taz | "Bitte haben Sie Spaß!" Sufjan Stevens hat sich vorbereitet, eine kleine Ansprache einstudiert, in der er erklärt, wer er ist und woher er kommt. Michigan, Amerika, out of space. So sieht der Musiker auch aus. Neon-pink-grüne-gelbe Streifen kleben in seinem Gesicht und auf seinem Körper wie auch auf denen seiner zehn Mitstreiter.

Um ihn herum im Leipziger Centraltheater leuchten Sterne, die sich zu Häusern und Landschaften zusammentun, nur um dann wieder zusammenzufallen, er singt, Posaunen blasen, ein Klavier klimpert, zwei Schlagzeuge trommeln den Rhythmus, Mädchen tanzen, Gitarren und Bass sind sowieso dabei. Mit riesigen Engelsflügeln bekleidet, beginnt Sufjan Stevens sein erstes Deutschlandkonzert seit über fünf Jahren.

Die Flügel legt er schnell wieder ab, hinzu kommen wechselweise Affenmasken, Adlerflügel oder bunte Sonnenbrillen. Ein Hippie mit langen Locken und silbern leuchtendem Anzug spielt ein Casio-Keyboard-Solo, selbst der Roadie, der neue Gitarren und Mikrofone bringt, hat ein bunt glänzendes Superman-Zeichen um den Hals hängen. Eine Freakshow, die die Musik des Multiinstrumentalisten zumindest annähernd greifbar macht.

Sein neuestes Album, "The Age of Adz", ist ein Mammutmeisterwerk, das Kritiker zu Recht irgendwo zwischen Pop und Wahnsinn ansiedeln. Tanzbar ist es, ausufernd, nervenaufreibend und schön. Von der Liebe handelt es, und von der Apokalypse, wie der Sänger und Meister selbst erklärt, der sich zwischen all dem Brimborium auch dem Philosophieren hingibt. Im Endeffekt drehe sich ja doch alles um Beziehungen, alles ist ein Kampf, so wie die beiden Pferde auf dem Label der Levi-Strauss-Jeans, bei denen auch einfach eins nur gegen die Wand laufen könnte. "Very deep, I know." Grinst und spielt weiter, diesmal einen Akustikgitarren-Folksong, "zur Auflockerung".

Ein Folkkonzert sieht anders aus

Es sind vor allem die Folksongs, die den Singer-Songwriter berühmt machten, und seine scherzhafte Ankündigung, jedem US-Bundesstaat ein Album zu widmen, hat er immerhin für Michigan und Illinois wahr werden lassen. Doch ein Folkkonzert sieht anders aus. Hier und heute wird getanzt, geschwitzt, geweint.

Bebildert wird die Show auf Videoleinwand mit der ganz eigenen Welt des 1997 verstorbenen schizophrenen Künstlers Royal Robertson, der nach eigenen Angaben zufolge des Öfteren Besuch von anderen Planeten bekam und seine Inspiration unter anderem aus Comic-Heften und der Bibel erhielt. Sufjan Stevens schlief damals oft im Haus des Amerikaners und seiner zwölf Kinder. Nun ist er auch musikalisch in seine Welt vorgedrungen, spielt seine Lieder irgendwo zwischen Manie und Depression.

Als großes Finale sammelt sich all dies in dem 25-Minuten-Stück "Impossible Soul", das in eine riesige Party ausartet, die auch im Centraltheater niemanden mehr auf den Sitzen hält. Mit Konfetti, Luftschlangen, Tanzeinlagen und dem immer wieder mit elektronisch verzerrter Stimme vorgetragenen Chorus "Boy, we can do much more together" klatscht und tanzt jeder mit. Junge, viel mehr geht wirklich nicht. "Boy, we made such a mess together", so die letzten Worte. Elf Musiker verlassen nach über zweistündiger Show die Bühne, um minutenlang ausdauernd und stehend vom Publikum zurückgeklatscht zu werden.

Ohne Neon-Streifen im Gesicht kehren sie wieder, sichtlich gerührt von der Begeisterung, die sie ausgelöst haben. Zeit jetzt für die alten Hits. Und zu denen gehört mit Sicherheit "Chicago", das wirklich letzte und beste Lied. Von der Decke fallen Luftballons. Alles singt und springt und stupst Luftballons nach vorne und nach hinten. "Bitte haben Sie Spaß!" Dieser Bitte konnte man sich nicht verweigern.

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