"The Master Musicians of Jajouka": Grelle Töne in Schleifen

Eine 4.000 Jahre alte Rock-n-Roll-Band: Die mythenumrankten Meistermusiker aus dem Gebirgsdorf Jajouka geben zum ersten Mal seit 20 Jahren Konzerte in Deutschland.

Die Meistermusiker aus Marokko. Bild: Promo/Cherie Nutting

Der musikalische Mythos von Jajouka begann mit Missverständnissen. Missverständnissen, die seit über 60 Jahren zu einem äußerst fruchtbaren transatlantischen Austausch führen, zu Büchern, Schallplatten und Dokumentarfilmen. Zu einer Musik, die immer wieder Grenzgänger anzieht. In den fünfziger Jahren trafen die Beat-Schriftsteller Brion Gysin, William S. Burroughs und Paul Bowles in der marokkanischen Stadt Sidi Kasem den Künstler Mohammed Hamri, dessen Mutter aus dem 500-Seelen-Dorf Jajouka stammte. Jajouka liegt am Fuß des Rif-Gebirges, im Norden Marokkos. Es hat eine jahrhundertealte Musiktradition. Und Hamri machte die US Expatriates damit bekannt.

Die Musik ist rituell und urwüchsig, baut auf repetitiven Melodien und kopfstarken Rhythmen auf, wirft die Hörer in eine Art Hypnose. Hypnose, die sicherlich durch die Drogen verstärkt wurde, deren Einnahme die Beatpoeten propagierten. "Ich schrieb mal einen Artikel über die Disziplin des DE. Do Easy. Es sich leicht machen. Die besten Praktikanten von DE findet man in Jajouka … Die Musik stammt von einer 4.000 Jahre alten Rock-n-Roll-Band", schrieb Burroughs. "Die Musik kippt um in Hysterie, Angst, Unzucht. Ein Kloß aus Lachen und Weinen in der knorpeligen Kehle. Kitzel der Panik zwischen den Beinen", so Gysin 1964.

Brion Gysin war es auch, der 1968 Brian Jones, den Rolling-Stones-Gitarristen, mit nach Jajouka nahm. Zusammen mit dem Toningenieur George Chkiantz nahm Jones das sagenumwobene Album "Brian Jones presents The Pipes of Pan at Jajouka" auf. Nach Jones Tod 1969 erschien es postum 1971 und gilt als erste Aufnahme der Jajouka-Musik. Chkiantz und Jones verfremdeten die Feldaufnahmen allerdings mit Echoschlaufen. Auch das trug zur mystischen Aura der Meistermusiker aus Jajouka bei und steigerte die Sehnsucht vieler Hippies, dem Ort einen Besuch abzustatten. Aber Jajouka ist eben kein Aussteigerparadies, der Alltag ist viel zu hart. Bisher sind alle Versuche gescheitert, dort eine Musikschule zu eröffnen. Viele Jajouka-Musiker sind gestorben, Nachwuchs zu rekrutieren ist schwierig.

Bachir Attar war 1968 vier Jahre alt. Er erinnert sich, dass Brian Jones riesige Kopfhörer trug und mit einem Mikrofon herumhantierte. "Brian Jones verschwand nach ein paar Tagen wieder. Das nächste Mal haben wir von ihm gehört, als 1969 sein Tod bekanntgegeben wurde. Das war seltsam, aber natürlich half uns sein Album später dabei, die Musiktraditionen aufrechtzuerhalten. Durch Jones wurden weitere Musiker und Kritiker auf uns aufmerksam." Die Liste ist lang: Ornette Coleman, Robert Palmer, Musikkritiker der New York Times, nicht zuletzt die Rolling Stones selbst, die dort Aufnahmen machten.

Signalinstrument Ghaita

Bachir Attar ist heute der Leiter der Master Musicians of Jajouka. Er hat diesen Posten von seinem Vater Hadj Abdessalam Attar, genannt "Jnuin", geerbt, der 1981 starb. "Ich liebe die Jajouka-Musik. Mein Vater hat sie mir beigebracht. Er hat mir verboten, eine Schule zu besuchen. Ich musste mir stattdessen die Feinheiten von Grund auf aneignen und habe alle Jajouka-Instrumente erlernt. Als Kind habe ich geträumt, dass ich diese schöne Musik auf der ganzen Welt spiele." Bis heute sorgt Bachir Attars Managerin und Exfrau, die amerikanische Fotografin Cherie Nutting, dafür, dass die Meistermusiker aus Jajouka immer wieder auf Tour gehen. Nun kommen sie auch für drei Konzerte nach Deutschland.

Im Dorf selbst gibt es allerdings Zwist. Verschiedene Familienstämme ringen um die Hoheit, die wahren Repräsentanten der Jajouka-Musik zu sein. Die schwierige wirtschaftliche Situation hat zu den Zwistigkeiten beigetragen. Blendet man die unangenehmen Begleitumstände weg, zieht einen die ansteckende, machtvolle Musik sofort in den Bann. Mit Urlaubsfolklore hat Jajouka nichts zu tun, ihr Klang ist viel zu angsteinflößend und bedrohlich. Man kann es durchaus Arbeit nennen, dieser Musik konzentriert zu folgen.

Das Signalinstrument des Jajouka-Folk ist die Ghaita genannte Oboe, deren grelle Töne an das Schmettern von Trompeten erinnert. Saiteninstrumente, Flöten, aber vor allem verschiedene gewaltige Trommeln sorgen für die rhythmuslastige Basis. Jajouka-Musik baut sich über Stunden zu einer Trance auf, die Melodien sind in Schleifen angelegt. Bis zu 50 Musiker sind daran beteiligt.

Es war der Jazzmusiker Ornette Coleman, der nach einem Besuch in Jajouka den Klängen lebensrettende Qualitäten zusprach. "Unsere Musik ist einzigartig. Sie heilt Wahnsinnige, sie macht Kranke gesund, sie sorgt für Frieden. Unsere Musik ist eine Frage und eine Antwort", erklärt Bachir Attar. Und schiebt hinterher, die Wirkung von Jajouka-Musik entstünde durch "Baraka", die spirituelle Kraft. "Baraka rettet Leben. Wenn man unsere Musik hört, muss man zu Gott aufschauen. Eigentlich kann nur Allah Leben retten, denn in seinen Händen liegt unser Leben." Auf die Frage, was wichtiger sei, die Musik oder die Religion, schweigt Bachir Attar.

Eigentlich gelangte der Islam erst um 1300 nach Jajouka. Durch den Heiligen Sidi Ahmed Sheikh, der die Siedlung auch gegründet haben soll. Die Wurzeln der Musik reichen viel weiter zurück. Die Bewohner Jajoukas sind im 9. Jahrhundert aus Persien in das Gebiet des heutigen Marokko eingewandert. Der Islamwissenschaftler und Betreiber des Internetmagazins quantara.de Arian Fariborz bescheinigt Jajouka, "Ritualmusik" zu sein, die "transzendentale Kräfte" habe.

Berührt von der Rute

Neben den religiösen Untertönen und Elementen des Sufimystizismus hat Jajouka vor allem mit heidnischen Riten zu tun. Zur Musik wird getanzt. Die zentrale Figur ist "Boujeloud", der Ziegengott, eine mit Ruten ausgestattete Zottelfigur mit schwarz angemalten Gesicht. "Boujeloud" ist ein Ebenbild des antiken Pan, Schöpfer der Fruchtbarkeit. Frauen sollen schwanger werden, wenn "Boujeloud" sie mit der Rute berührt. Einmal im Jahr, nach dem Ende des Ramadan, wird für "Boujeloud" ein Freudenfeuer entzündet. Zum Takt der Meistermusiker beginnt er zu tanzen und die Ruten wild um sich zu werfen.

Im 17. Jahrhundert haben Musiker aus Jajouka für den marokkanischen König Alawid am Hofe gespielt. Im Jahr 1912 erhielten die Musiker eine Sondergenehmigung, die sie von der bäuerlichen Arbeit entband. Das Erbe der Jajouka-Musik drohte aber in Vergessenheit zu geraten, als viele Musiker nach 1930 in die spanische Armee eingezogen wurden. Erst durch die Beatpoeten wurde die Musik im Westen bekannt. Auf die Nähe zum marokkanischen Königshaus legt Bachir Attar noch heute Wert.

Angesprochen auf die Revolution im Nachbarland Tunesien, reagiert er bestimmt. "Nein, bei uns liegen die Dinge anders. Unser König kümmert sich um seine Bürger. Hoffentlich wandelt sich Marokko nie. Ich liebe König Mohammed VI. Ich liebe unser Land." Aber wer als Hörer in dieser Musik nach Trance-Zuständen sucht, muss ja nicht gleich selbst Royalist werden.

The Master Musicians of Jajouka, geleitet von Bachir Attar: 30. Juni Köln "Stadtgarten", 2. Juli, Berlin "Haus der Kulturen der Welt", 3. Juli Rudolstadt "Tanz & Folklorefest"

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