Wie singende Mönche Spiritualität verkaufen: Irdischer Pophimmel

In den britischen Charts sind sie mit ihren Chorälen an Madonna vorbeigezogen. Die singenden Mönche aus Heiligenkreuz scheinen einen Nerv zu treffen.

Endlich: die richtige Madonna hat den Weg in die Charts gefunden. Bild: dpa

BERLIN taz Um 12 Uhr, als es eigentlich Zeit wäre zu beten, sitzt Karl Wallner in einem Konferenzraum des Plattenlabels Universal. Vor ihm auf dem Tisch liegen Kekse, eine CD und einige Bücher. Eines ist noch in Folie verpackt, es heißt "Sinn und Glück im Glauben". Er hat es geschrieben. Wallner hat auch ein Gesangsbuch dabei. Damit würde er jetzt eigentlich zwischen anderen Mönchen stehen und singen. Über ihm die Bögen der Abteikirche des Stifts Heiligenkreuz im österreichischen Wienerwald. Aber das Kloster ist gerade einige hundert Kilometer entfernt, draußen brütet Berlin. Pater Karl Wallner beendet hier seine kleine Deutschlandtournee mit einer Reihe von Interviews. Er trägt sein weiß-schwarzes Mönchsgewand, glänzende Schuhe und eine dicke Sportuhr am Handgelenk. Ein großer Mann mit gestutztem Ziegenbart. Alle paar Minuten setzen sich neue Journalisten für ein Interview zu ihm. Es ist, als wäre er einer von diesen Popstars, deren Plakate unten im Foyer hängen.

Das alles hat mit der CD zu tun. Darauf sind Karl Wallner und einige anderen Zisterzienser-Mönche aus Heiligenkreuz zu hören, wie sie in ihren gregorianischen Chorälen sehr häufig vom "Dominus" und der "Aeternitas" singen, vom Herrn und der Ewigkeit. Wörter, die sonst in Popsongs eher selten vorkommen. Der Titel klingt schon eher danach: "Chant - Music for Paradise". Das Album stand wochenlang an der Spitze der österreichischen Charts und holte Gold und Platin. Dann haben die Zisterzienser in den britischen Top Ten Madonna und Amy Winehouse überholt. "Im Augenblick ist Deutschland am Erwachen", sagt Karl Wallner. Konkret heißt das zurzeit: Platz 12 in der Hitparade.

Sie werden immer bekannter. Anfangs haben sie sich gefreut, dass Tausende ihnen beim Beten zuhören wollen und deswegen ihr Album kaufen. Wallner hat erzählt, dass das keine Fastfood-Musik ist, sondern geistige Kraftnahrung, und dass jetzt endlich die richtige Madonna in den Charts sei, die Gottesmutter. Die Leute bei Universal waren froh, dass sie etwas Echtes im Programm hatten. Das schien in Zeiten zügig verglühender Kurzzeit-Sternchen aus der Castingkonserve ein großartiger Mehrwert. Aber nach und nach geriet die Sache aus den Fugen. Während sie in der Klosterkirche ihre Chorgebete sangen, klickten die Touristenkameras immer lauter. Schon vor dem Chart-Erfolg kamen jedes Jahr 170.000 Besucher. In Wallners E-Mail-Postfach stapeln sich die Anfragen. "Wir können es nicht mehr bewältigen", sagt er. Sie mussten reagieren.

Es war eine kurze Mail, die all das ausgelöst hat. Karl Wallner schickte sie an die britische Zentrale von Universal. Am letzten Tag, am Einsendeschluss. Die Manager des Labels suchten mit einem Wettbewerb singende Mönche. Von den Zisterziensern waren sie recht schnell überzeugt. Das mag auch daran gelegen haben, dass sie einen Clip auf der Videoplattform YouTube fanden, der die singenden Mönche in Heiligenkreuz zeigte und schon einige zehntausend Male geklickt worden war. Vielleicht wusste einer von ihnen auch von dem Konsolenspiel "Halo 3". Ein ziemlicher Verkaufsschlager. Im Hintergrund laufen gregorianische Choräle. Es schien da ein Bedürfnis zu geben, eine Nachfrage.

Karl Wallner glaubt, dass es eine Sehnsucht nach Ruhe ist. Je schneller, je lauter, je aufgeregter die Popmusik wird, desto mehr verlangen bestimmte Leute auch nach dem Gegenteil. In England haben sie die "Chant"-CD "Chill-out"-Musik genannt. Etwas zum Entspannen. Man spürt beim Zuhören die Kirchenkühle. Das macht der Hall der lang gezogenen Vokale.

Johannes Weise aber sagt, das gehe in Richtung "Wellness-Religion". Er trägt seine weiße Kutte mit dem Holzkreuz am Gürtel, sitzt vor einem Café namens Kapelle in Berlin-Prenzlauer Berg und trinkt ein Glas Wasser. In dem Viertel wohnen viele junge Leute, die Kirchen sind seit einiger Zeit wieder voll. Weise ist Mönch bei den Dominikanern. Er ist Anfang dreißig, spielt Fußball und hat mit einem Freund, einem Unternehmensberater, gerade ein Buch geschrieben, in dem er das Oktoberfest lobt, weil dort so viele Unbekannte fröhlich zusammen feiern. Es ist ein Buch über Lebensfreude. Weise meint, dass der Glaube ein Weg dorthin sein könnte, und er hat festgestellt, dass diesen Weg zurzeit wieder mehr Leute gehen wollen. Sie sind mit Abstand zur Religion aufgewachsen und nähern sich jetzt unvoreingenommen. Einige seiner Mitbrüder haben sich hier in Prenzlauer Berg niedergelassen, um den modernen Glaubenswandel vor Ort zu studieren.

Andere nehmen Hape Kerkelings Bestseller über seine Pilgererfahrung auf dem Jakobsweg auseinander. Sie wollen wissen, wie er die Leute kriegt. Schließlich wollen sie die Leute auch kriegen. Aber ob ein Chart-Album mit gregorianischen Chorälen dabei hilft? Es hat etwas sehr Unverbindliches, sagt Weise. Deshalb: "Wellness-Religion". Es fühlt sich vor allem gut an, viel mehr erst mal nicht.

Karl Wallner ist eher der ruhige Typ. Stets redet er so gedämpft und bildhaft, als würde er predigen. Nur selten wird er ein bisschen cholerisch. Zum Beispiel wenn er von dieser "Wellness"-Sache hört. "Bitte, aber Entschuldigung", sagt er dann, "des san wieder diese intellektuellen Dominikaner." Die Kirche habe etwas falsch gemacht: nur auf den Kopf gesetzt. Alles problematisiert, "diese Duseln". "Und wo gehen die Leute hin? Zu den Esoterikern, die ihnen jeden Schmarrn für teures Geld verkaufen können." Die Kirche sei ja mit ihrer Liturgie tatsächlich einmal für Wellness zuständig gewesen, fürs Wohlergehen der Seele. Aber die Kompetenz habe man zuletzt nicht herausgekehrt - die Kompetenz für die "emotionale Verbindung mit dem Übernatürlichen".

Für ihn stellt der gregorianische Choral diese Verbindung her. Er wuchs in der Nähe von Wien auf, sei ein bisschen "verschroben" gewesen, hat Papageien gezüchtet und wollte Biologie studieren. Deshalb hat er Latein gelernt. Er hat sich dann nach der Schule in Gott verliebt, wie man sich in eine Frau verliebt, sagt er. Und wie das auch mit den Frauen so ist - er kann schwer erklären, wie es funktioniert. Mittlerweile ist er Professor und Rektor der Päpstlichen Hochschule Benedikt XVI. Heiligenkreuz. Einige Leute, sagt er, würden über die "Chant"-Choräle sicher innere Ruhe finden. Und womöglich, hofft er, entfalte das Wort Gottes eine eigene Kraft. Dass die Fans nun "Superkatholiken" werden, davon geht er nicht aus. "Aber vielleicht stellen sie mal wieder die Sinnfrage."

Im Augenblick kommen die Zisterzienser wohl selbst ins Grübeln. Aufmerksamkeit sind sie zwar gewohnt. Florian Henckel von Donnersmarck hat bei ihnen das Drehbuch für seinen Oscar-Film "Das Leben der Anderen" geschrieben und dafür gesorgt, dass es nun auch einen Fitnessraum gibt, in dem Wallner regelmäßig Gewichte drückt. Henckel von Donnersmarcks Onkel ist der Abt von Heiligenkreuz.

Es gibt für Touristen gute Gründe, sich den romanisch-gotischen Kreuzgang anzusehen. Aber die "Chant"-CD war wohl einer zu viel. Fürs Erste legen die Verantwortlichen im Orden nun Besucherzeiten fest. Die Gäste dürfen nicht mehr jeden Tag kommen, die "Heiligkeit" des Orts geht sonst verloren, fürchtet Wallner. Es ist eine seltsame Situation: Sie schenken der Welt ihre Choräle, ihre Ruhe. Und jetzt klingt ihnen das Echo in den Ohren wie ein schriller Pfeifton.

Sie haben versucht, einen Teil ihrer Berühmtheit den deutschen Ordensbrüdern abzugeben. Deshalb ist Karl Wallner nach Bochum gefahren und hat dort im Klosterableger eine Pressekonferenz abgehalten. Aber Berühmtheit lässt sich nicht verteilen wie eine Hostie beim Abendmahl. Außerdem wohnen die Mönche dort in einem Neubau, das ist natürlich "keine kulturelle Sensation". Als er einen Tag nach der Konferenz in Berlin ist, muss er dem deutschen Pressechef von Universal erst mal erklären, dass sie nicht zu "Wetten, dass …" gehen werden. "Wir sind keine Popstars." Der Satz gehört jetzt genauso zu seinem Repertoire wie der Spruch mit der echten Madonna und den Charts.

Frater Weise, der intellektuelle Dominikaner, hat sich die "Chant"-CD nicht gekauft. Er bekommt 50 Euro Taschengeld im Monat, die investiert er lieber in Kino- oder Salsa-Abende. Sein geistiger Begleiter hat mal zu ihm gesagt: "Johannes, du musst erotisch bleiben." Dass sei es, was ihn zu den Menschen treibe. "Man muss ja nicht gleich mit den Leuten ins Bett gehen", aber tanzen sei doch ziemlich erotisch. Das Zisterzienser-Album schickt ihnen vielleicht ein Bekannter aus Heiligenkreuz. Sollten sie es mal hören, werden sie nicht dasitzen und "Woah!" schreien, sagt Weise. Die Choräle gibt es seit über tausend Jahren. Kein Grund auszuflippen.

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