Wie Fans Bands finanzieren: Kauf dir ne Band

Mit CDs ist heute nur noch Geld zu machen, wenn man Coldplay, U2 oder Die Ärzte heißt. Trotzdem brauchen Musiker natürlich Alben. Die finanzieren jetzt die Fans - direkt. Über sellaband.com.

Erfolgreich und verblüffend einfach: Die Internetplattform Sellaband. Bild: screenshot sellaband.com

Julia Marcell hatte sich keine großen Hoffnungen gemacht, als sie sich auf der Internetplattform sellaband.com anmeldete. "Believer" konnten dort Künstler mit Geld unterstützen, damit sie ein Album aufnehmen. Komisch, neu, irgendwie interessant. Erwartungen hatte sie jedoch keine "Wer spendet schon Geld, um einer unbekannten Musikerin, noch dazu aus Ostpolen, ein Album zu finanzieren?" Doch Julia Marcell irrte.

Nach zehn Minuten hatte sie die ersten 10 Dollar, nach drei Monaten hatten insgesamt 657 Menschen 50.000 Dollar in Marcell investiert. Sie zog nach Berlin, nahm in den legendären Hansa-Studios ein Album mit Moritz Schneider auf, bekam einen Manager, und ist mal eben dabei, richtig durchzustarten. Ab dem 12. Juni ist "I might like you" - ihr erstes Album - in den Läden; zurzeit tourt sie mit ihren, wie sie sagt, "klassischen Punkliedern" durch Deutschland.

Alben aufzunehmen kostet jede Menge Geld, was Plattenfirmen und Labels oft nicht mehr investieren. Damit sie stattdessen von Fans Geld bekommen, bauen die Künstler über die Internetseite eine intensive Beziehung mit ihren Anhängern auf. Die unterstützen sie mit Geld für Albumproduktionen - und bekommen dafür eine extraintensive Betreuung per Mail, besondere Tickets und spezielle Veröffentlichungen sowie limitierte Alben nur für Fans.

"Das Verhältnis dreht sich", sagt Tim Renner. Der ehemalige Europa-Chef von Universal gründete 2005 die Motor Entertainment Group, zu der ein Radiosender, eine Booking-Agentur und eine Managementfirma für Künstler gehören. "Früher vermarkteten Plattenfirmen die Songs der Musiker und besaßen auch die Rechte an der Musik. In Zukunft wurden die Plattenfirmen nur noch Dienstleister für Künstler sein."

Für Künstler, die gesichert über 40.000 CDs in Deutschland verkaufen, würde sich eine Selbstvermarktung auch rechnen. "Jeder, der das nicht macht, beweist, dass er die Grundrechenarten nicht beherrscht." Bands wie die Ärzte oder die Toten Hosen würden derzeit genau so agieren. Für Künstler bietet Motor deshalb mit "Rent a record company" ein spezielles Programm an. Musiker wenden sich an die Firma und bestimmen genau, was Motor für die Band erledigt.

Warum Menschen in unbekannte Bands investieren, hat verschiedene Gründe: In Julia Marcells Fall lassen sich die Supporter in drei Gruppen einteilen. Da sind zunächst die, die die Künstlerin einfach unterstützen, weil sie die Musik mögen. Dann gibt es Egomanen, die Musiker unterstützen, um im Freundeskreis zu erzählen, sie wären an etwas Großem beteiligt. Und drittens gibt es die Fan-Kapitalisten, die tatsächlich mit der Musik Geld verdienen wollen.

Denn das ist das Prinzip von sellaband.com. Jeder, der einen Künstler gefunden hat, an der er glauben will, wird an zukünftigen Verkaufserlösen aus dem Album beteiligt. Sofern es sie denn gibt. Bisher haben 29 Musiker und Bands über die Website jeweils 50.000 US-Dollar gesammelt, derzeit sind über 2 Millionen Dollar in Bands investiert.

Sellaband ist so erfolgreich, dass es mittlerweile mehrere Klone gibt. Bandstocks.com zum Beispiel wurde populär, weil der Sänger Patrick Wolff sich dort derzeit sein nächstes Album finanzieren lässt. Die Gründer von sellaband.com lässt das kalt. "Wir sind die Ersten und Professionellsten." Außerdem habe man eine Menge Partner wie bol.de oder amazon, die die Seite unterstützen, und habe bereits wertvolle Kontakte aufgebaut. So kann sellaband im Sommer eine Festival-Reihe mit Bands ausrüsten und hat den Star Chuck D. von der Rapgruppe Public Enemy als Botschafter für die USA gewonnen.

Sellaband.com finanziert sich dabei verblüffend einfach. Um ins Studio zu gehen, muss ein Musiker 50.000 Dollar gespendet bekommen. So lange bleibt das Geld auf dem Sellaband-Konto - und wirft dort Zinsen ab. Die machen zusammen mit einigen Gebühren für Musiker die Einnahmen aus.

Tim Renner sieht den Erfolg derartiger Portale kritisch. Das Volk habe leider, wie auch TV-Formate wie Popstars zeigen würden, keinen guten Spürsinn für erfolgreiche Bands. Um junge Bands zu fördern, seien deshalb generell Akteure innerhalb der Musikindustrie gefordert. "Ich rede davon, dass auch Booker und Manager mal etwas mehr als Zeit investieren, nämlich Geld." Für etablierte Bands dagegen sei es generell ein gutes Mittel, sich von den Fans finanzieren zu lassen. Bands müssten lediglich aufpassen, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und sich weiterzuentwickeln. Das könne nämlich kurzfristig Fans verstören, sei aber langfristig wichtig für den Fortbestand der Band.

Die etablierten Vorreiter der Bewegung sind, von Renner hochgelobt, die Einstürzenden Neubauten. Nachdem ihr Label Mute von der großen Plattenfirma Emi gekauft wurde, verlor die Band 2002 ihren Plattenvertrag. Die Neubauten machten aus der Not eine Tugend. Sie starteten das "Supporter-Projekt", über 2.000 Supporter spendeten 35 Dollar für die Band. Dafür bekamen sie ein Album. Außerdem konnten sie der Band im Studio zuschauen und per Internet direkt Fragen und Anregungen an die Band richten. Derzeit läuft das dritte Supporter-Projekt. Auch die Prog-Rocker von Marillion haben den Kontakt perfektioniert. Die Band, bekannt und berühmt geworden in den 80ern, sammelt regelmäßig Geld von ihren Fans ein, um ein Album zu produzieren. Haben sie genug, wird es gemacht. Dafür bekommen Fans eine limitierte Ausgabe, Marillion spielen Konzerte nur für Fans und alle zwei Jahre gibt es ein Kennenlernwochenende. Fans können so ihrer Band näher sein als der normale Musikhörer, und dafür sind sie bereit zu bezahlen.

Josh Fresse geht noch weiter. Der Schlagzeuger, ehemaliges Bandmitglied unter anderem der Industrial-Rocker Nine Inch Nails, verkauft sein neues Soloalbum in verschiedenen limitierten Versionen. Die teuerste Version, ein Unikat, kostet stolze 75.000 US-Dollar. Dafür bekommt man neben dem Album unter anderem einen Monat Mitgliedschaft von John in seiner eigenen Band. Dazu reist der Käufer mit ihm durch Kalifornien und darf mit einer Limousine nach Mexiko fahren, wo "John dir zeigt, wie es gemacht wird". Ob die Aktion erfolgreich ist, entscheidet sich bald. Originell ist sie, eine Voraussetzung für Medienecho und damit potenzielle Geldspender.

Auch sellaband.com war orginell, als Julia Marcell sich dort anmeldete. Das kam ihr zugute: "Ich hatte keine Fans, nur meine Musik, und die Plattform war so neu, dass die Believer bereitwillig investiert haben." Heutzutage brauche man eine Fanbase, die man sich, wie schon immer, durch ständiges Touren erarbeiten müsse.

Julia sieht sich auch als Unternehmerin, allerdings gebe es einen Unterschied. Während es normalerweise ums Geldverdienen geht, sei es ihr wichtig, sich künstlerisch zu verwirklichen. Für ihr nächstes Album möchte sie auf sellaband.com verzichten, obwohl sie mittlerweile mit vielen Believern enge Freundschaften geschlossen hat, die auf ihrer Website dokumentiert sind. Aber nicht, weil sie das Geschäftsmodell ablehnt. Sondern weil die Erfahrung, von so vielen Menschen unterstützt zu werden, einmalig für sie war - und es bleiben soll. "Diese kleinen Erfolgsmomente möchte ich nicht zerstören."

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