Komponist über absurdes Copyright: "Kopiert wird dauernd"

Cut, copy and paste ist die Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts. Doch die Gema lebt in einer analogen Welt. Um sein Werk aus 70.200 Samples anzumelden braucht Johannes Kreidler einen Transporter voll Papier.

Der Che Guevara des Copyright. Bild: Leowee Polyester

Am 12. September werden Sie mit 70.200 bedruckten Blatt Papier vor der Gema-Zentrale stehen. Was steht da drauf?

Johannes Kreidler: Auf jedem Blatt steht die Angabe eines Musikstücks, das ich für mein eigenes Stück "Product Placements" verwendet habe. Ich werde diese Blätter zusammen mit einem Antrag bei der Gema einreichen. Sofern ich Mitglied bin, muss ich als Komponist jedes Werk, das ich schreibe, bei der Gema anmelden. Das Formular schickt man üblicherweise an die Generaldirektion der Gema in Berlin. In diesem Fall mache ich das persönlich, weil das postalisch kaum zu bewältigen ist.

Hat sich die Gema schon dazu geäußert?

Bis jetzt ist mir nur eine Aussage der Pressesprecherin der Gema dazu bekannt: Man werde mich vorerst nicht an der Ausübung meines Schaffens hindern.

Warum benutzt ein Komponist 70.200 Samples für ein eigenes Werk?

Erst einmal ist es heute schlicht technologisch möglich, mit so große Datenmengen zu hantieren. Etwa am Computer ein Stück zu programmieren, das vorhandene Stücke fragmentiert und verwendet. Ich mache das mit diesen großen Mengen aber nicht nur, um die Technologie zu demonstrieren, denn das ist bekannt. Mir geht es dabei darum, zu symbolisieren, dass wir im Internet heute riesige Mengen an Musik zur Verfügung haben, riesige Mengen an Daten verwalten und weitersenden können. Und das geschieht ja auch täglich millionenfach. Ich setze das in ein Kunstwerk um, indem ich eine so große Zahl von - übrigens nicht von der Gema verwalteten und daher für mich kostenlosen - Ausgangsstücken verwende, die man sich nur schwer vorstellen kann.

Und die Gema lebt noch im 19. Jahrhundert?

Im Antragsformular der Gema gibt es eine Zeile für Fremdzitate. Die Gema geht davon aus, dass man wie früher ein Thema hat, über das man eine Variation macht: Heute sind es vielleicht statt einem fünf. Aber eben nicht tausende, und das ist der Unterschied zur heutigen Situation.

Ihr Stück mit den vielen Samples ist recht kurz. Nach 33 Sekunden ist alles vorbei.

Die kurze Dauer macht etwas anderes deutlich: Kompression. Sie liegt meinem Stück zugrunde und ist das Verfahren, das es erst möglich macht, dass Musik überhaupt in so großen Mengen im Internet publiziert werden kann. Das Stück zeigt somit den Zustand von Musik und allem anderen an, was digital im Netz herumschwebt. Dem aber steht eine rechtliche Definition von Kulturgütern oder geistigen Eigentumen gegenüber, die die Tatsache noch nicht inkorporiert hat, dass man damit jetzt so handlich und in solchen Mengen umgehen kann.

Was möchte die Gema von Ihnen wissen, wenn Sie Ihre Stücke anmelden?

Die Gema möchte bei der Anmeldung eines Werkes jeden Fremdanteil wissen, egal, wie groß er ist. Seit Bekanntwerden meiner Aktion bekommen ich Massen von E-Mails, und auch in Diskussionsforen wird darüber diskutiert. Viele sagen: 70.200 Fragmente, die in 33 Sekunden komprimiert werden - das ist Quatsch, weil kein Zitat mehr erkennbar ist. Das ist natürlich richtig, aber auch nicht mein Quatsch, sondern der Quatsch der Gema, die selbst das kleinste Element wissen will.

Was stört Sie so an diesem Willen zum Wissen?

Das ist eine unglaubliche Behinderung von Kreativität, denn es wird natürlich dauernd zitiert. Wenn man sich den Musikantenstadl ansieht, dann klingt dort auch jedes Stück gleich. Kopiert wird also dauernd, aber es wird nur selten angegeben. Der Unterschied besteht vor allem darin, dass das Verwenden von Samples leichter nachweisbar ist. Ich bin nun einfach mal peinlich genau und führe an einem Extremfall vor, was die Konsequenzen der Haltung der Gema sind.

Worin genau besteht aber nun die kreative Behinderung?

Ich selbst finde es interessant, mit Samples zu arbeiten und ich glaube, damit etwas Kreatives machen zu können. Und für die Kreativen ist die Gema da. Ich werde durch bürokratische Hürden aber an meiner Arbeit gehindert, was ich als prohibitiv empfinde. Allgemeiner gesagt: Der Gema ist ja auch ein Service wie YouTube ein Dorn im Auge, ich dagegen halte YouTube für einen Segen für die Menschheit. Endlich gibt es so eine riesige Bibliothek, wo man Kulturgüter konsumieren kann. Wenn es nach der Gema ginge, gäbe es so etwas nicht. Ein anderes Beispiel: Ich darf als Komponist nicht einmal meine eigenen Werke online zur Verfügung stellen.

Das machen Sie aber trotzdem: "Product Placements" ist auf Ihrer Website zu hören.

Ich streame meine Musik über YouTube oder einen Server in San Francisco, das ist ein Graubereich. Wenn ich meine Musik zum Download anbieten würde, müsste ich selbst Gebühren bezahlen. So wird verhindert, dass ein Kunstwerk verbreitet wird.

Warum arbeiten Sie überhaupt mit Samples?

Ich bin klassisch ausgebildeter Komponist, ich schreibe Partituren für Instrumente. Ich habe aber auch elektronische Komposition studiert und häufig selbst Klänge am Computer programmiert. Das bringt einen auf den Gedanken, dass im Computer bereits Millionen Klänge stecken: Warum spiele ich nicht eigentlich damit? Das ist eine künstlerische Praxis, in der bildenden Kunst ist es die Collage. Außerdem hören wir dauernd und überall Musik. Ich verwende viele Popmusiksamples in meinen Stücken, weil das akustische Realität im Alltag ist. Für mich ist das auch ein Politikum, den Alltag in den Konzertsaal zu bringen. Sonst wird der Konzertsaal wie auf dem Bayreuther Hügel zu einem Ort des Gottesdienstes, und das muss nicht sein.

Es gibt eine lange Tradition von Samplingmusik, die von den politischen Aspekten des Sampelns handelt. Interessant ist am Ende aber doch, welches ästhetische Programm hinter so einer Musik steht.

Das Problem ist dabei das der Zweckentfremdung. Wenn man Musik verwendet, die von sich aus eine andere Intention hat, dann entstehen Widerstände, wenn ich sie mit meinen eigenen Intentionen weiterverwende. Widerstände, die ich nicht gänzlich beherrschen kann. Da geht es um Fragen der Identität, aber auch darum, Prinzipien beim Komponieren zu finden, die interessante Wirkungen bringen. Ich habe viel damit experimentiert, ob es besser ist, ganz winzige Fragmente, ein "Bapp", oder etwas längere, "Babababapp" zu benutzen. Das ist ein Spektrum zwischen 20 und 200 Millisekunden, wo sich entscheidet, ob ein Sample nur Klang ist oder doch etwas, was auf unbestimmte Weise als Fremdes erkennbar ist. Auch bei "Product Placements" kann man das hören. Es ist ja nicht nur ein Rauschen, das dort zu hören ist, sondern etwa am Ende auch ein zwei Sekunden langes Stück. Ich versuche damit zu komponieren, ob das immer klappt, ist eine andere Frage. Ich habe auch schon Stücke komponiert, wo ich Samplefragmente mit Liveinstrumenten kombiniert habe.

Sind Samples nur Verweise auf Formate, Distributionswege und die Popkultur oder bedeuten sie manchmal mehr?

Es gibt ein für mich sehr beeindruckendes Stück von Bob Ostertag, das er, wenn ich mich recht erinnere, in San Salvador gemacht hat. Ostertag war jahrelang in Südamerika politisch aktiv. Hier nahm er einen Jungen auf, der gerade seinen Vater beerdigt hat, der von den Nationalgarden im Bürgerkrieg umgebracht wurde. Hinter den Nationalgarden standen die USA. Die Rede dieses Jungen ist unglaublich aufwühlend, man hört im Hintergrund die Schaufel, er kündigt Rache an. Die Originalaufnahme ist 30 Sekunden lang, und daraus komponierte Ostertag ein 50 Minuten langes Stück. Er nimmt das Sample, das am Anfang gezeigt wird, völlig auseinander, man hört dann nur noch Musik. Das ist ein großer Widerspruch zur politisch brisanten Inhaltlichkeit und provoziert damit, indem er so tut, als könne er damit einfach Musik machen. Das aber geht eigentlich nicht. Diese Konfrontation finde ich sehr stark. Ich möchte in Zukunft auch vermehrt mit Klängen arbeiten, die politische Bedeutung haben.

Wird die Frage des geistigen Eigentums vor allem dort in Anschlag gebracht, wo man es mit der Wiederverwendung von gespeicherter Musik zu tun hat?

Natürlich kann man auch auf der analogen Ebene Plagiatsprozesse anstreben. Immer dann, wenn es um viel Geld geht, wird auch das versucht. Aber jetzt passiert das viel häufiger, wo die genauen Zahlen vorhanden sind und die Nachweise entsprechend genau sein können. Die meisten Komponisten geben daher einfach nicht an, wenn sie fremdes Material für die eigene Musik verwenden. Sie lassen es darauf ankommen: Wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter. Das ist nicht konform zur rechtlichen Lage. Wenn nun aber die Realität anders aussieht, dann müsste eben auch das Gesetz und die Handhabe bei der Gema sich wandeln.

Die Gema vertritt die Interessen der Künstler. Insofern stellt sich bei jeder Kritik am gegenwärtigen System die Frage nach dem Gegenmodell.

Die Gema ist ja auch für Liveauftritte zuständig, womit heute auch das wirkliche Geschäft gemacht wird. Auf diesem Gebiet ist die Arbeit der Gema vorerst völlig okay. Ich möchte auch betonen, dass ich nicht grundsätzlich gegen die Gema bin. Ich möchte nur den Anstoß geben, schleunigst darüber nachzudenken, was man in Bezug auf digital vorliegende Musik verändern kann: Die Kulturflatrate wird mancherorts rege diskutiert. Die schwedische Verwertungsgesellschaft hat sogar angekündigt, ab März ein solches Modell auszuprobieren. Filesharing wird dann nicht mehr verfolgt, allerdings müssen die Provider Pauschalen bezahlen. Ein ähnliches System wird in Deutschland bereits bei Leermedien angewandt, auch das ist eine Pauschale.

Wenn die Gema solche Pauschalen erhält, wohin fließt dann dieses Geld?

Das ist die entscheidende Frage. Über sie würde bei einer Kulturflatrate wohl der Krieg ausbrechen, das ist unvermeidlich. Man kann mit diesem System nicht mehr eruieren, wie viel Musik eines bestimmten Künstlers konsumiert wurde. Downloadzahlen kann jeder fälschen. Dann muss man gemäß der Qualität entscheiden, dann wird es spannend. Denn wer soll das tun?

INTERVIEW : ULRICH GUTMAIR

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