Die Hamburger Band Die Sterne: Sind sie noch fett und rosig?

Ab wann ist eine Band Popgeschichte? Der Regisseur Frank Wierke hat die Vorzeige-Band der Hamburger Schule "Die Sterne" beim Songschreiben begleitet. (Mittwoch 22.55 Uhr, 3sat)

Immer noch zum Anbeißen: Die Sterne. Bild: Photocase/Miss X

"Pop hat sich entwickelt, um eine Utopie zu bilden. Aber jetzt definiert er das Hier und Jetzt", liest ein blondbezopftes Mädchen aus ihrer Seminararbeit vor. Der Titel der Kapitels, das hinter ihr per Overhead an die Wand geworfen wird, lautet "Entstehung der Hamburger Schule", und ein wenig später wird ein anderer Studierender in seinem Vortrag fallen lassen, dass er recherchieren musste, um den Beginn der "Die Sterne"-Karriere richtig einzuschätzen. Denn er war Anfang der 90er einfach zu jung, um die Band schon zu kennen.

Spätestens wenn Semesterarbeiten über einen verfasst werden, ist man Pop, im populärkulturellen Sinne. 1993 haben Die Sterne ihre erste Platte herausgebracht, in diesem Jahr ihre neunte. Der Filmemacher Frank Wierke hat sie bei den Aufnahmen zu diesem neuen Album begleitet, ist mitgetourt, hat Sänger Frank Spilker beim Texteschreiben und beim Steuerberater gefilmt, hat das Warten in hässlichen Backstageräumen eingefangen, mit Schokoriegel-Catering und Zeitunglesen, das entspanntere Herumflachsen nach den Auftritten, wenn aus dem Saal das Publikum nach Zugaben brüllt.

Er hat, im klassisch musikdokumentarischen Stil, Songs bei der Entstehung observiert, von der ersten musikalischen und textlichen Idee bis zum fertig produzieren Produkt, das dann auch live gespielt wird, vor der eifrig tanzenden Masse. Vor allem hat er aber eine Band beobachtet, die den großen Wandel im Musikbusiness, das Zusammenbrechen der Industrie miterlebt und darauf reagieren muss. Und eine Band, die nicht mehr Anfang 20 ist: "Ich habe gemerkt, wenn man 20, 30 bpm drauflegt, klingts wieder wie früher", sagt Spilker am Anfang des Films mit nur einem Hauch Sarkasmus in der Stimme.

Wierkes selbstgeführte Kamera ist so nah, dass man beginnende Plauzen, Platten und Augenringe erkennt, dass man den Protagonisten tatsächlich über die Schulter schauen kann, um zu sehen, was sie sehen. Und um festzustellen, wie die Zeit für den Rock n Roll an sich zusammengeschnurrt ist, und wie viel Platz das Hocken vor Bildschirmen und die Gespräche über Vermarktung, Strategien, Geld einnehmen müssen: Die Sterne haben die neue Platte selbst herausgebracht, ein Versuch, erklärt der Bassist Thomas Wenzel, wenn es klappt, überlegt man, ob man so weitermacht, ob das System "Neue Platte/Tour" für einen noch funktioniert.

Spilker, Verhandlungsführer und Lieblingsinterviewpartner bei den Promo-Terminen für das Album, lässt sich tief in die Karten gucken, nennt Zahlen, Daten, Hintergründe für Entscheidungen. Alles andere wäre auch verlogen: Die Sterne standen und stehen bei vielen ihrer Fans vor allem für Authentizität. Und Wierkes Kamera bildet genau das ab, gleitet mal beiläufig über die Studiowände, über Löcher im Putz und Dreck auf dem Boden, mal zeigt sie die Schuhe der Musiker, die im Takt wippen.

Viel Raum lässt sie der Nachproduktion, für die die Band mit dem Produzenten und Musiker Mathias Modica zusammengearbeitet hat. Während der Aufnahmen gab es Differenzen mit dem Organisten Richard von der Schulenburg, bei einem Termin mit einem Cover-Künstler heißt es, er sei "draußen" - der Film hat einen Zeitpunkt gefunden, an dem der Paradigmenwechsel der Musikindustrie mit dem in der Bandgeschichte zusammenfällt.

Irgendwann geht es eben nicht mehr nur ums Rocken. Aber Spaß macht es trotzdem.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.