Deutsche Rockmusik am Ende: Verzweifelt, fett und alt

Es sieht nicht gut aus für deutsche Rockmusiker. Auf den neuen Platten von Superpunk, Kettcar und Frank Spilker lauert das Elend zwischen Einbauküche und Distinktion.

Träge, müde, ausgelutscht - Gefühle, die man auch auf der Platte von Kettcar wiederfindet. Bild: dpa

Neueste Nachricht aus dem Bauch der Republik: Es sieht nicht gut aus. Unsere Helden des Alltags fühlen sich alt oder verloren oder auch beides. Sie sind auf der Suche nach einer Erwerbsarbeit, und wenn sie eine haben, dann sind sie mit ihr überfordert oder verzweifeln an der damit einhergehenden Entfremdung. Die Generation, die nun eigentlich alt genug wäre, in die Zentren der Macht aufzurücken, absolviert ihr viertes Praktikum. Draußen regnet es, im Fernsehen läuft Klimakatastrophe.

Wenn es stimmt, dass ein Land nur so optimistisch sein kann wie seine Dichter und Sänger, dann ist es schlecht bestellt um Deutschland. Denn unter ihnen grassiert im Frühjahr 2008 die neue Besinnlichkeit und sie stößt auf untragbare Zustände: "Überall lauern Barbie und Ken, In- und Out-Listen und Top Ten" (Kettcar). Die Realität ist hart und die deutsche Rockmusik sorgt sich um die Zukunft: "Ich gestehe mein Scheitern und ich weiß nicht mehr weiter" (Superpunk). Doch die letzte Erkenntnis bleibt, das Dasein ist kurz und voller Leiden: "Das war ihr Leben/ Es war daneben/ Und jetzt sind sie tot." (Frank Spilker)

So siehts aus, die Aussichten sind düster. Vor allem, wenn man das erste Werk der Frank Spilker Gruppe hört, die sich FS.G abkürzt. Der Sänger von Die Sterne, die es - wichtige Information - immer noch gibt und auch weiterhin geben wird, nutzt auf "Mit all den Leuten" die Möglichkeit, sich mal uneingeschränkt von allen demokratischen Bandstrukturen auszutoben.

Das hat musikalisch so interessante wie uneinheitliche Folgen. Seine neu formierte Band probiert sich aus, spielt mal selbstzufrieden krachenden Rock, mal zickigen Country. Ein eher unelegantes Chanson ist ebenso im Angebot wie ein Ausflug ins Atonale, der eine Jugendlichkeit vortäuscht, die der große alte Mann der Hamburger Schule mit seinen Texten geradezu absichtlich konterkarieren muss.

Denn wenn er so auf die Welt blickt, entdeckt Spilker, mittlerweile 41 Jahre alt und Vater, vor allem Menschen, die fast schon verzweifelt um Teilhabe ringen in dieser Gesellschaft. "Ich lauf in Kreisen", singt er, "weil mich nichts aufhält". Die Protagonisten seiner Songs sind schwermütig, die meisten drohen im Selbstmitleid zu versinken. Ihr Leben ist ein Buch, in dem sie zwar lesen können, das aber kein Happy-End garantiert. "Was wollen wir machen?", fragt Spilker in seinem nasalen Understatement, aber die Alternativen sind nicht berückend: "Therapie oder gehn wir noch einen heben?"

Denn merke: Kein Alkohol ist auch keine Lösung. Das wussten früher schon Die Toten Hosen. Heute mag das nicht mehr ganz so lustig gemeint sein, aber dafür wissen es Spilker und auch Superpunk. "Die Umgebung kommt mir vor wie in Technicolor, wenn ich trinke", singt Carsten Friedrichs, und so ironisch gebrochen das auch ist, es bleibt einer dieser Bekenntnissongs, von denen es viele gibt auf "Why not?". Die Lieder auf diesem fünften Album von Superpunk tragen Titel wie "Ja, ich bereue alles", "Baby, ich bin zu alt" oder "Ich funktioniere nicht mehr", und gecovert wird ausgerechnet der für eine - wenn auch sexy - Frühvergreisung stehende Serge Gainsbourg. In "Bon Scott" zählt Friedrichs eine Ahnenreihe fett gewordener und dann verstorbener Helden auf, von Buddy Holly über Dylan Thomas und Oscar Wilde bis zu Elvis und schließt mit der ernüchternden Erkenntnis: "Und mir geht es auch nicht so gut." Es ist ein Abgesang auf den liebevollen Umgang mit popkulturellen Zitaten, wie er von seiner Generation noch gepflegt wurde, aber im Internet-Zeitalter in Vergessenheit gerät. Es klingt wie ein Vermächtnis.

Wer das jetzt für Ironie hält, der sei daran erinnert, dass Carsten Friedrichs arg überrascht reagierte, als ihm Journalisten nach den ersten Platten seiner Band zu seinem hintergründigen Witz gratulieren wollte. Nein, in der Hamburger Schule war Friedrichs nie immatrikuliert. Der in St. Pauli lebende HSV-Fan hatte die Lieder, in denen der einfache Kraftfahrer den bösen Fabrikanten zur Rede stellte, in denen Freundschaft und Solidarität beschworen wurden, der Abbau des Gesundheitssystem und die Errichtung der Zweiklassengesellschaft vehement angeklagt wurden, ernst gemeint und ohne doppelten Boden versehen. Hier formulierte ein aufrechter Proletarier, und dass die In-Crowd dazu lässig lächelte, konnte der zwar verstehen, aber nicht tolerieren.

Aber renitent und vehement, aufsässig und aufbauend ist auf "Why not?" nur mehr die unvermeidliche Hymne auf die Heimatstadt ("Hamburg ist der Platz für Dich") geraten. Und natürlich das Eröffnungsstück "Ich find alles gut", in dem Friedrichs trotzig das Zigarettenrauchen lobt und den Unterhaltungswert von TV-Wiederholungen. Der Rest aber ist Bitterkeit: In "Eine schärfere Welt" wünscht er gar den eigenen Planeten in den interstellaren Orkus: "Ich kann den alten Plunder nicht mehr sehn/ Wann wird er endlich untergehn?"

Nur die Musik bleibt so unwiderstehlich vorwärtstreibend, so in die Beine gehend, so wundervoll euphorisch, wie man es gewohnt ist von Deutschlands bester Partyband. Zwar klingen Superpunk immer, als würden Profis ganz bewusst so tun, als seien sie Amateure, aber genau mit diesem Trick rekonstruieren sie so gelungen wie sonst keine Band hierzulande das Gefühl eines Northern-Soul-Allnighters voller zeitloser Melodien und Handclap-Rhythmen. Nach dem man, eine Nacht Durchhalte-Soul-Klassiker im Ohr und eine Überdosis Adrenalin im Blut, im Morgengrauen aus dem Saal wankt und glaubt, nie wieder schlafen zu müssen, an der nächsten Ecke der großen Liebe begegnen zu können oder zumindest bei nächster Gelegenheit die Welt aus den Angeln heben zu müssen.

So ziemlich also genau das Gegenteil des Gefühls, das in "Graceland" beschrieben wird. Im Eröffnungssong von "Sylt", dem neuen Album seiner Band Kettcar, wirft Marcus Wiebusch, wie er es gerne tut, einen entlarvenden Blick auf sein Umfeld, auf seine Generation. Die wohnt im "Altbau, 4. Stock", versucht eher schlecht als recht, "Distinktion und Einbauküche" miteinander zu vereinbaren, und weigert sich beständig, das Älterwerden in Betracht zu ziehen: "Das ist Graceland, keiner wird erwachsen".

Aber Wiebusch zieht sich nicht, wie es in der Tradition der Hamburger Schule stände, auf eine ironische, leicht abseits vom Geschehen befindliche Position aus dem näheren Dunstkreis zurück. Er verkürzt die Analyse auch nicht wie Superpunk auf einfache, griffige Mitteilungen und zieht sich zurück auf die Position des Traditionalisten, der weiß, dass früher vielleicht nicht immer alles besser war, aber doch wenigstens die Musik.

Nein, Wiebusch, 39, Familienvater mittlerweile und als Teilhaber einer Mini-Plattenfirma gestählt im kapitalistischen Auf und Ab, sitzt mit am Küchentisch, unter dem die demnächst einzuschulenden Kinder spielen, denn die sind befreundet mit seinen Kindern, und bringt einen gänzlich unironisch gemeinten "Toast auf die Freundschaft" auf. Er berichtet wie ein Krisenreporter, durchaus auch mit ähnlicher Dringlichkeit, aus der Alltagshölle. Dort hat man es sich dann doch ganz kuschelig eingerichtet und den Blick auf die größeren Zusammenhänge verloren: "Es gibt kein Außen mehr, kein Drinnen und Draußen mehr". Das eigene Dasein ist das Zentrum des Seins, die prekäre Situation als Kreativ-Jobber der Generation Praktikum (eindringlich beschrieben in "Geringfügig, befristet, raus") ebenso frustrierend wie der Verrat an den eigenen Idealen (erschütternd demaskierend in "Würde"). Nur daraus, am Leid an der eigenen Existenz, kann sich noch eine kämpferische Haltung entwickeln. Die überblickt zwar immerhin die großen Zusammenhänge, aber ist dann doch nur mehr eine diffuse Ahnung von Wiebusch Vergangenheit als Punkrocker bei But Alive. Heute hat er den obdachlos gewordenen Duktus der guten, alten Sozialdemokratie adoptiert: "Für die einen sind es Menschen mit Augen, Mund, Ohren/ Für die anderen Kostenfaktoren."

Seine Band spielt dazu eine Rockmusik, die die aufrührerischen Wurzeln des Genres noch einmal matt aufleuchten lässt. Immer wenn sich die Gitarren gegenseitig aufstören, sich um- und verschlingen, sich aufstacheln und für einen kurzen, glorreichen Moment ihre Domestikation abwerfen, wenn Kettcar ein gutes altmodisches Gitarrenriff reiten, wenn sie die gut geölte Rockmaschine geben, die sie ohne Zweifel mittlerweile sind, immer dann kapituliert die Rockmusik aber auch vor ihrem eigenen Status als konservative Kraft. Dann, wenn ein Break einen Moment zu lange in der Luft schweben bleibt und das Riff im Herzschlag wieder mächtig einsetzt, in genau diesem Augenblick akzeptiert Rock seinen Platz im Fundus mit den Musiken, die für jugendliche Rebellion ausgedient haben. Rockmusik, das ist, sehen wir den Tatsachen ins Auge, längst die Musik des Bewahrens. Und mithin der perfekte Soundtrack für das große Lamento, die Klagen einer vergessenen Generation.

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