Regisseurin Brigitte Sy über Gefängnisse: "Ich wollte wahrhaftig sein"

Wie lieben, wenn Körper und Seele in Fesseln liegen? "Les mains libres" ist das Drama um eine unmögliche Liebe, das Regisseurin Brigitte Sy selbst erlebte (Forum).

Eine verbotene Liebe: Szene aus "Les mains libres" mit Carlo Brandt und Ronit Elkabetz. Bild: berlinale

Barbara (Ronit Elkabetz) ist Regisseurin und dreht Filme im Gefängnis. Dort trifft sie den Bankräuber Michel (Carlo Brandt), der an einem ihrer Filmworkshops teilnimmt. Sie verlieben sich, Geflüster und heimliche Briefe sind alles, was sie austauschen können. Als Michel Barbara ohne ihr Wissen in einen Drogendeal verwickelt und als Kontaktperson benutzt wird, bekommt Barbara ein Drehverbot und muss ihr Filmprojekt abbrechen. Ein Jahr später heiratet Barbara Michel im Gefängnis. Der Spielfim "Les mains libres" erzählt die intime, autobiografische Geschichte seiner Regisseurin Brigitte Sy.

taz: Frau Sy, Was fasziniert Sie an Gefängnissen?

Brigitte Sy: Ich würde nicht sagen, dass sie mich faszinieren. Ich war zunächst einfach überrascht von der Möglichkeit, im Gefängnis drehen zu können.

BRIGITTE SY geb. 1956 in Paris, wo sie als Schauspielerin und Regisseurin lebt. Sie wirkte in vielen Filmen von Philippe Garrel mit. In "Unruhestifter" (Orig.: "Les amants réguliers", 2005) steht sie gemeinsam mit ihrem Sohn Louis Garrel vor der Kamera. Als Regisseurin drehte sie mehrere Kurzfilme, "Les mains libres" (übers.: Die freien Hände, 2010) ist ihr erster Spielfilm.

Foucault sagte einmal, das Faszinierende am Gefängnis sei, dass sich die Gewalt als bis ins letzte Detail ausgeklügelte zynische Tyrannei darstelle.

Als ich zum ersten Mal ins Gefängnis kam, war ich überrascht. Alles schien sehr vertraut. Ich war weder ängstlich noch fasziniert, es war sehr seltsam. Das Faszinierendste aber war die Beziehung, die ich in der Arbeit zu den Gefangenen entwickeln konnte.

Ihr Film zeigt keinen Lärm, nicht den Hyperrealismus, wie man ihn aus anderen Gefängnisfilmen kennt. Sie fokussieren eher die Totalität der beobachteten Körper und des ständigen Verdachts.

Ja, das ist auch das, was für die Häftlinge am schwierigsten ist. Das Gefühl, nie allein zu sein, keine Privatheit zu haben, nicht einmal in der Zelle. Die Wärter können den Häftling jederzeit durch das Guckloch beobachten. Natürlich gibt es auch Formen direkter Gewalt, aber interessanter ist die stille Gewalt. Es ist überhaupt sehr still dort. Ein wenig wie auf einem Friedhof. Der Tod ist präsenter als der Kampf.

Der Film sagt nichts über das Machtgefälle zwischen Filmerin und Gefangenen. Wie war das in Ihrem realen Filmworkshop im Gefängnis, dessen Geschichte Sie in "Les mains libres" erzählen?

Die Kamera hat schon einen gewissen Zwang ausgeübt. Aber die Insassen haben sich ja freiwillig in die Situation begeben. Die Gespräche fanden zu zweit in einem kleinen Raum statt. Das hat es ihnen leicht gemacht.

Ein bisschen eine Geständnissituation - wie im Beichtstuhl.

Ja, aber sie wollten sprechen, sie mussten ihre Geschichten loswerden. Das Gesagte dann im Skript auf Papier zu lesen bereitete ihnen große Schwierigkeiten. Das Geschriebene schien eine andere Endgültigkeit zu haben als das Gesagte, selbst wenn sie in die Kamera gesprochen hatten. Im Gefängnis wurde viel über sie geschrieben, von den Psychologen und irgendwelchen Gutachtern, das kannten sie und konnten es nicht kontrollieren. Das machte ihnen Angst, nicht die Kamera.

Die Gefangenen hatten kein Problem mit Ihnen?

Nein, sie haben mich von Anfang an akzeptiert. Die gemeinsame Arbeit gab ihnen etwas. Diskriminierungen kamen nur von den Aufsehern und aus der Verwaltung. Sie mögen es nicht, wenn Frauen ihr Territorium betreten. Es ist das ihre - ein Territorium des Mannes.

Im Film lachen die Gefangenen über das ganze Gerede von Selbstfindung und über eine übertriebene Selbstsorge. Warum?

Menschen ignorieren die Welt um sich herum. Sie tun so, als ob jeder sich die gleichen Fragen stellt. Darüber lachen sie.

Es geht den Menschen um ihre Identität.

Ja, das stimmt wohl. Die Gefangenen erfahren hingegen einen Identitätsverlust. Sie werden in Raum und Zeit kontrolliert, ihre Wahrnehmung von Zeit müssen sie vollständig aufgeben und erhalten einen völlig neuen, vom Gefängnis definierten Zeitbegriff.

Die Liebe zwischen Ihren Filmprotagonisten erinnert an die höfische Liebe - sie ist heimlich, illegitim, unerreichbar. Neigt man unter diesen Bedingungen zur Idealisierung des anderen?

Ja, und es ist gefährlich. Du kannst alles in die Person hineinprojizieren, du kannst es ohnehin nicht überprüfen.

Andererseits ist Liebe immer Projektion.

Absolut. Und in der Realität war ja tatsächlich etwas außerordentlich Starkes zwischen Michel und mir, etwas ganz Wahrhaftes. Das reale Leben nach Michels Entlassung war nicht leicht. Es liegt eine gewisse Gewalt in dem Weg nach draußen.

Sind Sie romantisch?

Ich glaube schon, ja. Ich habe es vergessen.

Zunächst gab es nur den Widerspruch zwischen der Freiheit zur Liebe und dem Körper in Fesseln. Doch dann wurden Sie in Michels Drogengeschäfte verwickelt. Sie begannen sich zu sorgen, waren ihm nicht böse. Ist das eine typisch weibliche Reaktion?

Du hast zwei Möglichkeiten: zu sagen, der Mann ist zu weit gegangen, er hat mich in Gefahr gebracht, dann musst du das Ganze beenden. Aber andererseits kannst du nicht erwarten, dass jemand, der Banken ausgeraubt hat, auf die Aufforderung hört, sauber zu bleiben. Es geht doch für alle darum, kohärent zu sein.

Ihr Film ist nicht nur autobiografisch, sondern auch sehr persönlich.

Ich bin über Philippe Garrell zum Film gekommen. Seine Filme haben sehr viel mit seinem eigenen Leben zu tun. Ich war sehr jung, als ich ihn traf, und glaubte, das mache jeder so wie er. Natürlich arbeitet nicht jeder so, aber andererseits ist doch alles irgendwie autobiografisch.

Inwiefern?

Deine Fantasie ist doch auch etwas, das ganz einfach von dir kommt. Für mich ist es ganz natürlich, Dinge über mich zu sagen. Nachdem ich in Michels Drogengeschichte verwickelt wurde, konnte ich diesen Film nicht im Gefängnis zu Ende bringen. Es war heftig, das alles zu beenden, auch für die Männer. Ich hatte bereits zehn Jahre im Gefängnis gearbeitet. Also beschloss ich, ihn draußen zu machen. Letztlich war es keine künstlerische Entscheidung, sondern eine existenzielle. Nach Michels Tod musste ich etwas Schönes machen.

Der Film erzählt auch, dass Sie HIV-positiv sind.

Ich wollte wahrhaftig sein. Ich konnte nicht über mein Leben und mein Leben mit Michel sprechen und das verschweigen. Ich spreche sonst nicht darüber. Zur gleichen Zeit habe ich einen Dokumentarfilm mit mir in der Hauptrolle für die Aids-Bewegung "Act Up" gemacht. Für mich war es einfacher, es der ganzen Welt zu erzählen als einer konkreten Person.

"Les mains libres": 16. 2., 22 Uhr, CinemaxX 4; 20. 2., 18 Uhr, Arsenal 1.

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