Feminismus und Kirche: Ein Aufschrei irgendwo am Rand

Der Kirchentag bietet viele Frauenthemen. Doch Lesben-Gottesdienste und wirkliche Emanzipation werden von den Veranstaltern vorsichtshalber aus dem Zentrum verbannt.

„Wann werden wir in jedem Land der Welt von unseren Liebsten erzählen können?" Bild: webtreats lizenz: by

MÜNCHEN taz | Wer hautnah erleben will, was marginalisierte Gruppen sind, sollte auf dem Kirchentag nach feministischen Veranstaltungen suchen. Es gibt sie – aber nur wer wirklich sucht, der findet.

Zum Beispiel den lesbisch-feministischen Gottesdienst. Dieser findet so weit entfernt vom Münchener Stadtzentrum statt, dass der dazugehörige U-Bahnhof nicht mal mehr auf dem Liniennetz im ÖKT-Programmheft verzeichnet ist. Absurderweise findet der Gottesdienst auch noch in der Dankeskirche statt. Danke wofür?

Immerhin: Die „Ökumenische Arbeitsgemeinschaft Lesben und Kirche“ aus Hamburg hat die Kirche mit bunten Tüchern und Regenbogenfahnen liebevoll geschmückt. Viele Teilnehmerinnen kommen schon lange vor Gottesdienstbeginn. Eine erwartungsvolle Spannung liegt in der Luft, zugleich auch eine Herzlichkeit und Wärme, die die meisten anderen Kirchentags-Veranstaltungen womöglich weit hinter sich lässt. Nach dem letzten Lied wird eine Frau fragen „Das war's schon? Haben wir nicht gerade erst angefangen?“. Das Bedürfnis, unter den rund 125.000 Teilnehmern am Kirchentag ein paar gleichgesinnte Frauen zu finden, ist enorm. Da sind 90 Minuten Gottesdienst nur wie ein kurzer Händedruck für jemanden, der eine lange Umarmung sucht.

Doch diese anderthalb Stunden sind beeindruckend visionär, feierlich und geben allen Beteiligten so etwas wie Ermunterung. Zu Beginn, fast wie bestellt, ein Akt der Solidarisierung: Ein Filmteam von Arte möchte den Gottesdienst filmen. Da einigen Lesben nicht wohl bei dem Gedanken ist, so öffentlich sichtbar zu werden, gibt es eine kurze Diskussion mit schnellem Entschluss – hier wird nicht gefilmt. Als fairen Kompromiss, und weil sie eigentlich als Gruppe ja doch Öffentlichkeit wollen, erlauben die Veranstalterinnen den Filmleuten lediglich Aufnahmen in Richtung des Altars, wo keine Teilnehmerinnen zu sehen sind.

„Wann werden wir in jedem Land der Welt von unseren Liebsten erzählen können? Wann werden wir als normale Menschen behandelt? Wann dürfen wir alle kirchlichen Ämter bekleiden?“ Wer die Fragen der Frauen im Gottesdienst hört, spürt: Viele Lesben fühlen sich nicht nur zuhause in ihren Heimatorten von der Gesellschaft ausgeschlossen, sondern auch hier in München vom Kirchentag ausgesperrt.

Diese institutionalisierte Verdrängung wird von den Feministinnen auch besprochen. In der Diskussion zu „Brot, Lippenstift und Rente“, bereits am Donnerstag, Christi Himmelfahrt, fragt die Moderatorin Ina Praetorius: „Warum dürfen wir nicht in den Messehallen reden? Sind wir nicht wichtig genug oder unerwünscht?“ Tosender Applaus, zustimmende Rufe im Frauenzentrum in St. Johann Baptist. Praetorius leitet dort ein Podium, auf dem sehr kämpferisch und radikal die weltweite Zukunft der Frauen diskutiert wird: Die Soziologin Christa Wichterich wettert gegen kapitalistische Strukturen, die „ein gutes Leben für alle Frauen unmöglich machen“ und „machtpolitische Veränderungen blockieren“.

Ökonomin Adelheid Biesecker verteidigt acht Thesen für einen feministischen Weg zu Selbständigkeit, Sicherheit und Freiheit und Frauenforscherin Ute Gerhard erklärt neue Konzepte des „doing familiy“ und eine neue Fürsorgerationalität. Alle drei wollen einen radikalen Paradigmenwechsel, einen Aufschrei gegen Unterdrückung. Doch gehört und gesehen werden sie eben doch nur von den Frauen (und wenigen Männern), die sich vom Kirchentags-Zentrum weg bewegen.

Die Missachtung dieser Debatte aber wird verschleiert. Angesichts der Kirchtentags-Statistiken schrieben viele Medien in den letzten Tagen, der Kirchentag sei „weiblich und jung“. Zahlenmäßig mag das stimmen, bezogen auf die Anmeldedaten der Teilnehmenden. Doch was wird faktisch hier diskutiert und verwirklicht?

Tatsächlich gibt es natürlich auch in den Messehallen und im Stadtzentrum Podien, Workshops und Gottesdienste mit „Frauenthemen“. Ganze 102 Veranstaltungen (von insgesamt etwa 3.000) finden sich hierzu auf dem Kirchentag. Der tragische Punkt ist: Frauenthemen sind keineswegs gleich Feminismus. Gerade Konservative haben in den letzten Jahren auch frauenpolitische Themen für sich entdeckt. Die Frauen, die dadurch ermutigt werden sollen, sind vor allem heterosexuelle Ehefrauen und Mütter. Sexistische Strukturen und festgesetzte Machtverhältnisse werden dadurch sogar noch verstärkt.

Die zwölf lesbischen Veranstaltungen des Kirchentags werden allesamt nicht in den Messehallen angeboten und zelebriert, sondern verstreut und abgelegen im Stadtgebiet. Unter den frauenbezogenen Veranstaltungen finden sich etwa auch solche, in denen kleine Mädchen zu willigen Gebärmaschinen erzogen werden sollen.

Doch ganz im Sinne des tot-zitierten Kirchentagsthemas „Damit ihr Hoffnung habt“ ist auf den wenigen feministischen Veranstaltungen die Stimmung euphorisch. Der Missmut ist groß, die Visionen für ein Besseres schon sehr konkret. Auch beim lesbischen Gottesdienst wird nach dem Segen noch lange weiter gesungen und getanzt: „It may be rocky and it may be rough, but sister, carry on.“

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