Mozilla-Geschäftsführer übers Open Web: "Wir verbinden Freibier mit Werten"

Mark Surman, Mozilla-Foundation-Geschäftsführer, über die rebellische Marke Mozilla, das revolutionäre Potenzial des Internets und kommerzielle Strategien als politische Intervention.

Mozilla, der neue Punk: Die Sex Pistols haben die Musikindustrie verarscht. Mozilla hat's mit Microsoft gemacht. Bild: dpa

taz: Herr Surman, der Titel des Medienkongresses, den die taz und der Freitag organisieren, lautet "Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt". Welche revolutionäre Rolle spielt das Internet wirklich?

Mark Surman: Die große Errungenschaft des Netzes ist es, ein Kommunikationsmittel für Leute zu sein, die sonst kein Gehör finden. Das Internet bringt in gewisser Weise den Kollektivismus voran. Aber in einem Sinne, der quer durch das verläuft, was wir früher als links und rechts bezeichnet haben. Unternehmen, die man als konservativ bezeichnet hätte, machen sich heute kollektive Arbeitsstrategien zu eigen, etwa beim Crowdsourcing. Ob etwas im Netz offen oder geschlossen ist, das ist interessant, denn da werden unterschiedliche Zugänge zur Verfügung gestellt, die unterschiedliche politische Narrative erzeugen.

Auch Mozilla und sein bekanntestes Produkt, der Browser Firefox, gilt als revolutionär. Doch die meisten Leute, die ihn benutzen, wissen gar nicht, warum. Was ist das Besondere an Firefox?

MARK SURMANN Mark Surmann ist Geschäftsführer der Mozilla-Foundation und gehört zu den prominentesten Vertretern offener Technologien und der Entwicklung eines wirklich offenen Internets.

Die Mozilla-Stiftung ist eine nichtprofitorienterte Organisation, deren Gründungsmanifest Offenheit, Innovation und Partizipation festschreibt.

Drumbeat ist ein Seitenprojekt von Mozilla. Henrik Moltke, Drumbeat-Projektleiter in Europa, wird am Medienkongress teilnehmen, den die taz und der Freitag am 9. April im Haus der Kulturen der Welt veranstalten.

Unser Browser ist schneller, hat keine Viren, keine Pop-ups, er ist äußerst flexibel bei der Integration von Anwendungen. Das sind alles Dinge, die User gut finden, weil sie ihnen das Leben einfacher machen, und das ist auch der Grund, warum unsere Marktanteile steigen. Außerdem, und das ist die andere Hälfte des Besonderen, sind alle Produkte von Mozilla offen, frei und für alle zugänglich. Mozilla handelt immer nach seinen Gründungswerten des open web.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang frei? Frei im Sinne von Freibier?

Der marxistische Theoretiker Antonio Gramsci sagte einmal, dass es keine gute, sozialistische Zeitung ohne einen Sportteil geben kann. Die Wahrheit dieser Aussage besteht darin, dass man das Freibier mit den Werten zusammenbringen muss, also umsonst zu sein, den Interessen der Nutzer zu entsprechen und dabei aber mit sozialen Zielen verbunden sein. Selbst wer nicht weiß, dass Mozilla eine NGO ist, weiß, dass Mozilla irgendwie eine rebellische Marke ist. Und das ist für viele der wichtigere Aspekt als das Freibier.

Machen Sie das alles aus purer Philanthropie, aus technischem Interesse oder für den guten Ruf von Mozilla?

Von allem etwas. Natürlich erhoffen wir uns jede Menge guter Ideen, von denen wir profitieren. Aber das Ziel von allem, was wir machen, ist pure Philanthropie. Den Gründern der Mozilla-Stiftung ging es darum, die Freiheit des Internets zu bewahren, denn Microsoft war damals dabei, das Internet zu zerstören. Die Mozilla-Gründer wollten das Web im Sinne eines Legobaukastens erhalten: jeder kann alles benutzen, neu mischen und etwas anderes erschaffen. Die einzige Möglichkeit war, eine Marktstrategie zu entwickeln, die mit Microsoft konkurrieren konnte. Und es hat funktioniert. In Deutschland benutzen 50 Prozent aller User unseren Browser. Es ist zwar eine kommerzielle Idee, aber eine, die eine politische Intervention darstellt.

Man könnte sagen, dass Mozilla sich Malcolm McLaren zum Vorbild genommen hat. Die Idee von Punk wurde erst zum globalen Phänomen, als McLaren die Sex Pistols als Marke erfand und sie zu einem Kassenschlager machte.

Richtig. Als Anarchist und Punk bin ich sowieso lieber mit den Liberalen als mit den Stalinisten zusammen. Auch die Linken haben zunehmend gemerkt, dass wir hybride Herangehensweisen brauchen, die auf soziale Ziele gerichtet, aber marktorieniert sind. Wichtig dabei ist jedoch, dass wir nicht nur auf den Markt gehen, um eine Idee zu verkaufen, sondern um den Markt neu zu gestalten. So wie Punk die Plattenfirmen verarscht und die Regeln verändert hat, haben wir Microsoft verarscht und die Regeln geändert.

Da wären wir bei Marshall McLuhan. Erst schaffen wir die Werkzeuge und dann fangen sie an, uns zu verändern.

Ja und jetzt wird relevant, welche Entscheidungen wir treffen. Die Druckerpresse und die Ära industrieller Medien hatte uns das Schöpferische genommen und uns in die Publikums-Ecke gedrängt. Das Equipment, um selbst aktiv zu werden, war einfach zu teuer und hochspezialisiert. Doch spätestens mit dem Befehl "Copy and Paste" gelang im Internet in vielerlei Hinsicht eine Revolution. Bilder, Sound, Videos und Text wurden variabel. Wir können sie einfach nehmen und an anderer Stelle einfügen. Das ist eine riesige konzeptionelle Veränderung für die Gesellschaft. Doch das Netz erlahmt und wir müssen dafür sorgen, dass wieder mehr Dynamik eintritt, viel mehr Leute viel mehr mitgestalten.

Haben Sie Schwierigkeiten mit Leuten, die Mozilla für Produkte, Software und Projekte für Zwecke kapern, die nicht in Mozillas Sinn waren?

Natürlich kommen Leute, die bestimmte Features für Firefox anbieten, und natürlich kommt auch jede Menge Schrott rein. Aber da gibt es ein ganzes System, das auf einem Community-Governance-Modell basiert, das das überwacht. So wie bei Wikipedia. Dieses Problem haben wir immer. Das ist die Natur der Bestie, wenn man offen operiert.

Offene Operationen können aber auch schiefgehen. Wo sehen Sie derzeit die größte Gefahr für das offene Internet?

Die drei größten Gefahren liegen im Bereich der Privatsphäre, der Frage, wer überhaupt entwickeln darf und wer wann und wie Internetzugang hat. Die Balance zwischen Offenheit und persönlicher Verantwortung ist sehr schwierig. Wir entwickeln gerade ein Tool, das eine komplett andere Architektur hat. Es bietet dieselben Vorteile der Sozialen Medien, aber garantiert mehr Schutz der Privatsphäre.

Mozilla veranstaltete letztes Jahr einen Kongress zum Thema Bildung und dieses Jahr eine zum Thema Medien. Was hat Mozilla mit Bildung zu tun?

Der Horizont des Internets beträgt ja bis zu 100 Jahren. Da reicht es nicht, nur auf einen Browser zu gucken. Also investieren wir darin, herauszufinden, was wir tun müssen, um Offenheit und Freiheit des Internets zu garantieren. Vor 50 Jahren wusste niemand, was Cholesterin, Kalorien etc. sind. Heute sind wir vielleicht immer noch fett, aber wir haben ein Grundwissen über diese Dinge und deswegen die Wahl, fett zu werden. Über das Internet gibt es dieses Grundwissen noch nicht. Und deshalb bringen wir technische Entwickler mit klassischen Lehrern und Software-Pädagogen zusammen und hoffen, dass wir eine radikale Ideen im Bereich der Pädagogik entwickeln können.

Und was versprechen Sie sich von der Zusammenarbeit mit den Medien?

Wir haben beispielsweise eine Anwendung entwickelt, die 48 Stunden nach ihrer Veröffentlichung von der Regierung der USA übernommen wurde: Wenn Präsident Barack Obama seine jährliche öffentliche Rede an die Nation hält, wird sie in der medialen Übertragung sofort mit Untertiteln in vielen Sprachen zu sehen sein. Aber ganz allgemein geht es uns darum, dass wir wissen, wo das Potenzial des Web liegt und wo es gefährdet ist. Und wir wollen den Journalisten zeigen, wie das Web denkt, und von ihnen lernen, wie man eine Geschichte erzählt. Von dieser Zusammenarbeit erhoffen wir uns, die Grundidee des Journalismus, die Verteidigung von Freiheit und Demokratie, zukunftsfähig zu machen.

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