Sebastian Vollnhals von Hatr.org: Böse Trolle zu Geld machen

Feministische Blogs sind oft Zielscheibe für besonders agressive Kommentare, wohl von frustrierten Männern. Mit Hatr lassen sich diese Kommentare wegschicken – und sogar zu Geld machen.

Das Letzte: Hasskommentare zum Ablachen. Bild: screenshot hatr.org

Hallo Sebastian, du hast das Projekt Hatr.org mit erdacht und auf die Beine gestellt. Was ist da denn der Clou, immerhin sind die frauenverachtenden Kommentare ja noch weiter öffentlich?

Die meisten Kommentare, die bei Hatr eingereicht werden, würden auf den Blogs, auf denen sie abgesetzt wurden, sowieso nicht veröffentlicht. Insofern sind sie bei Hatr sogar exklusiv öffentlich, aber eben entkoppelt von jenen, gegen die sie gerichtet sind. Darin liegt auch der Vorteil: das Verhalten dokumentieren, ohne ein öffentliches Opfer zu produzieren.

Ihr macht ja auch Geld mit diesem Spam – Wie?

Sebastian Vollnhals (27) ist freiberufliche Kreativitätsingenieurin und Umweltaktivistin.

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Hatr: Die Idee "Hatr" entstand beim Gendercamp, einem feministischen Barcamp im Jahr 2010. Im April 2011 ging Hatr online. Ziel der Software ist es, mit den in feministischen Blogs überproportional häufig einlaufenden bösartigen Leserkommentaren konstruktiv umzugehen. Hatr schickt destruktive Leserkommentare auf das Portal Hatr.org, wo sie weiterhin öffentlich sind, jedoch nicht mehr mit dem Blog oder gar dem Beitrag verknüpft. Mithilfe von Werbung und anderen Einnahmequellen wird mit den "Trollkommentaren" sogar Geld gemacht – das soll für einen guten Zweck gespendet werden.

Zum einen schalten wir Bannerwerbung, wie sie auch auf anderen Webseiten zum Einsatz kommt. Zusätzlich gibt es noch die Möglichkeit, uns via Flattr kleine Geldbeträge zu schenken. Darüber hinaus haben wir noch einige andere Ideen.

Rechnet ihr mit einem bestimmten Betrag oder lasst ihr das auf euch zukommen?

Nein. Ehrlich gesagt bin ich erstaunt, dass bis jetzt überhaupt messbare Einnahmen zu verzeichnen sind. Ob das eine nachhaltige Entwicklung ist, muss sich aber erst noch zeigen.

Das Geld war eigentlich eher so als Werbegag gedacht? Motto: "Wir verfeuern Trollkommentare"?

Uns ist nichts Positiveres zu Trollkommentaren eingefallen, als sie zu monetarisieren. Natürlich ist das auch ein bisschen Provokation gegenüber den Trollen.

Eine schöne Idee – aber, sind die denn überhaupt so schlimm? Ist das wirklich ein Problem – oder könnte man nicht auch anders auf destruktive Trollerei reagieren?

Ich denke nicht, dass Hatr die einzige oder beste Möglichkeit ist, mit Trollen umzugehen. Es ist eine Alternative von vielen. Zum Beispiel ist auch die alte Weisheit "don't feed the trolls", also Trollen einfach keine Aufmerksamkeit zu gewähren, durchaus noch aktuell. Hatr steht ja nicht gegen dieses Prinzip, sondern bietet eine Alternative.

Wie reagieren diejenigen, deren Kommentare zu Hatr geschickt werden?

Das ist schwer zu sagen, denn die Kommentierenden sind ja weitestgehend anonym. Allerdings sind die Reaktionen in den antifeministischen Ecken des Internets schon interessant. Zum einen wird da an der Echtheit der Inhalte gezweifelt ...

sprich, sie reden sich ein, dass die Frauen das selbst geschrieben haben?

Ja. Zum anderen wird versucht, herauszufinden, wer hinter der Seite steckt.

Oha. Und wird Gewalt angedroht?

Nicht direkt, ich jedenfalls mache mir keine Sorgen um mein Wohlergehen.

Hat das Plugin Einfluss auf die Performance des Blogs?

Nein, das Wordpress-Plugin klinkt sich nur in den Admin-Bereich ein, den Besucherinnen und Besucher einer Webseite ja nicht zu Gesicht bekommen.

Ist angedacht, Hatr auch auf die Bereiche Rechtsextremismus, Klimalügen oder ähnliches auszudehnen? Haben schon Freunde aus diesen Bereichen Interesse gezeigt?

Wohin sich Hatr entwickelt, ist für uns derzeit noch offen. Auch wenn wir gerade einen Schwerpunkt im queerfeministischen Kontext setzen, sind wir offen für Nutzerinnen und Nutzer aus anderen Bereichen und haben auch schon ein paar Projekte aus anderen Kontexten an Bord. Allerdings kommt der überwiegende Teil der Inhalte weiterhin aus feministischen Projekten. Wohl auch, weil dort besonders viel von diesen destruktiven Trollkommentaren anfällt.

Wie schützt ihr euch bei Hatr dagegen, dass Nazis oder Maskulisten kommen und euch die bei euch veröffentlichten Kommentare vollspammen?

Momentan nennen wir uns "geschlossene Beta". Das bedeutet: wir verteilen ausschließlich Accounts an Projekte, die wir uns angesehen haben. Dass wir nicht beliebigen Content ungeprüft auf die Seite stellen, wird auf jeden Fall absehbar so bleiben.

Habt ihr darüber gesprochen, es komplett offen zu machen?

Bei der Entwicklung der Idee wurde relativ schnell klar, dass wir uns da keinen Kontrollverlust leisten können. Ein komplett offenes wäre auch ein spannendes Projekt, aber nicht unseres.

Warum nicht?

Dafür gibt es schon die Wikipedia (lächelt). Nein, im Ernst: wer das machen möchte, kann bestimmt relativ einfach eine komplett offene Wiki-Software aufsetzen.

Basiert Hatr auf einer Wiki-Software?

Nein, es ist eine komplette Eigenentwicklung mit einigen Open-Source-Komponenten.

Ist nun bald noch mehr Software von euch zu erwarten?

Mal sehen. Die Troll-Datenberge bieten bestimmt noch viele andere spannende Möglichkeiten. Vielleicht trainieren wir damit einen Spamfilter und bieten ein Anti-Spam-Plugin für Blogs an... Momentan allerdings ist nichts derartiges geplant.

Wie kommst du als biologischer Mann eigentlich darauf, bei so einer feministischen Aktion, also dem Engagement gegen Trollerei in feministischen Blogs, mitzumachen?

Auch wenn ich biologisch in die Kategorie "Menschen mit Schwanz" passe, finde ich dieses binäre Geschlechterrollenmodell auf gesellschaftlicher Ebene seltsam und würde mich da in keine Schublade stecken lassen. Wer an dieser Stelle vermeintlich Feststehendes hinterfragt, landet früher oder später im queerfeministischen Sumpf und als Digital Native dann eben auch in der entsprechenden Netzsubkultur und auf Veranstaltungen wie den Gendercamp, wo Ideen wie Hatr.org ausgebrütet und manchmal sogar verwirklicht werden.

Die queerfeministische Subkultur als Innovationsmotor für den Feminismus?

Subkultur ist häufig innovativ.

Wie ist das bisherige Feedback? Seid ihr zufrieden?

Das Presse-Feedback ist ziemlich überwältigend, vor allem, da das Projekt für uns alle gerade eigentlich eher ein Nebenbei-Projekt ist, und wir gar nicht so viel Zeit und Energie hineinstecken können, wie es vielleicht nötig wäre.

Warum? Weil ihr alle noch anderweitig engagiert seid?

Ja. Ich zum Beispiel arbeite in der Umweltbewegung und nach Fukushima komme ich kaum noch zum Essen und Schlafen.

Dann will ich dich lieber nicht weiter abhalten. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!

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