Netz debattiert Reichsparteitags-Spruch: "Mit dem 2. Weltkrieg sieht man besser"

Eine ZDF-Moderatorin sprach beim Deutschland-Spiel vom "inneren Reichsparteitag" für Klose - und alle schreien: Skandal! Das ZDF bedauert die "Entgleisung", das Netz debattiert.

Ihr Arbeitgeber spricht von einer "sprachlichen Entgleisung": ZDF-Sportmoderatorin Katrin Müller-Hohenstein. Bild: dpa

Sie muss ganz entzückt gewesen sein. Katrin Müller-Hohenstein steht im ZDF-Studio eingerahmt von WM-Experte Oliver Kahn und den Nationalflaggen. "Ja, das ist ein klarer Torwartfehler", analysiert Kahn den Treffer Kloses. Müller-Hohenstein fährt ihm wie auf Knopfdruck ins Wort "und für Miroslav Klose ein innerer Reichsparteitag. Jetzt mal ganz im Ernst." Ihr Blick fixiert einen Punkt hinter der Kamera. Starr schaut sie geradeaus, während Kahn sein Einlull-Expertensprech fortsetzt. Müller-Hohenstein wollte etwas Pepp, Emotionen in das Gespräch bringen. Und die Emotionen kamen.

Die Netzgemeinde reagierte sofort. Innerhalb von Sekunden läuft die Maschinerie an: Auf YouTube protokolliert eine Aufzeichnung den Vorfall, die Stichwörter #reichsparteitag und #kmh befüllen den Kurznachrichtendienst Twitter Sekunden nach der Aussage mit Empörungsrufen. Was anfing mit „Habt ihr das gesehen? Skandal?“ wurde schnell zu einer kleinen Kampagne: „ZDF: Mit dem Zweiten Weltkrieg sieht man besser!“.

Willkommen im Mitmach-Web! Bereits eine Stunde nach Abpfiff die erste Reaktion vom ZDF – ebenfalls per Twitter: „Liebe Follower, wir verstehen Euren Unmut. Wir geben das morgen weiter.“ Dazu ein Verweis zum Kontaktformular auf der ZDF-Seite. Kurz darauf meldet das ZDF „Wir haben diese Redewendung erklärt, jedoch heißt das nicht, dass wir sie gut finden oder unterstützen. Ganz und gar nicht!“. Zuletzt sieht sich noch Dieter Gruschwitz, ZDF-Sportchef, zu einer Äußerung gezwungen: "Es war eine sprachliche Entgleisung im Eifer der Halbzeitpause. Wir haben mit Katrin Müller-Hohenstein gesprochen, sie bedauert die Formulierung. Es wird nicht wieder vorkommen."

Für viele Twitter-Nutzer war die Sache damit erledigt. „Können wir jetzt alle weiteratmen“ wird genervt gefordert und ein Mitglied unter dem Namen joachimgauck witzelt: „Wenn die Frau Müller-Hohenstein von einem 'inneren Parteitag der SED für Miro Klose' gesprochen hätte, würde ich mich jetzt auch aufregen."

Während die Stimmung auf Twitter sich beruhigt, erweisen sich einige Medien als unüberlegt. Sie regen sich über etwas auf, was bisher selbstverständlich benutzt wurde, wie Stefan Niggemeier protokolliert.

Die Stimmung spaltet sich. Alltägliche Redewendung oder geschmacklose Nazi-Assoziation? Ein Blick ins "Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten" verrät: "'Es ist mir ein innerer Reichsparteitag' oder 'Es ist mir ein innerer Vorbeimarsch', mit parodistischer Beziehung auf die bombastischen Reichsparteitage der Nationalsozialisten in den dreißiger Jahren aufgekommen."

Entstanden ist der Begriff in den 30er Jahren. Reichsparteitage waren Machtdemonstrationen des NS-Regimes mit Wehrmachtsvorführungen und großen Aufmärschen. Allerdings etablierte sich die Redensart in ironischer Form. Eine Parodie – ein Spott – auf den Nazi-Protz und dennoch unangebracht, wie ZDF-Sportchef Gruschwitz sofort einsah: "Das ist ein umgangssprachlicher Ausdruck, der nicht in die Fernsehsprache gehört."

Eine Debatte mit viel heißer Luft und Unkenntnis. Und wer es nicht bemerkt hat, Müller-Hohenstein legte noch einen drauf: "Tabellenführer". Noch so ein böses Wort.

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