Der Soziologe Behrend über den Regenwald: "Das Glas ist zu 99 Prozent leer"

Der Hamburger Soziologe Reinhard Behrend kämpft gegen die Zerstörung des Regenwalds, dem vielfältigsten Lebensraum der Erde. Sollten wir unseren Konsum nicht drosseln, wird er nicht zu retten sein, sagt er.

Freund der Natur: Reinhard Behrend. Bild: Ulrike Schmidt

taz: Herr Behrend, ist der Regenwald noch zu retten?

Reinhard Behrend: Die ganzen Regenwälder sind schon lange nicht mehr zu retten. Aber es gibt noch riesige Gebiete mit unendlich vielen Tier- und Pflanzenarten, die zu 90 Prozent noch nicht einmal wissenschaftlich entdeckt sind, mit Menschen, die kaum Kontakt mit der Außenwelt haben. All dies können wir noch erhalten.

Gerade hat das brasilianische Parlament die Waldschutzgesetzgebung gelockert. Frustriert Sie das?

REINHARD BEHREND 62, Soziologe, lebt idyllisch im Norden Hamburgs. Hier ist er auch aufgewachsen.

Rettet den Regenwald hat zwölf Mitarbeiter in verschiedenen Ländern.

Protestaktionen zu konkreten Fällen werden zweimal pro Woche über das Internet gestartet. Bis zu 15.000 Menschen schließen sich regelmäßig an. "Dass Internet ist unsere Hauptwaffe geworden", sagt Behrend. Der Verein betreibt auch Websites auf englisch, spanisch, portugiesisch und französisch.

Der Regenwald-Report erscheint gedruckt viermal im Jahr in einer Auflage von bis zu 800.000 Stück.

Das kann man wohl sagen. Es ist vor allen Dingen frustrierend, dass es überall Millionen von Menschen gibt, die sich gegen Landraub, gegen die Zerstörung ihrer Umwelt wehren und die wir sehr wirkungsvoll unterstützen könnten mit Geld und Aktionen hierzulande. Aber auf der anderen Seite nimmt die Zahl der Probleme so dramatisch zu, dass man 48 Stunden am Tag bräuchte, um dagegen vorzugehen.

Was wäre ein Beispiel für diese Unterstützung?

Eine Kollegin von uns ist gerade auf Sumatra, wo es Konflikte gibt zwischen den Waldelefanten und den Menschen, die in der Nähe dieses Waldes gelebt haben. Dieser Wald wird mit Unterstützung der Regierung abgeholzt, obwohl er ein Schutzgebiet sein sollte. Wir lassen zehn Vertreter dieser Menschen in die Hauptstadt Jakarta fliegen, um dort beim Ministerium zu protestieren. Dafür braucht man mindestens 2.000 Euro.

Und Rettet den Regenwald beschafft das Geld?

In manchen Fällen helfen wir auch organisatorisch. Auf der anderen Seite organisieren wir in den Industriestaaten Protestaktionen, in letzter Zeit hauptsächlich im Internet. Zwei Aktionen haben wir mindestens jede Woche, mit denen wir gegen solche Verbrechen protestieren und 15.000 bis 20.000 Unterschriften sammeln. Neuerdings fangen wir auch an, lokale Gruppen, etwa in Hamburg oder Berlin, zu organisieren.

Sie sind Gründer von Rettet den Regenwald. Wie baut man so eine Organisation auf?

Das war nicht so geplant, eher ein Verzweiflungsakt. Es gab damals schon Greenpeace und ähnliche Organisationen, aber keiner kümmerte sich um den Regenwald. Ich fing an, den World Rainforest Report, ein Aktivistenblatt aus Australien, zu übersetzen. Dabei stellte ich fest, dass es in anderen Ländern sehr wirkungsvolle Kampagnen gab. In Australien hatten sie richtige Kämpfe um den Regenwald wie bei uns in Brokdorf. Dann haben wir die ersten Kampagnen gegen Plantagen von Coca Cola und vor allem die Riesen-Staudämme in Brasilien begonnen.

Wie haben Sie Mitstreiter gefunden?

Sie sind einem so zugelaufen. Es spricht sich herum, wenn es Aktionen gibt. Aber damals ging das auch langsam. Wir haben überlegt, ob wir 5.000 oder 10.000 Regenwald-Reports drucken. Heute drucken wir 500.000 oder 800.000.

Das heißt, Sie haben über die Zeitschrift Mitstreiter geworben?

Genau, wenn man bedenkt, wie wenige Mittel wir damals eingesetzt haben, erstaunlich erfolgreich. Beim Hamburger Senat erreichten wir bald einen Verzicht auf Tropenholz. Hinzu kam, dass man plötzlich festgestellt hat, dass die Täter um die Ecke wohnen. Bei mir war es der Verein Deutscher Holzeinfuhrhäuser. Ich habe da in der Mülltonne zwei Jahre lang die Aktionen der Holzhändler verfolgt. Dadurch wussten wir immer, was die mit den Ministerien kungeln.

War das nicht heikel für Sie - gerade weil es Ihre Nachbarn waren?

Es war total praktisch.

Wie sind Sie auf das Thema Regenwald gekommen?

Ursprünglich kommt es daher, dass ich in Hamburg aufgewachsen bin, als es in Steilshoop noch Kleingärten gab und Eulen da herumflogen und Fledermäuse. Wer ein Gefühl für die Natur hat, für den sind die Tropen tausendmal aufregender als Steilshoop oder Klein Borstel. Wenn man einmal durch so einen Wald geht, Orang Utans trifft oder einen Gorilla, ist man praktisch in einer anderen Welt. Man wundert sich, warum die Leute sich so um die Dinosaurier kümmern, wo wir diese fremdartige Welt noch bei uns haben.

Sind Sie als Tourist dorthin gefahren?

Als Hippie. Ich hatte als Kind das Buch "Durch 1.000 Gefahren in Afrika" gelesen, wo Leute den Kongo runtergefahren sind und es war total aufregend für mich. Wenn man dann nach Afrika kommt und sieht, die einzige Gefahr besteht in den Holzlastern mit ihren gigantischen Baumstämmen oder der Umweltverschmutzung ist das ein merkwürdiges Gefühl.

Wie sieht Ihre Lobbyarbeit in diesen Ländern aus?

Wir schreiben an die Regierungen, Konzerne und internationale Institutionen. Manchmal stellt man dabei fest, dass in den Regierungen der Tropenländer mehr Bereitschaft da ist, etwas für den Erhalt der Umwelt zu tun als hierzulande. In Kambodscha hat die Regierung gerade auf eine Titan-Mine verzichtet, um den Wald und die Elefanten darin zu erhalten.

Beteiligen Sie sich am internationalen Konferenzwesen?

Wir haben uns an diesen ganzen Tropenholzkonferenzen beteiligt. Letzten Endes ist das Ganze ein großer Basar, wo Stimmen gekauft und Regierungen wirtschaftlich unter Druck gesetzt werden. Deshalb legen wir darauf keinen Schwerpunkt. Aber wir waren bei Tagungen der Weltbank und haben versucht, diese davon abzuhalten, Palmölplantagen zu finanzieren. Im Vergleich zu den Konzernen und Regierungen mit ihrem fast unerschöpflichen Potenzial können wir freilich wenig ausrichten. Eigentlich müsste man sich ja fragen: Warum erreicht die Regierung so wenig im Umweltschutz?

Ihre Antwort?

Dass die Regierung wie ein schwankendes Rohr im Wind ist und die Wirtschaftsinteressen immer ganz doll pusten.

Wobei die Umweltverbände auch ein kräftiges Echo erhalten…

Ich finde, dass die Umweltverbände das Interesse und die Sympathie für ihre Sache zu wenig nützen und die Konzerne nicht direkt genug angreifen.

Der Atomausstieg wäre ein Thema, wo das geschehen ist.

Das öffentliche Interesse konzentriert sich auf wenige Themen. Die Vernichtung der Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten wird in der politischen Diskussion nicht ernst genommen. Der breiten Bevölkerung ist das nicht bewusst - dabei ist es möglicherweise viel gefährlicher als die Atomenergie.

Wie geht das zusammen damit, dass die Leute jedes Mal den Aufstand proben, sobald vor ihrer Tür ein Baum gefällt wird?

Was in den Tropen stattfindet, können sich die Leute nicht vorstellen. Das ist wie bei der Fleischproduktion: Wenn jemand durch eine Tierfabrik ginge, würde ihm schlecht und er würde kein Hähnchen mehr kaufen. Wenn ich durch diese tollen Einkaufszentren gehe und goldene Uhren sehe, weiß ich, dass bei deren Herstellung Quecksilber frei wird und Cyanid auf die Abfallhalden gelangt. Für die Stahlkochtöpfe werden riesige Erzminen angelegt und die Baumwolle kommt von vergifteten Feldern. Ich gehe da durch und habe den Eindruck einer Geisterbahn. Die meisten Leute wissen das nicht oder wollen es nicht wissen.

Kann man von allen Menschen erwarten, dass Sie hinter jedem Produkt dessen ökologisches Skelett sehen?

Wir tun, was wir können, um diese schöne Fassade zu zerreißen. Unsere Arbeit hat sich sehr verkompliziert. Früher haben die Leute Tropenholz gesehen und gewusst: Dafür werden diese riesigen alten Bäume umgesägt. Heute sind Regierungen und Konzerne dazu übergegangen, um alles ein ökologisches Mäntelchen zu hängen: Sie behaupten, dass es ökologisches Tropenholz gebe, nachhaltiges Palmöl, nachhaltiges Soja.

Lehnen Sie die Zertifizierung von nachhaltig bewirtschaftetem Holz nach den Vorgaben des Forest Stewardship Council (FSC) ab?

Wenn man genau hinguckt, ist das alles ein riesiger Verbraucherbetrug. Die allermeisten Hölzer der Tropen stammen aus absolut sozial- und umweltfeindlichen Plantagen von Eukalyptus und ähnlichem.

Wieso gehen dann Organisationen wie der WWF darauf ein?

Es ist für große Organisationen manchmal schwierig, konsequent zu handeln, weil darin unterschiedliche Interessen auftreten. Und dann gibt es noch unterschiedliche Mentalitäten: Der eine sagt, das Glas ist halb voll, und der andere sagt, das Glas ist halb leer.

Sind Sie ein "Das Glas ist halb leer Typ"?

Ich bin ein "Das Glas ist zu 99 Prozent leer"-Typ.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.