Unsere Atomkraftwerke (3 und Schluss): Der silberne Käfig

Das Atomkraftwerk Krümmel ist berühmt geworden für seine Störanfälligkeit, für miese Informationspolitik und für die Leukämie-Debatte. Gebaut wurde der Meiler da, wo der Chemiker Alfred Nobel 1865 die erste Dynamitfabrik der Welt errichtete.

Einzigartige Eleganz: Bis auf den Kran drängt beim AKW Krümmel alles dem Reaktor zu. Bild: Foto: Klaus Irler

Am 24. April wollen Atomkraftgegner eine Menschenkette von Brunsbüttel bis nach Krümmel bilden. Die taz hat im Vorfeld die Atomkraftwerke an der Elbe besucht - und stellt sie in einer dreiteiligen Serie vor.

Das Häuschen des Wachmanns steht auf einer Terrasse am Hang, oberhalb der Anlage, so dass der Wachmann immer den Überblick hat, was unten los ist. An diesem Frühlingsnachmittag hat der Wachmann seine Jacke ausgezogen und geht vor seinem Häuschen auf und ab, drei Meter in die eine Richtung, drei in die andere. Unten auf dem Gelände sind viele Männer in blauen Latzhosen unterwegs. Der Wachmann hat sie immer im Blick. Würde man nur diese Szene kennen, man würde bei alldem auf ein amerikanisches Gefängnis tippen.

Tatsächlich handelt es sich um das Atomkraftwerk Krümmel, und der Wachmann soll keine Ausbrüche verhindern, sondern Einbrüche. Mit Gefahr von außen rechnet er aber nicht, ihm ist klar: Die wirkliche Gefahr kommt von innen. Das Atomkraftwerk Krümmel ist sich selbst der größte Feind.

Ein Bündnis aus Umweltverbänden, Anti-Atom-Initiativen, Gewerkschaften und Parteien organisiert für den 24. April eine Anti-Atom-Menschenkette zwischen den Atommeilern Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel.

Die öffentliche Diskussion über die Zukunft der Atomenergie soll mit der Aktion angefacht werden, da zur Zeit hinter verschlossenen Türen Grundsatzentscheidungen über längere Laufzeiten der Meiler fallen.

Aus dem Süden sollen die Teilnehmer - die unter anderem mit drei Sonderzügen und 200 Bussen anreisen - die Strecken in Schleswig-Holstein verstärken. Die Hamburger ziehen eine Kette durch die Hansestadt.

Kundgebungen finden im Anschluss in Brunsbüttel, Brokdorf, Glückstadt, Elmshorn, Hamburg- St. Pauli, Hamburg-Billstedt und Krümmel statt.

Infos: www.anti-atom-kette.de

Dabei ist das AKW Krümmel der eleganteste unter den norddeutschen Atommeilern an der Elbe: Farblich ist die Anlage in silber-metallic und blau gehalten, so wie die neueren Polizeifahrzeuge, nur dezenter. Die Gebäude sind ausgerichtet auf den Reaktor, der alles andere überragt. Es ist ein himmelwärts strebendes Ensemble, selbstbewusst, ja majestätisch. Der Gegenentwurf zum verdrucksten AKW in Brokdorf. Oder dem umgefallenen "L" in Brunsbüttel.

Auch von seiner Leistung her gehört das AKW Krümmel zur Chefetage. Der Siedewasserreaktor hat eine Nettoleistung von 1.346 Megawatt. Die allerdings nur auf dem Papier steht: Das Atomkraftwerk im Geesthachter Ortsteil Krümmel wurde im Juni 2007 wegen eines Brandes in einem Transformator abgeschaltet.

Nach jenem Brand investierte der Betreiber Vattenfall laut Spiegel 300 Millionen Euro in die Sanierung. Im Juni 2009 fuhr Vattenfall den Reaktor wieder an, aber nach gut zwei Wochen kam es wieder zu einer Schnellabschaltung - wieder aufgrund einer Panne in einem Transformator. Nun will Vattenfall das Atomkraftwerk bis Ende des Jahres wieder in Betrieb nehmen. Zuvor sollen rund 30 Transformatoren unterschiedlicher Größe ausgetauscht werden.

Die Geschichte mit den Transformatoren ist nur eine von vielen, die das AKW in die Negativ-Schlagzeilen brachte. Krümmel steht auch für den immensen Image-Verlust des Betreibers Vattenfall, der über die Pannen insbesondere in den Jahren 2007 und 2009 nur zögerlich und häppchenweise informierte. Und Krümmel, das steht nicht zuletzt für die Leukämie-Debatte, die die Menschen und die Experten seit Mitte der 1990er Jahre beschäftigt.

Das Bremer Institut für Präventionsforschung wies 1994 im Umkreis von fünf Kilometern um Krümmel eine "signifikante" Erkrankungshäufigkeit für Leukämie nach: Um 50 Prozent erhöht ist demnach die Leukämierate, verglichen mit anderen Landkreisen. Es folgte eine Flut von Gutachten, Experten aus dem In- und Ausland befragten Tausende von Leukämiepatienten, untersuchten Muttermilch, Baumstämme, Wasser, Hausstaub und Bodenproben. Zweifelsfrei ist, dass es um Krümmel herum mehr Leukämieerkrankungen als anderswo gibt. Nicht bewiesen werden konnte, dass die Häufung mit dem Atomkraftwerk zusammenhängt. Auch ein Gutachten der rot-grünen Landesregierung aus dem Jahr 2002 bescheinigte "keinen begründeten Verdacht" für einen Zusammenhang zwischen dem AKW und den Erkrankungen.

Während die Experten kamen und gingen, ging das AKW mehrmals länger vom Netz: 1993/94 für 14 Monate, weil Risse in Rohrleitungen zu beheben waren. 1998 bedeuteten defekte Sicherungsmuttern im Reaktordruckbehälter und Sanierungen "befundbehafteter" Rohrleitungen eine halbjährige Pause, 2001 waren es nach einem Absturz von Brennelementen erneut drei Monate.

Wie ein schlechter Witz nimmt sich da die Geschichte des Grundstücks aus, auf dem das Kraftwerk steht. Nach seinen erfolgreichen Forschungen mit Nitroglycerin errichtete der schwedische Chemiker Alfred Nobel 1865 auf dem 42 Hektar großen Areal die erste Dynamitfabrik der Welt. 1867 wurden in Krümmel elf Tonnen Dynamit hergestellt, 1871 waren es bereits 785 Tonnen.

Vor dem Informationszentrum am AKW steht ein Schaukasten, der an Nobels Fabrik erinnert. "Nach dem Ankauf des Geländes begann die Produktion von Nitroglyzerin mit allen Problemen (Explosionen), die dieser Stoff nun mal bietet", steht da.

Tatsächlich sprengte Nobel seine Fabrik 1866 beim Experimentieren selbst in die Luft. Weitergemacht hat er trotzdem. Wie heute der AKW-Betreiber Vattenfall. Der schreibt, dass die Explosion von 1866 zwar das Werk zerstörte - aber dazu führte, das Nitroglyzerin sicherer und handhabbarer zu machen.

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