Gentrifizierung: "Es gibt Wichtigeres im Leben als Geld"

Wohnungsmangel, steigende Mieten, Aufwertung der Stadtteile: Seit knapp einer Woche ruft eine Kampagne im Internet die jungen Hippen auf, sich zur Lage in Hamburg zu bekennen.

Lizzy, 22, Miami Ad School: "Klar steigen die Mieten. Aber es gibt echt wichtigeres im Leben als Geld". Bild: YGG

taz: Herr Sermon, was ist ein Yuppie?

Julian Sermon: Yuppie ist auf jeden Fall ein Begriff, den man für andere benutzt, aber nicht für sich selbst. Man sagt ja gern, der oder die führt sich yuppiemäßig auf.

Also eher ein Schimpfwort? Im Wortsinn sind Yuppies - also young urban professionals - ja junge karrierebewusste Erwachsene der städtischen oberen Mittelschicht.

Eine kleine Tendenz zum yuppieesken beobachte ich bei mir selbst auch, wenn ich mit einer Latte und meinem McBook im Cafe sitze und arbeite.

McBook und Milchkaffe im Cafe und fertig ist der Yuppie?

Naja, wie viele Sandkörner machen einen Sandhaufen? Die Kausalkette Latte, Laptop, Mieten steigen gibt es so eindeutig natürlich nicht. Ich würde eher sagen, dass eine Summe von Eigenschaften einen Yuppie zum Yuppie macht.

Und mit Ihrer von fünf Tagen gelaunchten Internetseite www.yuppiesgegengentrification.de (YGG) machen Sie sich auf die Suche nach diesen Eigenschaften?

Gewissermaßen. Wir, das sind sechs Leute vom Sigmund-Lachs-Institut, hatten die Idee zu dieser Kampagne schon vor einem halben Jahr. Wir haben uns gefragt, welche Rolle wir selbst im Prozess der Gentrifizierung spielen und wie wir uns damit gestalterisch auseinandersetzen können.

28, Professor Doppeldoktor Julian Sermon ist der Künstlername des Mitgründers des Hamburger Sigmund-Lachs-Instituts für interprofessionelle Konfusion. Er arbeitet in der Kreativbranche.

Und?

Fünf von uns haben sich verkleidet fotografieren lassen und als die so geschaffenen Figuren ein Statement zum Thema Gentrifizierung abgegeben.

Zwei Beispiele: "Ich finde es super, was im Gängeviertel passiert. Wir alle wünschen uns eine schmucke Lösung" oder "Ich wohne seit anderthalb Jahren auf St. Pauli. Der Stadtteil hat sich wirklich krass verändert."

Wir wollten einen kritischen Blick auf unsere eigene Rolle werfen und das geht am besten mit Ironie. Das Ganze war erst als Postkartenkampagne geplant und wurde dann zur Internetseite "Yuppies gegen Gentrification", die wir bei der Pudel-Gala auf Kampnagel anlässlich des 21-jährigen Bestehens des Golden Pudel Club gelauncht haben.

Mit diesem satirischen Zugang und der Aufforderung "Bekenne Dich zur Lage" haben Sie offenbar einen Nerv getroffen.

Es ist erstaunlich und erfreulich, dass wir in so kurzer Zeit eine derartige Beteiligung verzeichnen konnten. Es war ja nicht klar, ob sich überhaupt irgendwer beteiligt. Und jetzt haben uns schon mehr als 50 Leute Fotos von sich und ihre Statements geschickt. Unsere Grafikerin hat gerade einen Doppeljob: ihre normale Arbeit und nebenher bearbeitet sie die ganzen eingesandten Bilder.

Zum Beispiel die von Lizzy von der Miami Add School: "Klar steigen die Mieten. Aber es gibt echt wichtigeres im Leben als Geld."

Eine meiner liebsten Einsendungen! Es ist wirklich rührend, wenn jemand so genau verstanden hat, was der Kern der Problematik und der Grundgedanke unserer Kampagne ist.

Klickt man sich so durch die ganzen Fotos und Statements, bleibt der Eindruck: Das hier ist die Krönung der Allgemeinplätze!

Ist es ja auch! Das Problem an den ganzen Hipstern ist ja, dass sie glauben, alles zu checken und so tun, als hätten sie den totalen Durchblick. Gleichzeitig sind sie so wahnsinnig unreflektiert und sprechen eben in Allgemeinplätzen. Die nehmen wir uns und übersetzen sie satirisch. Es gibt natürlich auch Leute, die die Ironie dahinter nicht sehen und uns verständnislose Nachrichten schreiben.

Man sollte also für manche "Vorsicht, Satire" oben drüber schreiben?

Wir wollen mit dem Projekt ja nicht unsere Meinung oder unsere Position verbreiten, jeder soll es so verstehen, wie er mag. Politische Arbeit ist ja in der Regel eher trocken. Dieses Projekt hingegen ist einfach mal ein neuer Ansatz, mit dem wir versuchen, anzuecken.

Wie sie mit einem ihrer letzten Projekte "Standortschutz Hamburg" als Reaktion auf das Glasgetränkebehältnis- und das Waffenverbot auf St. Pauli aneckten?

Wir haben damals eine Broschüre verteilt, in der über standortschädigendes Verhalten auf St. Pauli informiert wurde. Auf den ersten Blick war nicht zu erkennen, dass die Broschüre nicht von der Stadt stammte. Die Leute waren empört! Und wenn die Menschen sagen "Also jetzt reicht es uns aber!" ist unsere Arbeit erfolgreich.

In dieser Broschüre stand zum Beispiel, dass "Etiketten restlos von Flaschen zu entfernen und der Restmüllverwertung zuzuführen sind" und dass es verboten ist "sich in anstößiger, unflätiger oder aggressiver Weise zu äußern".

Man muss over the Top gehen, damit die Leute sich aufregen. Natürlich schränkt es die persönliche Freiheit nur geringfügig ein, wenn ich keine Flasche Wein mehr über den Kiez tragen darf. Aber es werden peu à peu Sonderregelungen eingeführt und langsam merken die Leute doch: Da erodiert was.

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