Polizeigewalt in Hamburg: Justitias blindes Auge

Die Hamburger Justiz sieht sich nicht in der Lage, einen Polizeiübergriff vom August 2008 aufzuklären. Jetzt hat die Linkspartei ein Beweis-Video ins Netz gestellt.

Ein Bereitschaftspolizist (ganz links) geht wenig später um die Gruppe herum, kniet sich nieder und boxt Daniel Z. (am Boden) in den Bauch. Bis heute sind die Beteiligten angeblich nicht ausfindig zu machen. Bild: www.grundrechte-kampagne.de/aktuelles

HAMBURG taz | Das "Netzwerk Gentrification" und die Linkspartei haben Videomaterial ins Netz gestellt, das einen Polizeiübergriff auf eine gentrifizierungskritische Aktion auf der Reeperbahn im August 2008 zeigt. Fast eineinhalb Jahre nach dem Vorfall sind die Ermittlungen gegen den auf dem Video zu sehenden Polizisten immer noch nicht abgeschlossen.

"Es ist ein Skandal, dass Polizei und Staatsanwaltschaft die offensichtlich rechtswidrige Polizeigewalt bisher nicht zur Anklage gebracht haben", schimpft die Linkspartei-Innenpolitikerin Christiane Schneider. Sie fordert von Justizsenator Till Steffen (GAL), endlich Aufklärung zu leisten und Konsequenzen bei der Abteilung für Polizeidelikte bei der Staatsanwaltschaft zu ziehen.

Bei der Aktion handelte es sich um den "Landgang durch die Sonderrechtszone", einen künstlerisch gehaltenen Rundgang, den das damals in Hamburg stattfindende "Antira- und Klima-Camp" veranstaltet hatte. Zwar wurde im Mai 2009 ein Ermittlungsverfahren wegen des "Verdachts der versuchten Körperverletzung" eingeleitet, nach Auskunft des Hamburger Senats konnte der Polizist, der dem ersten oder zweiten Zug der 3. Hundertschaft angehören muss, von Staatsanwältin Dorothea Fellows bislang "namentlich noch nicht ermittelt" werden. "Die Staatsanwaltschaft hat offensichtlich Probleme, sich mit der Polizei anzulegen", vermutet Schneider.

Auch das Netzwerk macht das Aufklärungsdefizit des Dezernat Interne Ermittlung (DIE) "stutzig", wie Aktivist Martin Reiter sagt. "Den Namen findet doch jeder Praktikant in 20 Minuten raus. Die Polizisten kennen sich doch alle untereinander."

Das Thema Polizeigewalt hat in Hamburg seit dem Polizeiskandal von 1994 nicht an Aktualität verloren. Damals ging es insbesondere um rassistische Übergriffe auf vermeintliche afrikanische Drogendealer in St. Georg. Der damalige Justizsenator Klaus Hardrath (parteilos) ließ hunderte eingestellter Fälle von der Staatsanwaltschaft neu aufrollen.

Wegen Körperverletzung im Amt wurden in den Jahren 2003 bis 2005 zwischen 366 und 543 Ermittlungen jährlich eingeleitet. Im selben Zeitraum wurde in Hamburg in 2.461 Fällen Anzeige erstattet. Nur 17 davon wurden bis zur Anklage gebracht.

Keine einzige Anklage wegen Körperverletzung im Amt wurde in den Jahren 2006 bis 2008 erhoben.

Im Evaluationsverfahren des Hamburger Polizeigesetzes versucht die Linkspartei derzeit die alte Forderung der Grünen nach einem Polizeibeauftragten durchzusetzen.

Das Videomaterial, das die Linkspartei bereits Ende August 2008 an die Hamburger Generalstaatsanwältin Angela Uhlig van Buren übergeben hat und das ab heute im Internet zu sehen ist, zeigt den Vorgang ganz eindeutig: Drei Polizisten fixieren den am Boden liegenden 20-jährigen Programmierer Daniel Z. aus Oldenburg. Währenddessen geht ein vierter Polizist um die Gruppe herum, kniet sich nieder und schlägt Daniel Z. zweimal mit der Faust in den Bauch. "Ich hatte den Polizisten als Reaktion geboxt, nachdem er meiner Freundin grundlos einen Knüppelschlag an den Kopf und mir einen in den Bauch versetzt hatte", sagt Daniel Z. der taz.

Er hatte auf eine Anzeige verzichtet, weil das Verfahren gegen ihn eingestellt worden war. Staatsanwältin Dorothea Fellows hatte dann auf Weisung der Generalstaatsanwältin gegen den Polizisten ermitteln müssen. "Sie hatte keinen Zweifel gelassen, dass sie den Polizisten finden kann", sagt Z. Schneider sieht sogar eine größere Dimension: "Die drei im Video zu sehenden und beteiligten Polizisten haben sich der Mittäterschaft schuldig gemacht", glaubt die Linkspolitikerin, "zumindest der Strafvereitelung im Amt, da sie die Körperverletzung nicht angezeigt haben."

Schneider erinnert daran, in welchem politischen Klima der Polizeiübergriff stattgefunden hatte: Am Morgen desselben Tages hatten 20 Unbekannte in der Ausländerabteilung des Bezirksamts Hamburg-Nord randaliert, Computer und Telefone beschädigt sowie Scheiben eingeworfen. Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) hatte ohne konkrete Anhaltspunkte die Attacke sofort dem damals stattfindenden Antirassistischen- und Klima-Camp zugerechnet und die Linie vorgegeben: "für Chaoten gibt es kein Pardon". "Das ist eine militärischer Begriff und heißt, dass rechts und links Späne fallen", sagt Schneider. Ahlhaus Äußerung zeige, "dass nicht nur einfache Polizeibeamte am Werk waren".

Und so war es auch: Drei Stunden lang war der Stadtteilrundgang von Beamten der Davidwache begleitet worden, bevor plötzlich ohne Grund Bereitschaftspolizisten Teilnehmer attackierten.

"Der Stadtteilrundgang war bereits beendet", sagt Reiter. "Die Leitstelle der Polizei hatte sehr wohl die Sache über Kameras verfolgt". Gegen die Teilnehmer des Landgangs wurde sofort wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und Widerstands gegen die Staatsgewalt ermittelt, die Verfahren mussten allerdings alle eingestellt werden. Die in den Übergriff verwickelten Polizisten blieben bislang unbehelligt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.