Asyl: Keine Gnade für die Witwe

Auch nach dem Suizid des 58-jährigen Armeniers im Abschiebegefängnis Langenhagen bleibt der Landkreis Winsen/Luhe hart und besteht auf die Ausweisung seiner Ehefrau. Allein der 29-jährige Sohn darf bleiben.

Gefängniswagen der Justizvollzugsanstalt Hannover. Dort sitzen die Abschiebehäftlinge bis zum Tag ihrer Abschiebung ein. Bild: dpa

Eigentlich wäre der 58-jährige Slawik C. am heutigen Mittwoch bewacht von zwei Bundespolizisten von Frankfurt in die armenische Hauptstadt Eriwan geflogen. Hinter sich gelassen hätte er elf Jahre als "Geduldeter" in Deutschland, seine Frau und seinen 29-jährigen Sohn, die in Winsen an der Luhe bleiben sollten. Doch K. stoppte seine Abschiebung: Am Freitag erhängte er sich mit dem Kabel eines Wasserkochers im Abschiebegefängnis Langenhagen.

Die Polizei hatte letzte Woche in der Ausländerbehörde Winsen auf den Asylbewerber gewartet, als der seine Duldung verlängern lassen wollte. Dass man ihn verhaften würde, schwante ihm nicht. "Das Überraschende liegt hier in Natur der Sache", sagt die Sprecherin des Landkreises Winsen/Luhe, Birgit Behrens. Völlig überrumpelt brachte man C. zu einem Haftprüfungstermin. "Wir haben dem Antrag auf Abschiebehaft stattgegeben, weil er sich sich der Abschiebung möglicherweise entziehen könnte", sagt der Leiter des Amtsgerichts Winsen, Albert Paulisch. K. habe vor elf Jahren falsche Angaben zu seiner Identität gemacht und erklärt, nicht freiwillig nach Armenien ausreisen zu wollen.

Beim Landkreis Winsen heißt es, eine "freiwillige, gemeinsame Ausreise der Eheleute" sei "angedacht gewesen". Doch als man zuerst für den Mann ein "Passersatzpapier" von der armenischen Botschaft bekommen hatte, entschloss man sich, die Familie zu trennen. C. kam ins Gefängnis. Dort sei er "ausgerastet", in eine Arrestzelle gesperrt und offenbar mit Psychopharmaka ruhiggestellt worden, berichtet der Niedersächsische Flüchtlingsrat.

Der Sinn der Abschiebehaft ist ähnlich wie bei der Untersuchungshaft nicht die Strafe. Sie soll vielmehr sicherstellen, dass anstehende Abschiebungen durchgesetzt werden können. Rechtlich zulässig ist sie nur, wenn es einen begründeten Verdacht gibt, dass der Ausländer in die Illegalität abtauchen könnte. Dann können Ausländer bis zu 18 Monaten in Haft genommen werden. Die Selbstmordrate unter Abschiebhäftlingen ist extrem hoch. Flüchtlingsorganisationen werten dies als starkes Indiz dafür, dass in vielen Fällen die Fluchtgründe, die abgelehnte Asylbewerber vorbringen, glaubhaft sind und ihnen folglich Asyl hätte gewährt werden müssen.

Die dreiköpfige Familie war 1999 aus Aserbaidschan nach Deutschland gekommen, machte geltend, dort als Angehörige der armenischen Minderheit verfolgt worden zu sein. Dem Sohn gestattete man, auf Dauer zu bleiben. Er ist nach Angaben des Flüchtlingsrats verheiratet und berufstätig. Den Eltern, denen wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt eingeräumt wurden, verweigerten die Behörden dies.

Daran ändert auch der Suizid nichts: "Der Tod des Mannes ändert nichts an der Ausreisepflichtigkeit der Ehefrau", sagt Behrens. Ihr werde aber "angeboten, freiwillig auszureisen, damit das nicht so eskaliert". Ihr zu gestatten, bei ihrem Sohn zu bleiben, werde "nicht erwogen".

Der Fall heizt die Diskussion um die Vertretbarkeit von Abschiebehaft wieder an. Immer wieder bringen sich abgelehnte Asylbewerber aus Verzweiflung in Abschiebehaft um. In Hamburg erhängte sich im April die 34-jährige Indonesierin Yeni P., erst im März hatte sich dort auch der junge Georgier David M. erhängt. Hamburg lockerte daraufhin die Praxis der Abschiebehaft.

Einen ähnlichen Erlass hatte es in Niedersachsen bereits 1995 gegeben. Damals beschloss die SPD, dass Abschiebehaft nur sehr zurückhaltend eingesetzt werden dürfe: Ein so schwerwiegender Grundrechtseingriff sei oft unverhältnismäßig, um eine Ausreise durchzusetzen. "Diesen Erlass hat der CDU-Innenminister Schünemann aufgehoben", sagt Kai Weber vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. "Niedersachsen zieht Abschiebungen rabiat durch. Sie werden den Betroffenen nicht angekündigt, man nimmt sie rechtswidrig in Haft, nimmt auf Krankheiten keine Rücksicht und trennt Familien." Diese Politik sei verantwortlich dafür "dass es zu solchen verzweifelten Kurzschlussreaktionen kommt", sagt Weber.

Die Grüne Landtagsabgeordnete Filiz Polat sieht dies ähnlich. Sie hat das Innenministerium aufgefordert, den Rechtsausschuss des Landtages über die Hintergründe von Slawik C.s Suizid zu unterrichten. Wenn es nach ihr geht, soll die Abschiebehaft in Niedersachsen keine Zukunft haben: "In zwei Jahren läuft die Pacht für das zentrale Abschiebegefängnis Langenhagen aus. Dann muss man in eine ganz andere Richtung denken." Eine parlamentarische Initiative werde vorbereitet. Wir hoffen sehr, dass SPD und die FDP mitziehen." Angesichts des Todes von Slawik M. sei es "völlig unverständlich", dass die Behörden daran festhalten, seine Frau trotzdem abschieben und von ihrem Sohn trennen zu wollen. "Ein Bleiberecht für sie wäre das absolut Mindeste", sagt Polat.

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