Lars Lewerenz und Artur Schock über ihr Label Audiolith: "Punk war der Soundtrack zum Saufen"

Die Elektro-Bands des Hamburger Labels Audiolith laufen in diesem Sommer Gitarrengrößen auf den Festivals den Rang ab.

Leben trotz Erfolg am Existenzminimum: Artur Schock (links) und Lars Lewerenz vom Hamburger Label Audiolith. Bild: Miguel Ferraz

taz: Herr Lewerenz, Herr Schock, auf dem Hurricane Festival im Juni in Scheeßel musste die Polizei Besucher mit Pfefferspray von einer kleinen Zeltbühne fernhalten, so viele Leute wollten dort das Konzert eurer Elektro-Band Frittenbude sehen. Haben die Veranstalter da etwas nicht mitbekommen?

Schock: Die haben einen Trend vielleicht unterschätzt. Aber im Hinblick auf die Katastrophe bei der Loveparade muss ich sagen, dass die Verantwortlichen auf dem Hurricane durchdacht gehandelt haben.

Eure Bands sind diesen Sommer fast jede Woche als Support auf Festivals gebucht, auf denen Rockbands die Headliner sind. Hat sich da nach dem Hurricane was geändert?

Schock: Ja, nächste Woche zum Beispiel ist in Ostfriesland das "Omas Teich"-Festival, eigentlich auch ein Rockfestival. Da ist der Frittenbude-Auftritt auf eine größere Bühne verlegt.

Habt ihr da nachgeholfen?

Schock: Nein, ich will niemand was aufdrücken. Das wäre ja lächerlich, wenn wir sagen, wir spielen nur, wenn wir die Hauptbühne kriegen.

Lars Lewerenz (33) und Artur Schock (25) betreiben das Hamburger Elektropunk-Label Audiolith, bei dem Bands wie Frittenbude, Egotronic, ClickClickDecker und Bratze unter Vertrag sind.

Du sagst, die Veranstalter hätten ,einen Trend unterschätzt'. Sind Indie, Punk und Hardcore vorbei?

Lewerenz: Wo man früher eine Gitarre genommen hat, nehmen heute eben viele einen Rechner und einen Synthesizer. Es gibt ja immer noch Gitarrenbands, die gehört werden. Wir vergleichen uns aber nicht damit und sagen, wir haben jetzt hier den neuen Sound.

Es scheint aber so zu sein. Bei eurer "Ravemeisterschaft" im Juni im Bremer Schlachthof war der Laden mit über 1.000 SchülerInnen voll. Wenn da einstige Punklegenden auftreten, spielen sie im Keller - und keine 50 Leute kommen.

Lewerenz: Es wäre schade, wenn es so wäre. Außerdem haben wir diesen Sound ja auch nicht erfunden.

Du hast in den 90er Jahren in der Hardcore-Band Linsay mitgespielt. Die war in einer damals bis in die Haarspitzen politisierten Szene ziemlich angesagt. Fehlt dir jetzt was bei dem, was ihr so rausbringt?

Lewerenz: Nein. Je älter ich werde, desto mehr Kritik habe ich an Punk und Hardcore. Da ging es ganz viel um Äußerlichkeiten. Nur weil man gleich aussieht, hat man aber nicht gleich eine Schnittmenge. Punk und Hardcore wollte die Leute durch die Texte agitieren, das hat sich total erledigt, das klappt eh nicht. Texte werden total überbewertet.

Immerhin gab es einen irgendwie subversiven Anspruch. Hätte es sich nicht gelohnt, daran festzuhalten?

Schock: Das ist ein Allgemeinplatz, der immer wieder vorgebracht wird, dass die Kids früher ach so politisch waren und jetzt nur noch Pillen einwerfen. Punk war früher vor allem der Soundtrack zum Saufen, wenn du mich fragst. Ich treffe heute so viele Jugendliche, die total engagiert sind. Und die feiern halt auch gerne hinterher auf Elektro. Vielleicht ist das sogar ein Fortschritt, denn die Punkkonzerte früher waren ziemlich aggressiv.

Lewerenz: Als Teenager hab ich gedacht, Hardcore und Punk sind das Gelbe vom Ei und elektronische Musik ist Teufelswerk. Das war genauso beschränkt, wie wenn heute die Leute denken, Elektro ist das Ding.

Punk diente vor allem dazu, sich abzugrenzen. Der Distinktionsgewinn für Fans von Frittenbude und Bratze dürfte gegen null gehen. Warum interessiert das keinen mehr?

Lewerenz: Distinktion funktioniert sowieso nicht mehr. Das hat was mit der technischen Revolution zu tun. Heute gibt es alles über Myspace, es gibt insofern keine Provinz mehr. Man braucht keinen exklusiven Input aus einer Szene mehr, um Zugang zu bestimmter Musik zu kriegen. Da ist es schwer, sich auf diese Weise abzugrenzen.

Was bietet ihr den Leuten denn dann?

Schock: Bei uns steht schon der Spaß im Vordergrund.

Lewerenz: Spaß muss sein, auf jeden Fall. Bei uns ist die klassische Situation aufgehoben, dass die Band vorne steht und abgefeiert wird. Elektropunk-Konzerte sind mehr eine Symbiose, dass das Publikum mitgeht, ist sehr wichtig. Zum Glück haben die Leute bei uns nicht nur Bock auf feiern, sondern auch auf Inhalte.

Bei den Konzerten von eurer Band Egotronic schwenken 15-Jährige Israel-Fahnen und bejubeln die Bombardierung Deutschlands durch Engländer. Meinst du das mit Inhalten?

Schock: Das ein Extremfall. Das Antideutsche hat sich extrem verpoppt und Egotronic ist da eine Projektionsfläche für die Kids. Einerseits finde ich es besser, wenn sie Israelfahnen schwenken als Deutschlandfahnen. Andererseits ist das schon ein komischer Umgang damit. Das sagt Torsun, der Sänger, aber auch auf der Bühne. Mit Inhalten meinen wir eher, dass sich die Bands mit der Lebenssituation der Kids auseinandersetzen: Das Leben in kleinen Käffern im Osten, das von Nazis eingeschränkt wird, oder dass Jugendliche gern feiern gehen, den Kick und Spaß suchen, dann mit ihrem Hangover klarkommen müssen und trotzdem wieder feiern gehen.

Darum geht es bei vielen. Das erklärt euren Erfolg wohl kaum.

Lewerenz: Es hat wohl auch was mit dem sozialen Netzwerk zu tun. Das ist außergewöhnlich, es geht bei uns ziemlich familiär zu. Alle sind mehr oder weniger befreundet, gehen zusammen auf Tour und machen und machen hirnverbrannte Aktionen zusammen. Wir mögen einfach, was wir machen und das kam dann halt gut an.

Schock: Wir wollten ja gar keine Plattenfirma aufmachen und da Business draus machen.

Das sagen alle.

Schock: Bei uns stimmt das aber. Lars wollte Platten von seinen Freunden rausbringen und ich wollte mich vorm Arbeitsamt drücken.

Lewerenz: Wir hatten nie vor, Audiolith als Marke aufzubauen. Aber die Acts und die Leute identifizieren sich eben damit. Das können nicht viele von sich sagen. Niemand würde sich ein "Sony Music" oder "Warner"-T-Shirt anziehen.

Haben die mal versucht, Bands von euch abzuwerben?

Schock: Ab und zu wurde mal angefragt, aber das ist jetzt nicht so ein Haifischbecken, wie viele glauben, wo jemand mit dem großen Geldkoffer ankommt. Und die Bands versprechen sich auch nicht so viel von den Majors.

Lewerenz: Wir sind nicht mehr in den 80ern, als so viel Geld verbraten wurde. Alle wissen, dass man heute mit Low Budget und viralem Marketing viel erreichen kann.

Die scheidende Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck hat gerade ein Förderprogramm für kleine Hamburger Labels aufgelegt. Die kleinen Musikfirmen würden "erheblich zur Entwicklung des Musikstandorts" beitragen und sollen deshalb mit bis zu 10.000 Euro gefördert werden. Wollt ihr davon was haben?

Lewerenz: Das entscheiden wir von Fall zu Fall. Es ist vergleichbar mit Sponsoring, es kommt vor allem darauf an, ob es den Künstlern zu Gesicht steht.

Welchen Künstlern steht es denn zu Gesicht, ihre Musik für Standortmarketing herzugeben? In Hamburg ist das ja eine schwer diskutierte Frage.

Schock: Dieses Argument mit dem Dienst für den Standort, ich weiß nicht. Es ist ja so, dass wir allein dadurch, dass wir hier sind, schon den Standort aufwerten, ob wir wollen oder nicht. Die Frage ist, ob man sich dafür bezahlen lässt, oder ob die sich einfach so damit schmücken.

Von Welck behauptet, sie wolle Künstler nicht für eine Image-Kampagne instrumentalisieren, sondern nur Kreative fördern. Glaubt ihr das?

Schock: Vielleicht glaubt sie das wirklich selber. Aber deswegen muss es ja nicht stimmen. Es ist schon klar, warum das bezahlt wird und warum an anderer Stelle eben kein Geld fließt, zum Beispiel für soziale Zentren, wo solche Musik entsteht. Das sollte man im Kopf haben, wenn man solches Geld nimmt. In Hamburg spielt da natürlich die ganze Verdrängungssache und die Diskussion um den Abriss der Flora eine Rolle.

Habt ihr schon mal öffentliches Geld genommen?

Lewerenz: Ja, für ClickClickDecker und Bratze. In Absprache mit denen haben wir Geld aus Bundesmitteln beantragt.

Schock: Manche lassen sich vom Goethe-Institut auf Auslandstour schicken, weil sie sonst nie ins Ausland könnten. Das kann ich schon verstehen. Andere haben eben keinen Bock, sich als Aushängeschild der deutschen Kultur vorführen zu lassen und da Vorfeldarbeit für deutsche Außenpolitik zu machen. Das kann ich auch verstehen.

Ihr füllt Clubs, eure Bands spielen auf großen Festivals, kann man da noch guten Gewissens Subventionen annehmen?

Schock: Ich wohn in Berlin in einer Penner-WG und wir versuchen auch sonst alles günstig zu machen. Ein Konzert mit drei unserer Bands kostet zehn Euro. Das rechnet sich so gerade. Es wäre aber auch gemein auszunutzen, dass solche Konzerte für unsere Zielgruppe, die wenig Geld hat, so wichtig sind, und 20 Euro von denen zu nehmen.

Lewerenz: Das geht aber auch nur, weil wir viele Unkosten gar nicht haben: Die Bands arbeiten mit Laptops, die müssen keinen Kleinbus mieten und ein Schlagzeug mitnehmen. Und ins Studio müssen sie auch nicht.

Wieso nicht?

Lewerenz: Das ist alles Homerecording, die machen das zu Hause am PC und mischen selbst. Viele sagen, wir machen jetzt Konzerte mit 1.000 Leuten und stehen dauernd in der Zeitung, jetzt hätten wirs irgendwie geschafft. Aber eine Platte rausbringen und die Promo machen ist immer finanzielles Risiko. Wir haben viel Geld in den Sand gesetzt. Wir haben zwar keine Schulden mehr, leben aber immer noch am Existenzminimum.

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